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WIEN / Josefstadt: FREMDENZIMMER

25.01.2018 | KRITIKEN, Theater
Ulli Maier (L) als "Herta Zamanik" und Erwin Steinhauer als "Gustl Knapp" am Samstag, 20. Jänner 2018, während einer Probe von "Fremdenzimmer" im Theater in der Josefstadt in Wien. Das Stück hat am 25.01.2018 Premiere.

Ulli Maier (L) als „Herta Zamanik“ und Erwin Steinhauer als „Gustl Knapp“

Foto: Theater in der Josefstadt

WIEN / Theater in der Josefstadt:
FREMDENZIMMER von Peter Turrini
Uraufführung
Premiere: 25. Jänner 2018

Die Josefstadt bewirbt sich selbst als der „Club der lebenden Dichter“. Heuer ist Peter Turrini für die große österreichische Uraufführung zuständig, Mitterer folgt später mit einem älteren Stück (und Kehlmann hat diesmal keines parat). Und natürlich geht es um eine „Hier und heute“-Problematik. Zumindest angeblich.

Denn alles, was wir von dem syrischen Flüchtling Samir erfahren, der im titelgebenden „Fremdenzimmer“ eines alten Wiener Ehepaars unterkommt, sind (nach 70 Minuten Spielzeit, und allzu viel länger wird es nicht) ein paar Sätze auf Englisch: Wie schön es einst in Aleppo war, dann kam der Krieg, die Mutter von einer Bombe zerrissen, Samir ist geflohen, weil er nicht töten wollte, am Mittelmeer endet sein Bericht – und mehr ist von ihm nicht zu erfahren.

Mehr interessiert Gustl und Herta auch nicht. Sie sind die – typisch Turrini’schen – Helden der Geschichte, der Flüchtling „passiert“ ihnen gewissermaßen. Immerhin hat er die Funktion eines Katalysators: Das entfremdete, einander angiftende Ehepaar hat sich am Ende wieder lieb. Und den Samir mögen sie dann auch. Dazu müssen sie gar nichts von ihm wissen. Es reicht schon, dass er Hertas Träume erfüllt (ihr damals 14jähriger Sohn ist vor Jahrzehnten verschwunden), und Gustl gibt es noch billiger, all seine blöden Sprüche gegen die Fremden abzulegen: Wenn dieser Samir ihm die Fernbedienung seines Spielzeugflugzeugs richtet und am Ende noch ein Bier trinkt, ist die Welt heil… Wenn man es durchdenkt, ist das äußerst dürftig für ein Stück, das die Flüchtlingsproblematik auf sein Banner geschrieben hat.

Wir erfahren (aus einem Textband über der Bühne, sehen tut man es nicht), dass Gustl und Herta in einer Erdgeschoßwohnung in einem Gemeindebau wohnen. Das macht es möglich, dass Samir (vor der Polizei davonlaufend) plötzlich in ihrem Wohnzimmer steht (vermutlich war das Fenster offen). Der Mann, Gustl, ein pensionierter Postler, möchte ihn gleich hinausschmeißen. Die Frau, die Herta, will zeigen, dass sie in der Beziehung zu bestimmen hat, und behält den jungen Mann. Hinten im „Fremdenzimmer“. Kurz, er darf bleiben – nicht aus Mitgefühl mit dem Verfolgten, ohne die geringste Reflexion, was sein Hiersein und seine Anwesenheit bedeuten. Zufällig halt. Und in der Folge darf er sich (Tamim Fattal muss beunruhigt, aber immer sympathisch und ungefährlich dreinsehen) bei den beiden aufhalten.

Wie Turrini in Interviews sagte, hat er die Gemeindebau-Wohnung ernst gemeint. Regisseur Herbert Föttinger hingegen scheint sich vor jeglichem Realismus gefürchtet zu haben. Was sich „Bühnenbild“ (Walter Vogelweider) nennt, ist keines: eine leere Bühne, höchstens mal eine Sitzgelegenheit, wenn man sie braucht, aber kein Raum, in dem man existieren könnte (auch wenn die schäbigen Klamotten von Birgit Hutter lebensecht sind, besonders für schlechten weiblichen Geschmack). Sondern der gleichnishafte Raum des Theaters, das seine Botschaft (oft mit Mikrophon) meist frontal ins Publikum sendet. Gustl und Herta sprechen weniger miteinander, als dass sie lehrstückhaft demonstrieren… ja, was eigentlich?

Denn für ihre elenden Schicksale brauchen sie den Flüchtling nicht, er bringt keinen Mehrwert in die Geschichte, die nur erzählt, wie viel Pech sie in ihrem Leben hatten. Natürlich, wenn man so kraftvoll besetzt wie hier, dann macht es nichts aus, wenn sie sich hinstellen und ihre Botschaften senden (Herta singt auch den einen oder anderen Pop-Song, um jeglichen Realismus zu killen). Ulli Maier, die einst ein so wunderbares filigranes Mädchen auf Wiener Bühnen war, ist nun das Vollweib, gerade noch in Josefstädter Grenzen ordinär, kraftvoll über ihr Schicksal räsonierend. Und Erwin Steinhauer als jener Postler, dem die vielen arabischen Namen auf den Briefen seinen Beruf vergällt haben (!), mischt die äußere Aggressivität und die bekannten Sprüche mit jener innerlichen „Paatzwaachheit“, die man den Wienern nachsagt.

Dafür fliegen sie dann auch (wie Peer Gynt seine Mutter Aase) am Ende in einem fiktiven Flugzeug mit ihrem Flüchtling ins fiktive Traumland. Viel Boden unter den Füßen hat der junge Mann, um den es angeblich geht, in diesem Stück ohnedies nie gewonnen.

Renate Wagner

 

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