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WIEN / Josefstadt: EIN VOLKSFEIND

22.09.2022 | KRITIKEN, Theater

volksfeind szene x~1
Fotos: Theater in der Josefstadt

WIEN / Theater in der Josefstadt:
EIN VOLKSFEIND von Henrik Ibsen
Premiere: 22. September 2022 ,
besucht wurde die Generalprobe

„Ein Volksfeind“ von Henrik Ibsen. Ein Stück von 1882. Schnee von gestern, 140 Jahre alt? Mitnichten. Mit keinem seiner berühmten „Frauen-Dramen“ (Nora, Hedda Gabler, die in der nunmehrigen „Volksfeind“-Aufführung der Josefstadt kurz zitiert werden, als es um Frauennamen geht) war der große Norweger uns hier und heute näher.

Das Stück handelt von politischen Interessen, die einen Skandal begraben und totschweigen wollen (die Stadt Wien kann derzeit mit einem aktuellen Beispiel aufwarten). Es handelt von kapitalistischen Manipulationen, wie man mit Geld Menschen und Macht kauft /ein guter Job, und schon ist ein Kläffer mundtot gemacht). Und es geht um eine manipulierte und manipulierende Presse, die sich so lautstark auf ihre Redlichkeit beruft und nichts davon besitzt (so wie derzeit ganz aktuell mehrere ARD-Sender ihre Chefs politischer Willfährigkeit und Behinderung journalistischer Arbeit anklagen). Könnten die Themen aktueller sein?

Wenn nun ein aufrechter Mann wie Ibsens Dr. Thomas Stockmann seiner kleinen Stadt sagen muss, dass die Badeanstalt, die so viel Geld bringen soll, lebensgefährlich ist – dann kann man ihn (einst und heute, aber besonders heute, im Zeitalter der Fake-News) ganz leicht mit „Gegen-Gutachten“ aushebeln – man erinnert sich an Zeiten, die noch nicht vergangen sind, wo „Fachleute“ zu Covid einander ins Gesicht das genaue Gegenteil behaupteten und im Grunde niemand wissen kann, wo die Wahrheit liegt…

Um den Einzelnen, der sich gegen die geballte Macht von Politik in Gestalt seines Bürgermeister-Bruders Peter Stockmann, gegen die wankelmütige Presse, gegen die Verlockungen des Geldes stellt und die Risiken für sich und seine Familie in Kauf nimmt, geht es, um den Mann, der die Ausgrenzung durch die Gesellschaft in heutiger „cancel“-Manier schon bei Ibsen erfährt. Wobei unser Dr. Stockmann bei Ibsen unerschütterlich bleibt, so groß der Druck auch sein mag. Noch kein Regisseur hat ihm das geglaubt. Auch diese Produktion nicht.

Dafür hat die Josefstadt David Bösch engagiert, der im Burgtheater zumindest für eine beängstigende Erinnerung an seine Version von Nestroys „Talisman“ gesorgt hat. Mit dem „Volksfeind“ geht er geschickter um. Man möchte zwar nicht aufzählen, was an dem Stück alles umgedichtet wurde, wie viele Rollen gestrichen, Situationen verändert (im Original haben Stockmann und seine Frau drei Kinder, darunter eine schon erwachsene Tochter, hier gibt es einen kleinen Jungen und eine schwangere Frau Stockmann),

Man bekommt natürlich auch kein Wohnzimmer bei Stockmann, sondern eine Beton-Mischmaschine, weil er offenbar ein Haus baut (wovon bei Ibsen nicht die Rede ist). Es gibt kein Politiker- Büro und keine Zeitungsredaktion, Bühnenbildner Patrick Bannwart begnügt sich auf leerer Drehbühne im übrigen mit einem riesigen Konferenztisch, der später in seine einzelnen Bestandteile zerlegt wird –  immerhin das überzeugende Bild eines äußeren Chaos. Die Welt ist heutig, die Kostüme (Falko Herold) so, als wären sie keine, und sogar die unerlässliche Video-Wand wird mit einer Ausnahme (wenn irgendwelche Bürger uns etwas vorspeiben) sinnvoll genützt.

Kurz gesagt, Bösch hat das Stück  gewaltig reduziert, (eine Stunde 50 ohne Pause), allerdings das Wesentliche belassen, er hat mit voller Wucht in die Sprache eingegriffen (da gibt es alte weiße Männer, da wird gegendert, da läuten die Handys für durchaus heutiges Gelabere), aber was Ibsen erzählen wollte, ist überzeugend her geholt. Dass in einer Erwähnung nebenbei von Prinzessin Victoria „und ihrem Fitness-Trainer“ die Rede ist, würde die Sache allerdings in den Beginn des Jahrtausends verlegen, denn schließlich hat sie ihn 2010 nach langer Beziehung geheiratet?

volksfeind die zwei x~1

Der Abend funktioniert trotz seines gewissermaßen möglichen spartanischen Konzepts letztlich  nicht, und das liegt an den Schauspielern. Ob sie falsch besetzt sind, oder ob der Regisseur sie nicht „anzünden“ konnte – wer weiß. Jedenfalls ist es unbegreiflich, dass ein so spannendes Stück so langweilig, so ohne jeden Impetus daherkommen kann.

Roman Schmelzer hat für den „Volksfeind“ weder Kraft noch Überzeugung zu bieten, Günter Franzmeier als Politiker-Bruder bleibt gänzlich eindimensional, und Martina Ebm als Stockmanns Frau erweckt nicht den Eindruck, als würde sie ihr Schicksal sonderlich interessieren. Drei Journalisten bleiben am Rande und wären doch so lebendig gedacht (Oliver Rosskopf, André Pohl, Jakob Elsenwenger, Letzterer als von der Politik gekaufter Wendehals), ein Schwiegerpapa, der immerhin den gerissenen Kapitalisten verkörpern soll, fällt in Gestalt von Johannes Seilern kaum auf.

Vielleicht hat die Inszenierung dem Stück doch zu viel weggenommen, aber „Atmosphäre“ im Sinn von einst war ja nicht gefragt. Wenn die Darsteller bloß der Dialektik des Ganzen zu ihrem Recht verholfen hätten!

Renate Wagner

 

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