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WIEN / Josefstadt: ONKEL WANJA

Wer Tschechow liebt...

14.11.2024 | KRITIKEN, Theater

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Fotos: Theater in der Josefstadt

WIEN / Theater in der Josefstadt: 
ONKEL WANJA von Anton Tschechow
Premiere: 14. November 2024
Besucht wurde die Generalprobe

Wer Tschechow liebt…

Sie hat es wieder getan – und das war eigentlich zu erwarten. Vor fünf Jahren hat Regisseurin Amélie Niermeyer im Theater in der Josefstadt Anton Tschechows „Kirschgarten“ dermaßen in Stücke geholzt, dass nichts davon übrig geblieben ist. Wenn Josefstadt-Direktor Herbert Föttinger nun derselben Regisseurin wieder ein Werk desselben Autors anvertraut, kann man sich das Ergebnis vorstellen. Und genau so ist es auch gekommen – die Vernichtung von „Onkel Wanja“ findet auf grausamste Weise statt. Die Regisseurin hat ihr brutales Zerstörungswerk wiederholt, die Figuren pervertiert, das Stück zerschlagen. Kann es heutzutage wirklich die einzige Intention von Regie sein, Dichter und ihre Dichtungen der Würde zu berauben???

„Onkel Wanja“ ist ein besonders schönes, trauriges und – mit Ausnahme eines Ausbruchs des Titelhelden am Ende – ein stilles Stück. Es handelt von unglücklichen, in ihren Verhältnissen und Schicksalen gefangenen Menschen, die von einem gewissenlosen Egoisten ausgebeutet werden. Tschechows müde Seelen sind die Verlierer des Lebens – Wanja führt das Gut, das seiner Nichte Sonja gehört, wo diese, er, seine Mutter und noch ein Arbeiter leben und arbeiten, damit man aus dem Erlös den Lebensunterhalt  von Sonjas Vater und seiner zweiten Frau in der Stadt  finanzieren kann. Es ist, wenn man so will, eine ganz hässliche  kapitalistische Ausbeuter-Geschichte im familiären Rahmen, zudem hat Tschechow in der wunderbaren Figur des Arztes Astrow den ersten „Grünen“ der Literatur geschaffen, einen Mann, dessen ganzes Interesse der geschändeten und ausgebeuteten Natur gilt.

Was sieht man bei Amélie Niermeyer? Menschen, die in einem schäbigen Betonkasten der fünfziger Jahre auf der Drehbühne herumwandern (Bühnenbild: Christian Schmidt), nicht selten in Unterhosen und den absolut schäbigsten Klamotten (Kostüme Stefanie Seitz), die man sich vorstellen kann. Zudem brechen sie bei jeder unmöglichen Gelegenheit in Pop-Gegröle und -Gezucke aus. Freilich, zur absoluten Verhöhnung wird auch einmal Schuberts „Ständchen“ vernichtet… So ein sinnloser Musikteil passt wunderbar mißtönend zum Stil und der Intention des Abends. Weit  gebracht, könnte man sagen, oder besser: tief, sehr tief gefallen.

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Denn besonders bemüht war die Regisseurin um die Verdrehung der Figuren ins Gegenteil und bis zur Unkenntlichkeit, so dass sie als zielloser, hektischer, brüllender Haufen auf der Bühne herumtoben.  Wanjas Verzweiflung über sein verlorenes Leben wird zur aggressiven Hysterie (Raphael von Bargen). Sonja, das verhuschte Zauberwesen, ist ruppig und unfreundlich und hat keine Ahnung, was Seele  ist (Johanna Mahaffy). Die alte Wojnizkaja wurde mit der gestrichenen Rolle der milden alten Dienerin zusammen gelegt, hat damit gänzlich ihren Charakter als affektierte Möchtegern-Intellektuelle verloren, dafür aus unerfindlichen Gründen eine Puppe zugeteilt bekommen die sie wie ein Kind behandelt, und watschelt halb debil herum (Marianne Nentwich). Der Telegin ist jeglicher seltsamer Sensibilität, die Tschechow ihm gab, entkleidet und nur ein grober Klotz (Thomas Frank). So viel zu den Bewohnern des Landhauses.

Als schmarotzende Eindringlinge (weil sie im Moment kein Geld haben, in der Stadt zu leben) haben sich der alte Professor und seine junge zweite Frau eingenistet. Er ist vom affektierten Nörgler zum peinlichen Unterwäsche-Jammerlappen geworden, stotternd und kläglich (Joseph Lorenz), und Jelena, eine von ihren Gefühlen zerrissene und irisierende Schönheit, begegnet uns ordinär, direkt und zynisch (Alma Hasun).

Und Astrow, diese wunderbare Figur mit dem Tschechow-Flair, der Mann, der um die Sinnlosigkeit alles Tuns weiß und trotzdem seine Pflicht tut (wie einst sein Autor)?  Dass er sich so, wie man ihm hier begegnet (Alexander Absenger) auch nur ein bißchen für die Natur interessiert, ist kaum vorstellbar. Und auch sonst – interessiert man sich nicht für ihn (was nicht passiert ist, wenn Leopold Rudolf, Boy Gobert oder Edgar Selge sich seiner Figur angenommen haben – aber da waren auch noch Regisseure am Werk).

Wer Tschechow liebt, sollte um diesen Theaterabend einen großen Bogen machen.

Renate Wagner

 

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