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WIEN / Theater in der Josefstadt
MARIA STUART von Friedrich Schiller (?)
Premiere: 7. Dezember 2017
Wenn man vor der Vorstellung die Durchsage des Inspizienten hört, Frau Cervik möge sich auf ihren Auftritt vorbereiten, könnte man den Verdacht hegen, jemand hätte vergessen, einen Hebel umzulegen – es sei also ein Irrtum, so was passiert. Aber wenn dann eine hektische Blondine im Nerzmantel (? ein aufwendiger Pelz ist es jedenfalls) auf die Bühne stürzt, in der Hand ein charakteristisches gelbes „Reclam Büchl“, und eine Passage von Königin Elisabeths Text aus Schillers „Maria Stuart“ so richtiggehend probt… sie wiederholt immer wieder Elisabeths Empörung, dass sie heiraten solle, um ihrem Volk einen Gefallen zu tun… und sie tut es in verschiedenem Tonfall, auch mit verschiedenen Akzenten (darunter flapsig bundesdeutsch), sie tut es ärgerlich, akzentuiert, fragend, sie spult also das Repertoire der Ausdrucksmöglichkeiten durch…
… kurz, da ist schon klar, dass Theater als solches vorgeführt werden soll. Die Dame, Frau Cervik, kaum zu erkennen, wird sich noch weiter verwandeln, weil sie sich das Gesicht mit weißer Fettcreme einschmiert und sich einen riesigen roten Clownsmund schminkt. Dann kleidet Isabel Glathar sie in Plastik, gibt ihr einen Oberkörper-Body, der den Eindruck erweckt, Englands Königin böte sich ihrer Umwelt halbnackt dar. Die Krone wirkt wie ein Requisit. Welch seltsames Geschöpf, welch abstruses Monster steht da auf der Bühne.
Ist sie die heutige Version der klassischen englischen Königin, die uns auf den originalen Gemälden in ihren Gewändern, ihrem Schmuck ja nun auch monströs vorkommt? Diese war jedenfalls die Frau, die Friedrich Schiller gemeint hat, als er jenes „Maria Stuart“-Stück schrieb, das – im Jahr 1800 uraufgeführt – die beiden rivalisierenden Königinnen gegen einander stellte. Ein auf historischen Fakten basierendes Stück, dem er nur als dichterische Erfindung eine Begegnung der Frauen hinzugefügt hatte, die es in der Realität nie gab. Eine personenreiche, detailliert ausgearbeitete Haupt- und Staatsaktion, politisches Theater, das nur so Funken sprüht, und ein psychologischer Thriller zugleich. Spannend außerdem. Von diesem Stück sieht man im Theater in der Josefstadt bestenfalls ein paar – Bröckchen.
Regisseur Günter Krämer hat – in einem minimalistischen Bühnenbild von Herbert Schäfer – einen modernistischen Kommentar zu einigen Details des Stücks geliefert. Elisabeth wird gewissermaßen als ihr Skelett auf die Bühne gebracht, Maria Stuart als ihr eigener Schatten. Dabei ist das Riesenpersonal des Stücks auf ein Minimum reduziert. In hundert pausenlosen Minuten ist der Spuk, der wirklich ein solcher ist, vorbei.
Wir erleben Elisabeth (nachdem Frau Sandra Cervik sich entschlossen hat, sie zu spielen), wie sie den französischen Gesandten abfahren lässt, der für seinen König um sie wirbt. Nebenbei flirtet sie intensiv mit ihrem Grafen Leicester. Wir erleben Maria Stuart mit ihrem wütenden Monolog. Schließlich der unabdingbare Höhepunkt: die beiden Frauen prallen wütend auf einander. Dann trickst Elisabeth (das ist bei Schiller so meisterlich ausgearbeitet!) mit dem Todesurteil, und Maria geht – äußerst schnell – in den Tod, Elisabeth holt sich für den Schluss noch ein paar Monologbrocken zusammen.
Berühmt sind ja die Schlusssätze aller Schiller-Stücke (von „Dem Manne kann geholfen werden“ über „Kurz ist der Schmerz und ewig ist die Freude!“ bis zu „Und frei erklär ich alle meine Knechte“), also darf auch „Der Lord lässt sich entschuldigen, er ist zu Schiff nach Frankreich“ nicht fehlen, nur dass es in der Josefstadt „Graf“ heißt und dies Elisabeth nicht berichtet wird, sondern sie es in einem Abschiedsbrief liest… Das ist es, und eigentlich fasziniert, was so einen Regisseur von heute an Schiller alles – nicht mehr interessiert.
Es ist ungemein schwer, Schauspieler zu beurteilen, die sich als Marionetten einer Regieidee verpflichten. Sandra Cervik tut dergleichen aber mit offensichtlicher Leidenschaft – ein Grand Guignol, kein echter Ton. Nun ja, eine Marionette der eigenen Machtausübung, die sich nebenbei als kokette Alte lächerlich macht: Das ist schon darstellerische Selbstaufopferung.
Elisabeth Rath als Maria Stuart war nicht bereit, so weit zu gehen. Im schwarzen Kleidchen ist sie zwar ein Niemand im Niemandsland, aber man könnte sich vorstellen, dass sie ihren ersten großen Monolog auch in historischen Gewändern ähnlich differenzieren würde. Und ähnlich auf die hochmütige Rivalin losspringen. Und dann, plötzlich mit Maske in der Hand, schnell abgehen – viel hat man ihr ja nicht gelassen von der Rolle.
Nein, Raphael von Bargen in irgendeiner militärischen Phantasieuniform, ist alles andere als ein 17jähriger Mortimer, ein Jüngling, der bei Schiller entschlossen sein Leben opfert. Tonio Arango als Leicester wirkt weder wie ein Liebhaber noch wie ein souveräner politischer Ränkeschmied, sondern wie ein zappeliges Weichei, den niemand wahrnehmen würde. Roman Schmelzer muss als Elisabeths Sekretär dahingehend zaudern, wie schwer man sich in der Politik raushält, wenn jemand einem Verantwortung zuschieben will (das ist sehr von Schiller – wenigstens andeutungsweise). Und Florian Carove als französischer Gesandter darf – Französisch sprechen. Mehr wird nicht geboten.
So also sieht „Maria Stuart“ hier aus – kurz, grell, heutig, im höheren Sinne sinnlos. Die Josefstadt hängt sich kühn an die deutschen Theater-Moden des 21. Jahrhunderts. Bloß soll niemand glauben, er habe Schillers „Maria Stuart“ gesehen. Falls man wissen will, worum es dort geht – da wären die „Gesammelten Werke“ (falls sie aus dem Nachlaß der Großeltern nicht schon in der Papiertonne gelandet sind) angebracht. Oder auch das Reclam-Heftchen. Ja, im Internet findet man den Text auch. Oder – horribile dictu! – wie wäre es mit einer DVD der uralten Burgtheater-Aufnahme? Aber nein, wenn man googelt, findet man nur die „Maria Stuart“ von Stephan Kimmig am Hamburger Thalia Theater. War das nicht die Aufführung, wo Maria Stuart das ganze Stück hindurch im Zahnarzt-Stuhl gesessen ist? Auch nicht besser… Aber das deutsche Feuilleton war damals begeistert. Möglicherweise schafft das die Krämer-Version auch.
Renate Wagner