Foto: Theater in der Josefstadt
WIEN / Theater in der Josefstadt:
RECHNITZ (DER WÜRGEENGEL) von Elfriede Jelinek
Premiere: 15. Jänner 2022,
besucht wurde die zweite Vorstellung am 16. Jänner 2022
Es gibt ein angeblich arabisches Sprichwort (vielleicht ist es auch ein österreichisches), das besagt: „Kaum ist Gras über eine Sache gewachsen, kommt ein Kamel und frisst es ab.“ Elfriede Jelinek hat sich zur Aufgabe gestellt, das Kamel zu sein, das dafür sorgt, die österreichisch Vergessens-Kultur (oder Unkultur) nicht zuzulassen. Immer wieder schreibt sie Stücke zu aktuellen Themen, die weh tun.
„Rechnitz“ ist allerdings schon etwas älter – man hat die Uraufführungsproduktion der Münchner Kammerspiele von 2008 als Gastspiel bei den Wiener Festwochen gesehen. Damals war der Fall Rechnitz wieder einmal in aller Munde und Elfriede Jelinek gab ihren Kommentar dazu ab. Wenn das Theater in der Josefstadt das Stück jetzt wieder hervorholt, dann wohl zum Beweis dafür, dass es ein Paradigma für Schuldverdrängung ist…
Dabei hat sich Regisseurin Anna Bergmann in einigen Elementen von Jossi Wielers seinerzeitiger Aufführung inspirieren lassen – etwa in der Beschwörung einer „Party, Party“-Stimmung und im heftigen Einsatz von C.M. von Webers „Freischütz“-Musik. Schließlich wird viel geschossen in dem Stück, und die Herrschaften damals, im März 1945, haben es auf dem burgenländischen Schloß Rechnitz gewiß als Party empfunden, als sie ihre Nazi-Zelte abbrachen und zu ihrem im Ausland gebunkerten Geld flüchteten. Vorher gab es noch eine kleine Jagdgesellschaft – die Gräfin Batthyány und ihre SS-Freunde schossen zum Vergnügen noch rasch etwa 180 jüdische oder roma-und sinti-Gefangene ab. Blöd nur, dass man sie nachher noch begraben musste – was allerdings so effizient geschah, dass man die Leichenreste bis heute nicht gefunden hat…
Dazu ist Elfriede Jelinek einiges eingefallen, wenngleich man den Text beim dritten Mal (es gab noch eine Aufführung 2016 im Volkstheater, die das Geschehen in einer Show versinken ließ) nicht mehr ganz so überzeugend findet, er hängt immer wieder durch, da wäre einiges verlustlos zu streichen gewesen. Wie immer bei der Jelinek ist es der Regie überlassen, ihre Textflächen zu gestalten, ihnen gewissermaßen „menschliche“ (bzw. unmenschliche) Kontur zu geben.
So tanzen sie alle auf einer sich oft drehenden Rundfläche (Bühnenbild Katharina Faltner), die Gräfin und ihre SS-Gäste, alle mit Hilfe von Latex glatzköpfig (Kostüme und wohl auch der dazugehörige „Look“: Lane Schäfer), solcherart als Gespenster zu erkennen, die doch recht lebendig ihren Abschied feiern. Freilich mag die stark musikverbrämte (Moritz Nahold) Festesstimmung von der ganzen Abgründigkeit der Szene ablenken. Aber wenn dann einer der Gefangenen (im übrigen gilt das Interesse der Jelinek nicht den Opfern, sondern den Tätern) quasi in ein zuvor in der Bühnenmitte gegrabenes Erdloch getreten wird, dann erhält die Szene das volle Grauen…
Die „Botenberichte“, in die Elfriede Jelinek ihr Stück geteilt hat, kommen nur peripher zum Ausdruck. Nach der Nacht der Gewehre, deren Schüsse immer wieder durch den ersten Teil gekracht haben, kommt die Gegenwart zu Wort /und die Darsteller tragen jetzt Perücken). Wieder gibt es Unterhaltung, nun ein Sommerfest von Alltags-Österreichern im Burgenland. Man sitzt auf Klappstühlen und sinniert, warum man sie mit der alten Sache nicht in Ruhe lasse. Eigentlich wüssten sie ja nichts. Das „Täter-Geschwätz“, das man ihnen aufzwingt, tun sie achselzuckend ab, sie waren ja damals noch nicht geboren, was soll’s… Man kennt die Argumente, man kennt die Selbstverteidigungsmechanismen.
Dass die Reste der Toten immer noch nicht gefunden sind, ist eine Tatsache, die auch nach der Uraufführung von „Rechnitz“ noch gilt – laut Wikipedia habe man 2021 aufgehört zu suchen. Anna Bergmanns Inszenierung lässt (mit einem eingeblendeten Film) hier Reste finden und Sona MacDonald darüber einen jüdischen Trauergesang anstimmen. Man kann das kitschig finden, aber auch meinen, dass dem Geschehen, das so unendlich viel Negatives hervorholt, hier ein Ende in Würde gegeben wird…
Sona MacDonald als die Gräfin Margit von Batthyány (die bis zu ihrem Tod 1989 unbehelligt in der Schweiz lebte) ist die Zentralgestalt des Abends, die einzige Figur, die nur sie selbst sein darf, zynisch und seltsam (es wird ihr auch auferlegt, die ganze Arie der Agathe aus dem „Freischütz“ zu singen, was die Schauspielerin, obwohl eine glänzende Sängerin, ja doch an den Rand ihrer stimmlichen Fähigkeiten bringt). Erst am Ende, wenn sie sich das grüne Abendkleid vom Leib reißt und in einer Art schwarzem Strickkleid gewissermaßen zu Elfriede Jelinek wird, die ihr ewiges Unbehagen an Österreich ausdrückt, wird die Schauerfigur zu einem Menschen.
Das übrige Ensemble (die Damen Elfriede Schüsseleder und Michaela Klamminger, die Herren Götz Schulte, Oliver Rosskopf, Robert Joseph Bartl,Tamim Fattal, Dominic Oley und Martin Vischer) sind Zombies der Vergangenheit und Karikaturen der Gegenwart.
Es ist, wie bei Elfriede Jelinek immer: ungemütlich. Also ganz in ihrem Sinne. Herbert Föttinger ist schließlich nicht angetreten, sein Josefstädter Publikum zu erfreuen.
Renate Wagner