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WIEN / Josefstadt: LEBEN UND STERBEN IN WIEN

AgitProp als Wahlempfehlung?

07.03.2024 | KRITIKEN, Theater

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Fotos: Theater in der Josefstadt

WIEN / Theater in der Josefstadt: 
LEBEN UND STERBEN IN WIEN von Thomas Arzt
Uraufführung
Premiere: 7. März 2024,
besucht wurde die Generalprobe

AgitProp als Wahlempfehlung?

Das Theater in der Josefstadt bringt eine Uraufführung  des oberösterreichischen Autors Thomas Arzt, und man kann sicher sein, dass es sich dabei um ein Auftragswerk von Herbert Föttinger in Hinblick auf die Nationalratswahlen im Herbst  handelt.

„Leben und Sterben in Wien“ spielt in der Zwischenkriegszeit des vorigen Jahrhunderts, wo sich in Österreich die „schwarze“ Heimwehr und der „rote“ Schutzbund zerfleischten und damit die Tore ganz weit für den Nationalsozialismus öffneten.

Auch wenn Herbert Föttinger in einem Interview Herbert Kickl zur Premiere einlud (sehr von oben herab mit der flapsigen Bemerkung, dieser könne vielleicht etwas lernen – das Kreisky’sche „Lernen Sie Geschichte“ trifft wohl eher auf Leute, die meinen, ohne Kenntnisse in die Politik gehen zu können – und Nigeria zur ehemaligen deutschen Kolonie oder Norwegen zum Mitglied der EU erklären), so ist doch klar, dass sich dieses AgitProp-Stück, in dem beim Schwenken roter Fahnen „Die Arbeiter von Wien“ und andere sozialistische / kommunistische  Kampflieder von damals gesungen werden, genau gegen diesen Politiker und seine Partei richtet.  Das Theater als Kampfplatz – warum nicht? Das Theater kann bekanntlich alles sein.

Allerdings wird hier die Geschichte zwischen  1927 bis kurz vor dem Anschluß in Gestalt einer Heldenmädchen-Story mit ebenso vielen Schnulzen- wie Volkshochschul-Elementen erzählt. Fanni ist das arme Mädel im Dorf, das für den Bauern nicht nur schwer arbeiten, sondern ihn auch sexuell befriedigen muss, um überhaupt leben zu können. Sie hat eine nicht näher definierte Freundin namens Sara, die bald ermordet wird. Die Funktion dieser Figur (die Fanni auch in eine Lesben-Beziehung bringt, und das geht am Dorf gar nicht) besteht vor allem darin, die letale österreichische Fremdenfeindlichkeit zu geißeln – Sara wird ermordet, und die alte Bäuerin erklärt das damit, dass eine in sich geschlossene Gesellschaft keine Außenseiter duldet, schon gar nicht, wenn sie Ärger machen (etwa sozialistisches Gedankengut propagieren, wie Sara es tut). Da erledigt man solche Probleme selbst…

Fanni geht nach Saras Ermordung nach Wien und gerät in deren politische Kreise. Man weiß sogar genau, wann sie ankommt: Als es am 14. Juli 1927 nach den Schattendorf-Urteilen zu heftigen Tumulten in Wien kam – und Fanni, bei den Sozialisten von der Polizei aufgegriffen, ein veritables Waterboarding über sich ergehen lassen muss…Wie sie freikommt und wie aus dem bezopften Bauernmädchen eine mondäne Intellektuelle wird, die studiert (und vom Sohn des Bauern ihre Tochter bekommt), das wird in dem Stationenstück mit seinem schnellen Szenenwechsel nicht ganz klar. Wo es um die private Geschichte geht (Fanni zwischen den Männern, der gute Sozialist, der andere, der eher zu den Nazis abdriftet, der Kampf um ihr Kind, das ihr der böse Kindesvater abnehmen will), hat die Sache eher Illustrierten-Niveau. Wenn am Ende Fanni, ihre Tochter und die Gräfin (im Programm als Altmonarchistin bezeichnet, aber auch mit dem Besorgen illegaler Waffen für die „Roten“ tätig) in die Slowakei fliehen, fragt man sich, ob das ein Ratschlag an das Publikum sein soll  – geht rechtzeitig weg?

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Der Bilderbogen beginnt mit einem „G*strampften“ auf dem Land, und den ganzen Abend lang ist klar, wo die „Bösen“ sind und wo die „Guten“, um irgendwelche Differenzierung hat man sich da nicht bemüht. Herbert Föttinger als Regisseur hat dem Abend eine stringente Logistik gegeben, in einem vor allem durch Licht fabelhaft zu verwandelnden Bühnenbild (Künstlerduo „Die Schichtarbeiter“) wandern immer wieder viele Personen in alle Richtungen, symbolisieren veränderte Orte und das Vergehen der Zeit, wenn sie sich nicht zu gewaltsamen Aktionen ballen oder in besagte Kampflieder ausbrechen. Das ist stimmungsstark, allerdings nach und nach ein wenig einförmig, wenn man nicht immer wieder durch Morde und Leichenhaufen aufgeschreckt wird.

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In der zentralen Rolle der Fanni liefert Katharina Klar eine bemerkenswerte Leistung, auch in der Entwicklung vom armen geschundenen Mädchen zur kämpferischen Frau, was ja gelegentlich auch im Leben vorkommen mag. Johanna Mahaffy als leicht exotisch wirkende Sara macht klar, welche Irritationen sie auszulösen vermag. Eine Wessely-gleiche Frauengestalt bringt Ulli Maier auf die Bühne, Alma Hasun (mit einem schrecklich klischierten betrunkenen Auftritt, als sie erstmals erscheint) wechselt die Couleur von der randalierenden Arbeiterin zur noblen Heimwehr-Dame, und Lore Stefanek  erzeugt wahre  Gänsehaut, wenn sie eisenhart und reuelos erklärt, dass man tötet, was stört.

Die Männer haben weniger zu vermelden – Robert Joseph Bartl als brutaler Altbauer (und später, als dieser tot ist, noch als politisch verseuchter Priester), Jakob Elsenwenger als (weil Heimwehrler) sein widerlicher Sohn, Alexander Absenger als der intellektuelle Sozialist. Der Theaterdirektor, der Waffen hortet, wird trotz Günter Franzmeier zu keiner wirklichen Rolle, ebenso wenig der in Richtung Nazis abdriftende Student (Nils Arztmann) oder der von keiner echten Funktion getragene Kleinkriminelle (Thomas Frank). Der Polizist, den Joseph Lorenz in Dollfuß-Diensten spielt, wird jedem Unrechtsregime dienen. Man sieht, die Rollen sind überklar verteilt, Propaganda hat nichts mit Differenzierung und echtem Hinterfragen zu tun, sondern nur mit dem Versuch emotionaler Manipulation.

Ob die Nachfolger der „Arbeiter von Wien“ (die es ja nun wirklich nicht mehr gibt) durch diesen Abend davon abzuhalten sind, scharenweise doch Kickl zu wählen?

Renate Wagner  

 

 

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