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WIEN / Josefstadt: GLÜCKLICHE TAGE / HERZLICHES BEILEID

27.04.2023 | KRITIKEN, Theater

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Fotos. Theater in der Josefstadt

WIEN / Theater in der Josefstadt:
GLÜCKLICHE TAGE von Samuel Beckett
HERZLICHES BEILEID von Georges Feydeau
Premiere: 27. April 2023,
besucht wurde die Generalprobe 

Eigentlich hätte dieses Projekt schon 2019 in Nürnberg stattfinden sollen, aber damals legten sich die Beckett-Erben quer. Nun kam mit Verspätung im Theater in der Josefstadt doch zustande, was Altmeister Dieter Dorn (unvergesslich die Zeit, wo „seine“ Münchner Kammerspiele eines der tollsten Theater in Deutschland war) sich ausgedacht hatte. Nämlich Samuel Beckett, einen der wichtigsten Dramatiker des 20. Jahrhimderts, und Georges Feydeau, den französischen  Schwank-Bürgerschreck des 19. Jahrhunderts, auf einen Nenner zu bringen. Und der bezieht sich wohl auf die Absurdität menschlichen Daseins und menschlichen Verhaltens.

Um es vorweg zu nehmen: So richtig funktioniert es doch nicht, dass eine rabiate französische Bürgerin (aus George Feydeaus Einakter „Herzliches Beileid“), nachdem sie nächtlich sinnlos auf den Gatten gewartet hat, einschläft – und sich in einem Alptraum als Samuel Becketts Winnie in seinem legendären Zweiakter „Glückliche Tage“ wiederfindet.

Wenn nach der Pause, der mit dem zweiten Teil des Beckett-Stücks weiter geht, um dann in Feydeau zu landen, der Schrecken der Altersdemenz vorbei ist, sieht man nicht wirklich ein, was Madame Yvonne ernsthaft mit Winnie verbinden sollte. Dass die bis zum Exzess streitbare, böswillige Ehefrau in die gutwillige demente Alte mutieren sollte, die sinnlos versucht, jedem Tag ihres noch verbleibenden Lebens einen Sinn zu geben, und sei er noch so vage, kommt einem höchst unwahrscheinlich vor.

Man kennt „Glückliche Tage“, man hat in Wien geniale Schauspielerinnen in der Rolle gesehen, bei einem Festwochen-Gastspiel vor langer, langer Zeit die Legende Madeleine  Ranaud (gibt es übrigens auch auf DVD). Im Burgtheater waren Blanche Aubry und später Jutta Lampe die Winnie, eine italienische Robert-Wilson-Inszenierung des Stücks mit Adriana Asti gab es auch. Und immer ging es darum, dass Winnie und ihr (weitestgehend unsichtbarer) Gatte Willie alt sind, kurz vor dem Ende – das Zerbröckeln der Existenz hat Beckett unvergleichlich am Zerbröckeln der Gehirne gestaltet. Und Winnie in einen Erdhaufen gesetzt, in dem sie immer weiter versinkt – der vorgezeichnete Menschenweg unter die Erde. Eigentlich ein  Gruselstück, über das man auch gelegentlich lachen kann. Winnie mit einem grotesken Hut auf dem Kopf, Winnie mit Sonnenschirm, das sind ikonische Bilder der Theatergeschichte.

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Bei Dorn versinkt Winnie im Bett, das zentral die Bühne beherrscht, und die Darstellerin Anika Pages ist das, was sie dann bei Feydeau sein soll, eine attraktive Frau in mittleren Jahren. Nicht von wahrem Alter tragisch umflort, muss sie Winnie als hektische, überaktive und eben viel zu junge Dame spielen, die diese „Glücklichen Tage“ Becketts ziemlich obsolet macht.

Natürlich ist sie dann bei Feydeau richtig – in einem selten gespielten Einakter, der sich an sinnloser Absurdität auf Meta-Ebene möglicherweise mit Beckett messen kann, aber eine ziemlich hässliche Geschichte ziemlich hässlicher Charaktere erzählt, die zu goutieren schwer fällt.

Der Ehemann, Schuldenmacher und Pseudo-Künstler, ist ohne Gattin zu einem Fest gegangen und wird von ihr, als er nächtens endlich heimkehrt, mit allen erdenklichen Vorwürfen und Demütigungen empfangen. Seine Reaktionen lassen keinen Zweifel daran, dass er sie ebenso wenig leiden kann wie sie ihn. Als es dann um die ausführlich diskutierte Qualität von Madames Busen geht, muss auch das Dienstmädchen rücksichtslos aus dem Schlaf gerissen werden.

Als die beiden dann der nicht sehr lustigen Gemeinheiten müde sind, steht nächtlich ein Bote vor der Tür mit der Nachricht, Madames Mutter sei gestorben. Große Freude bei dem Ehemann, der seinen Gläubigern auf der Stelle triumphal schreibt, sie bekämen endlich  ihr Geld. Am Ende war’s ein Irrtum, der Bote hätte in die Nebenwohnung gehen müssen, und Dieter Dorn lässt das zweite Stück mit derselben Ratlosigkeit ausklingen wie das erste. Für eine überzeugende Verstrickung der beiden Werke reicht es nicht.

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„Lauter Unbekannte“ mäkelte ein Besucher neben mir, und tatsächlich gibt es in den Hauptrollen „fremde“ Gesichter, wenn man Michael von Au auch schon einmal in Wien auf der Bühne gesehen hat, aber es ist sehr lange her. Als Willie kriecht er nur, wie bei Beckett vorgesehen, am Ende der „Glücklichen Tage“ am Boden herum, als Lucien darf er Genervtheit und Unliebenswürdigkeit ausstrahlen. Anika Pages, die sich so vehement wie letztlich vergeblich um Winnie bemüht, ist eine zänkische Yvonne mit guter Figur und hübschem Busen (es sei nur erwähnt, weil es schließlich  auch darum geht). Johanna Mahaffy hascht als schläfriges Dienstmädchen nach Pointen, Tobias Reinthaller als dümmlicher Diener-Bote bekommt sie.

Man erinnert sich an Meisterinszenierungen von Dieter Dorn, die stets den Eindruck erweckten, dass er genau weiß, was er tut. Wenn hier im Einheits-Bühnenbild von Julia Schultheis (Gegenwarts-Kostüme, die  nicht unbedingt zum Blickfang werden: Monika Staykova) offenbar dafür gesorgt hat, dass weder besondere Stimmung noch irgendeine Art von Humor hoch kommt, hat er das zweifellos so gewollt. Aber warum?

Beckett ist zwar nur bedingt zum Lachen; aber Feydeau… na, der vielleicht eher doch. Hier allerdings nicht. Die Mischung macht es. Oder, wie man sieht, macht es auch nicht.

Renate Wagner

 

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