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WIEN / Josefstadt: ES MUSS GESCHIEDEN SEIN

11.01.2024 | KRITIKEN, Theater

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Fotos: Theater in der Josefstadt

WIEN / Theater in der Josefstadt: 
ES MUSS GESCHIEDEN SEIN von Peter Turrini
Eine Kooperation mit den Raimundspielen Gutenstein
 „Uraufführung“ / Wiener Premiere: 11. Jänner 2024

Als Felix Mitterer 2019 ein Auftragsstück für die Raimundspiele Gutenstein schrieb und den Dichter als Person auf die Bühne brachte, ist das – nun ja, nicht allzu gut ausgefallen. Peter Turrini wollte für sein Auftragswerk des Jahres 2023 (das von Anfang an als Koproduktion mit dem Theater in der Josefstadt konzipiert wurde, das auch die Aufführung bereitstellte, die in Gutenstein das Jus primae noctis bekam) diesen Fehler nicht wiederholen.

Allerdings ging er sehr viel weiter, denn er schrieb ein Stück, das mit Raimund überhaupt nichts mehr zu tun hat. Es geht einzig und allein um die Wiener Revolution des Jahres 1848. Und dass die Schauspielertruppe, bei der sich die Handlung abspielt, gerade der „Bauer als Millionär“ probt, ist völlig irrelevant, es hätte jedes andere Stück jedes anderen damaligen Autors sein können. Nur dieses hätte eben nicht das berühmte Lied der Jugend „Brüderlein fein, des muss geschieden sein“ zu bieten gehabt. Raimund setzt dem Ganzen als Titel nur ein Mascherl auf. Nun ja, er war im Jahr 1848 schließlich schon zwölf Jahre tot.

Der Beginn ist viel versprechend, denn der Adam Holzapfel, der sich als Erzähler einführt, wirkt wirklich wie eine Figur des Altwiener Volkstheaters, wenn auch weit eher von Nestroy (von Raimund könnte der nicht sein). Aber das macht ja nichts, wenn er beginnt, von sich, seiner Armut, seinen vielen Berufen und von der wilden Zeit zu erzählen, die er damals, im Jahr 1848, erlebt, wo sogar die Wiener den Aufstand probten. Das Hauptanliegen des Autors ist es, wie sich im Lauf des angenehm kurzen Abends zeigt (eindreiviertel Stunden, die trotzdem in den Theaterszenen unnötige Längen haben), so viel Information über die damaligen Zustände anzubringen wie möglich – natürlich mit dem klassischen Blick von „unten“, denn die Schauspieler, die da in der Vorstadt mehr schlecht als recht den Raimund proben, gehören auch zu den armen Leuten, um die es Turrini immer geht.

Der Adam Holzapfel, der fünf Kinder ernähren muss, also mehrere Berufe braucht (das geht heutzutage auch manchen Leuten so), stellt sich erst als Füsilier vor, das heißt, er nimmt des Geldes wegen die unerfreuliche Aufgabe auf sich, Verurteilte zu erschießen. Als Hausmeister am Theater ist sein Job weniger blutig – da dient er für die Schauspielerschar, die sich zuerst um die Revolution „draußen“ nicht recht kümmert, als Wegweiser in die Wirklichkeit. Die Turrini dann in so blutige, tragische Ereignisse treibt, dass die entzückende Heldin am Ende auf ihre Hinrichtung wartet. Wenn sie dann „Brüderlein fein“ singt, trieft der bekannte Turrini-Kitsch in der üblichen Unerträglichkeit von der Bühne…

Wirklich gelungen sind ihm außer dem Holzapfel nur zwei Figuren: Die Zilli, die junge Schauspielerin, die sich auch für ein paar Kreuzer verkauft (denn, wie rührend, ihr Traum ist es, mit dem Montgolfier Ballon im Prater in den Himmel zu steigen), dann aber ganz wahr und schrecklich verliebt ist. In jenen Karl, der – klassisch! – der Sohn des reichen Kapitalisten und Leuteschinders ist und den Vater so verachtet, dass er sich den Revolutionären anschließt. Ziemlich realistisch ist das Ende – als auch er hingerichtet werden soll, kauft der reiche Papa ihn los. Die arme Schauspielerin muss daran glauben…

Wenn die „Revolution“ von der Straße auch zu den Schauspielern übergreift, wollen sie gleich den Kaiser aufhängen (tatsächlich erwischt hat es ja  den Kriegsminister Graf Latour, der von einer Straßenlaterne baumelte) und veranstalten wüst die (historisch verbürgte) „Katzenmusik“. Da will sich Peter Turrini wohl selbst daran erinnern, dass er einmal ein Bürgerschreck erster Ordnung war. Ein bisschen von dem Entsetzen will er nun auch auf die Josefturrini es muss geschieden sein 200 3000städter Bühne bringen, nachdem sein vorangegangenes Stück so beschaulich ausgefallen ist…

Dass die Josefstadt den wunderbaren Günter Franzmeier davor erlöst hat, einem Volkstheater nachzuweinen, das nicht mehr seines ist, ist dem Haus nur gut bekommen –  zuletzt mit dem „Himbeerpflücker“, nun mit dem Holzapfel, für den er die Wut, den Schmäh und die nötige Präzision mitbringt Im Grunde trägt er den Abend.

Allerdings spielt sich Johanna Mahaffy (nach der Lulu in der seltsamsten aller Inszenierungen) erneut in den Vordergrund: eine starke Persönlichkeit, die Überlebens-Realismus genau so glaubhaft macht wie abgehobene Liebe. Auch die andere Dame des Stücks, Susanna Wiegand, bekommt etwas wie ein Schicksal, wenn die resolute Schauspielerin erzählen darf, wie elend es das Leben mit ihr gemeint hat.

In Gutenstein gab es Besetzungen, die zumindest für die Wiener  Premiere ausgetauscht wurden, um den Abend gewissermaßen josefstädtisch „up-zu-graden“. Doch der Schauspieler Ludel bleibt auch eine Wurzen, wenn Michael Dangl ihn spielt, während Direktor Herbert Föttinger elegant zynisch die Rolle des Kapitalisten verkörpert, der weiß, dass man alles kaufen kann – wenn es (Turrini scheint es zu wissen) offenbar verdammt teuer sein soll, einen österreichischen Minister zu bestechen…

Julian Valerio Rehrl ist der junge Liebhaber, Alexander Strömer hat eigentlich keine Rolle, und Thomas Frank ist der Schwachpunkt in dieser sonst braven, in den Theater-Proben-Szenen nicht wirklich gestalteten Inszenierung von Stefanie Mohr, da er nicht imstande ist, mit seinen Mitteln umzugehen und sich ziellos durch seine Rolle schreit und wogt.

Das Publikumsinteresse an der Premiere war nicht übergroß, im dritten Rang fanden sich maximal ein Dutzend Personen. Dennoch viel Applaus, besonders dann, als Herbert Föttinger Peter Turrini nach vorne schob, der im Lauf des Jahres 80 wird und auch als alter Herr nicht vergessen will, dass er einmal ein böser Bube war.

Renate Wagner

 

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