Foto: Theater in der Josefstadt
WIEN / Theater in der Josefstadt:
DIE STÜTZEN DER GESELLSCHAFT nach Henrik Ibsen
In einer Neufassung von David Bösch
Premiere: 7. September 2023
Der riesige Arbeitstisch, der die Bühne zentral fast ausfüllt, kommt einem bekannt vor. Ähnliches gab es schon vor einem Jahr im „Volksfeind“, womit Regisseur David Bösch seinen Josefstadt-Zyklus mit Ibsens sozialkritischen Stücken begonnen hat. Dieser wird nun mit „Die Stützen der Gesellschaft“ fortgeführt – eine kühne Überschreibung des Originals, der man allerdings zugestehen muss, dass sie den Nerv der heutigen Zeit trifft. Gewiss wäre es anständiger, sich ein eigenes Stück zu schreiben, aber Bearbeiten ist immer noch einfacher, wenn man auch einen Teil der meist recht durchsichtigen Ibsen-Dramaturgie mitnehmen muss.
„Die Stützen der Gesellschaft“ spielen also heute, dort, wo es Werften gibt, und die harte, schwere Sozialkritik des Originals ist einem Wirtschaftskrimi gewichen, den jeder erkennen kann. Schon zu Beginn die üblichen Werbefloskeln von Nachhaltigkeit und Umweltbewusstsein, glücklichen Angestellten, die in einem jahrhundertealten Qualitäts-„Familien“-Traditions-Betrieb arbeiten dürfen, Projekte, die nur auf das Wohl der Mitmenschen, zumal auf jenes der nicht so betuchten Zeitgenossen, ausgerichtet sind.,, Das Geschwätz, das uns von der Wirtschaft täglich per Fernsehen aufgedrängt wird, wobei niemand hinterfragt, wer das glauben soll.
Aber ein Mann wie Karsten Bernick, in der David-Bösch-Fassung nicht mehr der große Konsul, sondern der Sohn seines Vaters, dessen Büste den Betrieb schmückt, scheint rein äußerlich für etwas zu stehen. Neben der Werft hat er noch große Pläne, eine „Social City“ will er bauen – und dick daran verdienen, ebenso wie der von Bearbeiter neu zugeteilte Mit-Investor, der ebenso wie Bernick nur die Gewinne im Blick hat, auch wenn man dafür Arbeiter massenweise entlässt… Wie auch anders, man nickt als Zuschauer verständnisvoll mit dem Kopf.
Gerade die neueste Bayern-Affäre im Gedächtnis, lässt man sich von Ibsen gerne sagen, dass die Sünden der Vergangenheit immer einmal auftauchen, vermutlich zum ungünstigsten Augenblick. Dass einst eine Unterschlagung beklagt wurde, die nie stattgefunden hat (nur so konnte man sich „unschuldig“ aus einer finanziellen Misere retten), und dass das Kind aus einer unehelichen Beziehung jemandem anderen untergeschoben werden konnte – alles nur möglich, weil Bernicks Schwager mit seiner Schwester ohnedies nach Amerika abdampfen wollte. Ein Schuldiger war gefunden, die Firma konnte gerettet werden.
Aber, wie das Schicksal und das Theater so spielt – die beiden so praktisch Verschwundenen kehren zurück, und auf der Bühne hat die Stunde der Wahrheit zu schlagen – oder auch nicht.
Da wird die Bearbeitung von Bösch dann ganz böse – er führt die Ibsen-Handlung, dass Bernick seinen Vorarbeiter auf die übelste Art zwingt, ein kaum repariertes Schiff auf See zu schicken, in aller Schärfe aus. Aber während der Dichter des Originals Gnade walten lässt, sind bei Bösch am Ende viele tot. Und nein, Bernick gesteht all seine Schandtaten nicht ein, im Gegenteil, lastet die Verantwortung anderen auf, ist selbst das arme Opfer, lässt sich dafür feiern, tapfer weiter zu machen…
Das ist von der Dramaturgie her weit böser als Ibsen je, aber als Zuschauer hält man es (weil man den bösen Kapitalisten ohnedies alles zutraut) nicht eine Sekunde lang für unglaubwürdig. Und man kann nur sagen, dass hier (zumal die meisten das Original nicht kennen) ein für heute gültiges Stück namens „Die Stützen der Gesellschaft“ auf der Bühne steht. Wenn man bei unseren Industriellen und Machtmenschen nachgraben würde… eben.
David Bösch inszeniert das Stück, das so sehr seines ist, in Alltagsgewändern (Moana Stemberger) und (pausenlosen zwei Stunden auf der variablen Einheitsbühne (Patrick Bannwart), die immer verkörpert, was man braucht. Raphael von Bargen ist nach außen rücksichtslos, aber man darf schon die Ängste aller Art spüren, die ihn umtreiben. Da hat Michael König als Geschäftspartner mehr rücksichtlose Härte zu bieten (um besondere Verbindlichkeit bemüht er sich gar nicht). Die glaubhafteste und ergreifendste Figur stellt André Pohl auf die Bühne – ein Vorarbeiter, der seine eigene Existenz riskieren würde, wenn er das marode Schiff nicht aufs Meer schickt. Man möchte nicht in seiner Haut stecken, und er macht es spürbar.
Der Rest der Geschichte ist „privat“ und geht neben der „kommerziellen“ Handlung eher unter. Seltsam, dass Maria Köstlinger als die heimgekehrte Schwägerin, die bei Ibsen Bernicks Gegenspielerin ist, kaum zur Geltung kommt – ein spätes Hippie-Mädchen, das gelegentlich flucht, aber ohne Kraft. Die kleine Tochter der Schauspielerin, eigentlich Bernicks Kind, in der Familie gnadenhalber „angenommen“, ist ganz Protest – Paula Nocker stampft auf, aber viel Profil gewinnt auch sie nicht, ebensowenig wie Michaela Klamminger (im Original eine schönere Rolle) oder Marianne Nentwich in einer unnötigen Szene. Silvia Meisterle als Bernicks Gattin wird gleichfalls an den Rand gedrückt-
Gleiches geschieht den Männern, Oliver Rosskopf, Jakob Elsenwenger imd Marcello De Nardo (der vor ein paar Jahren in Reichenau den Bernick gespielt hat) in einer Mini-Rolle.
David Bösch hat sich weit weniger auf die Figuren als auf die wirtschaftspolitische Handlung und Aussage konzentriert. Das ist ihm gelungen. Verdienter Beifall.
Renate Wagner