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WIEN / Josefstadt: PROFESSOR BERNHARDI

16.11.2017 | KRITIKEN, Theater

Bernhardi Szene
Fotos: Barbara Zeininger

WIEN / Theater in der Josefstadt:
PROFESSOR BERNHARDI von Arthur Schnitzler
Premiere: 16. November 2017,
besucht wurde die Generalprobe

Schnitzlers „Professor Bernhardi“, erschienen 1912, durfte in Österreich erst nach dem Ende der Monarchie 1918 erstmals gespielt werden. Die k.u.k. Zensur spürte genau, dass hier ein Dichter der politischen Realität der Zeit viel zu nahe gekommen war. Tatsächlich ist „Professor Bernhardi“ Arthur Schnitzlers einziges direkt und unverhohlen politisches Stück. Seine in anderen Werken sorgfältigen und brillanten Analysen der Gesellschaft seiner Zeit haben sich überholt, so groß ihr dichterischer und historischer Wert sein mag. Der „Professor Bernhardi“ verblüfft jedes Mal, wenn man ihn spielt, mit seiner Österreich-bezüglichen Aktualität. Vielleicht ist es übertrieben zu sagen, nur in Österreich werde „so“ Politik gemacht, anderswo geht es auch schmutzig zu. Aber das hiesige „so“ – das hat Schnitzler brillant eingefangen.

Natürlich ging es damals in erster Linie darum, wie in der ausklingenden Monarchie (dem Wien, aus dem Adolf Hitler hervorging) mit dem Antisemitismus gespielt und jongliert wurde. Die Millionenstadt hatte eine jüdische Bevölkerung von gut zehn Prozent, deren Mittel, Einfluß, Bedeutung in jedem Bereich des intellektuellen und künstlerischen Lebens weit über diesen schmalen Prozentsatz hinausreichte. Schnitzlers Vater, Klinikchef wie „Professor Bernhardi“, hatte alle Tücken zu spüren bekommen, Schnitzler selbst natürlich auch. „Professor Bernhardi“ ist das österreichisch-jüdische Stück über diese heikle Beziehung – und über Politik…

Die Handlung ist bekannt. Wie ein an sich alltäglicher, trauriger, aber nicht dramatischer Anlaßfall in einer Klinik (ein junges Mädchen liegt in Euphorie auf dem Totenbett, ihr Arzt will ihr ein schönes Sterben schenken und sie nicht durch das Erscheinen des Priesters aus ihrer letzten Illusion reißen) zum Skandal aufgebauscht wird, künstlich zur „Religionsstörung“ hochgeputscht – das würden wir heute „Shitstorm“ nennen, ist die Geschichte von Manipulation, Mauschelei, Intrige, Böswilligkeit… was man will. Die Erkenntnis, dass dergleichen heutzutage genau so passieren könnte und passiert, bei jedem beliebigen Anlassfall, der jemandem in den politischen Kram passt, liegt nahe. Wobei Schnitzler als Dichter und Denker zu souverän war, um die Sache einseitig zu sehen: Hier die Guten, dort die Bösen? Da gibt es allerlei Schattierungen.

Seit Ernst Deutsch in den sechziger Jahren als Professor Bernhardi die Bühne des Burgtheaters betrat, hat das Stück eine edle Wiener Theater- und Besetzungstradition (mit Leopold Rudolf als dem unerreichbaren Titelhelden und allem, was Wiens Schauspieler-Elite in den Nebenrollen durch die Jahrzehnte geleistet hat). Die jetzige Josefstadt-Inszenierung will zwar das Stück spielen, aber doch so manches anders machen. Mit so vielen unveränderlichen Details in der Monarchie verankert, kann man es klugerweise nicht modernisieren (man kennt Beispiele, wo man nicht so klug war), aber die Inszenierung von Janusz Kica gibt dem Geschehen einen neutral modernistischen Raum und jene Kostüme (Maßanzüge), die Professoren immer tragen (Karin Fritz), wenn sie nicht gerade mit der Tennistasche daherkommen, um einer Figur eine flotte Schlagseite zu verleihen.

Vor allem aber hat man dem Stück die Gattungsbezeichnung „Komödie“ genommen – eine Komödie ist es auch, eine Satire desgleichen, es gibt effektvolle Pointen, auf die man geradezu wartet und von denen viele absichtsvoll gestrichen sind (warum man die Formulierung von der „selbstlosen Gemeinheit“ im letzten Akt weglässt, wissen die Götter). Auch Figuren, die durch und durch böshumorig angelegt sind (wie der „Kandidat der Medizin“, Hochroitzpointner), werden eingeflacht. Es soll nicht gelacht werden. Mit dem Effekt, dass sich der dreistündige Abend gelegentlich wie ein Leichenbitter schleppt, der es auch versteht, seine brillanten Wort- und Gedankengefechte nicht auszukosten, sondern gelegentlich sogar unter den Tisch zu kehren.

Natürlich – die Wirkung kann man dem Stück nicht rauben, zu einsichtig schildert Schnitzler, wie der „gemachte“ Skandal sich verdichtet und scheinbar Eigendynamik gewinnt (wo doch immer ganz gezielt Menschen und Absichten dahinter stehen). Aber so richtig besetzt scheint die Sache auch nicht. Wobei der Gestaltung der Charaktere sicher genaue Überlegungen vorausgehen.

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Etwa, dass Herbert Föttinger den Bernhardi allzu vornehm-temperamentlos spielt und im fünften Akt, was keinesfalls Schnitzlers Absicht war, als wehleidig-gebrochener Mann auf die Bühne und am Ende von dieser schleicht. Oder dass man seinen Gegenspieler Ebenwald viel zu jung und viel zu „unsicher“ im Profil mit Florian Teichtmeister besetzt hat: Nein, das ist kein wahrer Gegner, da sprühen keine Funken, die schleichende Intrige ist kraftlos. Es reicht nicht, per se ein guter Schauspieler zu sein, man muss eine Figur auch glaubhaft machen, und davon ist Teichtmeister weit entfernt. Und diese Besetzung, obwohl man mit André Pohl den idealen Ebenwald im Ensemble hatte – durfte er nicht, weil er die Rolle in Reichenau (und wie gut noch dazu!) gespielt hat? Hier ist er ein prächtiger Cyprian, aber für ihn wäre mehr drinnen gewesen.

Überhaupt scheint ein gewisser Mangel an Profilierung immer wieder angesagt, etwa wenn Michael König die großartige Pro-Bernhardi-Suada des Pflugfelder so gar nicht in den Griff bekommt. Oder wie hat man über die (vielleicht überzeichneten, aber in sich richtigen) Hochroitzpointners früherer Inszenierungen bitter gelacht? Holger Schober ist als Figur so reduziert, dass er gerade in einer Szene zeigen kann, was in dem Opportunisten steckt – wenn er auszuloten sucht, was sein mächtiges Gegenüber von ihm hören will (eine klassische Situation, auch im Leben, nicht wahr?). Dass man Michael Dangl, der für jede große Rolle des Stücks gut gewesen wäre (Bernhardi, Ebenwald, Flint, take your pick), in der Nebenrolle des Dr. Goldenthal verkommen lässt, ist ein Rätsel. Und Martin Zauner kann nur mit weinendem Auge in die Vergangenheit blicken, was seine Vorgänger aus dem Hofrat Winkler machen durften – und er nicht.

Christian Nickel bringt mit der Eitelkeit des Filitz einiges Profil mit, in den meisten Nebenrollen findet man es kaum, ein wenig bei der bemühten Krankenschwester der Alma Hasun und eigentlich recht bemerkenswert bei dem Pfarrer des Matthias Franz Stein: Dessen gewisse Steifheit passt sehr gut zu einer Figur, die vor allem vermittelt, dass sie sich nicht wohl in ihrer Haut fühlt. (Und dass Anstand seine Grenzen hat, wenn politische – oder in diesem Fall religiöse – Interessen dahinter stehen.)

So bleibt die eine große Leistung des Abends, und wer es eine überdrehte Charge nennt, dem sei das unbenommen: Aber nur Bernhard Schir als Flint bringt Leben in die Bude, gibt einem egozentrischen, opportunistischen und von sich selbst bis in die Tiefe seiner Seele überzeugten Politiker Umriß, Witz und bösartiges Profil. Warum durfte er seine Rolle spielen – und die meisten anderen die ihren nicht (zumindest nicht in ihren vollen Möglichkeiten ausschöpfen?).

Wie gut, dass der „Professor Bernhardi“ ein so unsterblich gutes, österreichisches Stück ist. Am Ende durfte der Dichter wieder einmal sagen, was er zu sagen hat. Dass man das natürlich in Bezug auf die heutige politische Lage verwendet (warum, um Gottes willen, muss man ein aktuelles „Lichtermeer“ für Bernhardi in den Text dichten und anderes mehr?), kann man dem Josefstadt-Direktor nicht verdenken: Wie das Stück ja auch aufzeigt – jeder kämpft mit seinen Mitteln, welch Nam’ und Art sie auch sein mögen.

Renate Wagner

 

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