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WIEN / Josefstadt: NIEMAND

01.09.2016 | KRITIKEN, Theater

Horvath Bühnenbild
Alle Fotos: Barbara Zeininger

WIEN / Theater in der Josefstadt:
NIEMAND von Ödön von Horvath
Uraufführung
Premiere: 1.Sepember 2016

Die Rechnung ging von vornherein auf. Noch vor der Premiere erreichte die Meldung, dass das Theater in der Josefstadt ein unbekanntes Frühwerk von Ödön von Horvath uraufführen würde, auch das deutsche Feuilleton. Nun, das ist verständlich – Horvath (1901-1938) mag nur kurze Jahre in der Zwischenkriegszeit tätig gewesen sein, er ist dennoch einer der bedeutendsten Dramatiker des vorigen Jahrhunderts. Kein Wunder, dass sich ein Josefstadt-Direktor rühmt, das Stück schon vor der Lektüre angenommen zu haben. Er hätte es sicherlich auch gespielt, wenn er es vorher gelesen hätte – es geht nicht um Qualität, in diesem Fall geht es nur um die Sensation.

Die ist, wenn man „Niemand – Tragödie in sieben Bildern“ aus dem Jahre 1924 auf der Bühne begegnet, nun auch nicht so groß. Der junge Horvath hat noch kein Stück geschrieben, er hat ein paar Figuren hin und her geschoben und sie sprechen lassen – zwischen Gekreische, das man als „expressionistisch“ bezeichnet, und lyrischem Geflüstere, das keinen Sinn macht. Er sperrt sie in einem Mietshaus der zwanziger Jahre zusammen und hat vielleicht entfernt an Gorkis „Nachtasyl“ gedacht.

Mögen ihm die Figuren, die er da zu umreißen versucht, in der Welt dieser Jahre auch über den Weg gelaufen sein, auf der Bühne werden sie ihm noch nicht zu lebenden Menschen. Als Versuchsanordnung stehen da: zuerst ein böser, verkrüppelter Pfandleiher und ein Mädchen, das so arm ist, dass es sich aus Hunger verkauft (und den Pfandleiher heiratet) – sie erinnert schon an die seelisch und materiell so „armen“ Heldinnen seiner späteren Zeit. Da sind dann noch die Hure und der mordende Zuhälter, da ist ein Mordopfer (einer der geilen alten Männer, die es später bei Horvath gleichfalls immer wieder gibt), ein arbeitsloser Musiker wankt funktionslos herum. Später taucht der skrupellose Bruder des Pfandleihers auf, und eine Hausmeisterin gibt zu, vor Jahrzehnten einen goldenen Ring gestohlen zu haben und damit das Leben einer Frau zerstört zu haben, die als Uralte verloren durch die Welt wankt…

Niemand  Brautpaar

„Die Zusicherung einer sehr werkgetreuen Aufführung mit allen 24 Charakteren habe den Ausschlag für das Theater in der Josefstadt gegeben“, heißt es in der Aussendung der dpa über die Entscheidung der Wien Bibliothek, die das verloren geglaubte Horvath-Manuskript erworben hat, und des Sessler-Verlags, der die Aufführungsrechte verwaltet. Tatsächlich hat das Stück, noch gänzlich unökonomisch in seiner Machart, eine wahre Unzahl von Rollen ohne Bedeutung, und Herbert Föttinger hat als Direktor und als Regisseur des Abends sein halbes Ensemble auf die Bühne geschoben – darunter Schwergewichte wie André Pohl oder Martin Zauner, die sich fragen werden, was sie da tun, kaum ein paar Sätze haben und wieder verschwinden, ebenso wie Heribert Sasse, der schneller eine Leiche ist, als man den zynischen Alten wahrgenommen hat. Josefstädter Besetzungsluxus für ein Stück, das halb in der Gosse spielt.

Föttinger war sich der Probleme bewusst, vor allem der Stilbrüche. Schon zu Beginn schickt er fast das ganze Ensemble wie einen stummen Chor auf die Bühne, lässt „episches Theater“ anklingen, indem die einzelnen Bilder samt szenischer Bemerkungen angesagt werden, und fällt immer wieder in die „Schilderung“ statt in die Gestaltung – aber eine Szene, in der der Zuhälter von „Detektiven“ wegen Mordes gefasst wird und sich schießend wehrt, geht zwar im Kino, läuft auf der Bühne Gefahr, lächerlich zu werden. Da ist es keine schlechte Lösung, einfach die Regieanweisungen sprechen zu lassen.

Andere Brutalitäten, das Prügeln und später Abschleppen der sich heftig wehrenden Nutte, werden hingegen ausgespielt. Horvath zeigt, wie schnell die beiden verschwundenen Figuren ersetzt werden, und Föttinger unterstützt das, indem er die Kellnerin, die nun Wohnung und Job der Nutte übernimmt, und den „Betrunkenen“ anstelle des mörderischen Zuhälters optisch und in Aktion den Vorbildern verblüffend gleichen lässt: Da bindet dann die Inszenierung die bröckelnden Elemente des Stücks zusammen.

Es spielt in einem Mietshaus, dessen Treppenhaus zum Schauplatz, zum Ort aller Begegnungen wird – Walter Vogelweider hat es nüchtern, ohne besonderen Charakter, aber gut bespielbar, auf die Drehbühne gestellt, Birgit Hutter staffiert die Figuren in allen Nuancen ihrer Armseligkeit aus. Und in diesem Rahmen bemüht sich Föttinger, den Abend zwischen Abstrakt-Absurd, Traumhaft-Irreal und psychologischem Theater zusammen zu halten.

Florian Teichtmeister spielt den von Horvath noch sehr unsicher gezeichneten Pfandleiher Fürchtegott Lehmann, den auch der Regisseur nicht stärker macht – ein noch junger Mann, der wegen seiner verkrüppelten Beine faktisch immer in seiner Wohnung im oberen Stock eingesperrt ist (das Fallen die Treppe hinunter und kläglich in den Tod kriechen, markiert dann das Finale des Abends). Er nimmt sein Schicksal ziemlich weinerlich hin, aber auch der verhasste Ausbeuter, als der er geschildert wird, ist nicht ausgespielt. (Politische Korrektheit verbietet ja heutzutage die Überlegung, ob Lehmann vielleicht als Jude gemeint gewesen sein könnte.) Wenn der Bruder ihm die Frau wegnimmt, wird das Ganze zum würdelosen Melodram, und man denkt, wenn Teichtmeister der Figur mehr Schärfe und Kontur gegeben hätte, wäre sie zwar auch Klischee, aber wenigstens wirkungsvoller.

Horvath  Finale

Gerti Drassl als Ursula ist bereits die klassische junge Horvath-Frau, die vom blanken Hunger getrieben wird, alles tut, um zu überleben, am Ende aber – auch sie – ihre Lebensgier nicht wirklich überzeugend ausspielen darf. Da nimmt Raphael von Bargen den Bruder von Lehmann schon härter heran und wird damit auch glaubhafter. Nur was er und Ursula dann am Ende an Fürchtegott Lehmanns Leiche noch in den Zuschauerraum philosophieren müssen – das macht den Schluss wahrlich kaputt, damit ist nichts anzufangen.

Martina Stilp als laute Hure Gilda und Roman Schmelzer als nicht minder lauter Zuhälter können des Publikumsinteresses sicher sein (ihre „Nachfolger“, Josephine Bloéb und Oliver Rosskopf, ein bisschen weniger), zwei alte Damen – Elfriede Schüsseleder und Marianne Nentwich – exekutieren in Mini-Möglichkeiten halb verbittert, halb resigniert verfehlte Schicksale, ziellos geht Dominic Oley als mittelloser Musiker herum, der Rest der Besetzung bekommt nicht einmal diese Möglichkeit. Und eindreiviertel Stunden ohne Pause werden quälend lang.

Fazit: Es hätte gereicht, wenn sich eine Handvoll Theaterwissenschaftler und Germanisten an „Niemand“ mit ein paar Artikeln über „Ein Dramatiker auf der Suche nach seinem Stil“ abgearbeitet hätte. Das Josefstadt-Publikum hat jedenfalls Glück, dass aus dem Stückwerk so etwas wie ein akzeptabler Theaterabend geworden ist. Die Voraussetzungen dafür waren nicht die besten.

Renate Wagner

 

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