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WIEN / Josefstadt: DER WALD

13.10.2022 | KRITIKEN, Theater

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Fotos: Theater in der Josefstadt

WIEN / Theater in der Josefstadt: 
DER WALD von Alexander Ostrowskij
Premiere: 13. Oktober 2022,
besucht wurde die Generalprobe

Alexander Nikolajewitsch Ostrowskij (1823 – 1886) hat eine Unzahl von Stücken geschrieben. Gespielt werden nur noch wenige davon, am meisten „Der Wald“, wohl, weil es sein überzeugendstes Werk ist. Zeitlich zwischen Gorki und Tschechow gelegen, hat Ostrowskij von ersterem die gallbittere Betrachtungsweise, von letzterem das Personal – reiche oder weniger reiche Großgrundbesitzer, deren abhängige arme Verwandte und ausgebeutetes Personal, reich und unverschämt gewordene Bauern.

Ja, und als Kirsche auf dem Sahnehäubchen dieser Untergangsvision treten zwei Schauspieler auf, die ein paar kabarett-reife Szenen über das Schauspieler-Wesen abliefern dürfen, aber auch ihre entscheidende Rolle im Gefüge dieser Welt spielen, in der sich alles nur um Geld zu drehen scheint… Denn letztlich sind die beiden abgerissenen Figuren, auch wenn sie ganz gerne reich wären, ja doch freie Geister, die sich nicht vom Mammon unterjochen lassen – sondern weiter ziehen.

Wirft Tschechow einen zwar kritischen, aber doch auch verständnisvollen Blick auf seine Figuren, so lässt Ostrowskij an ihnen (unschuldige Junge ausgenommen) kein gutes Haar. Auf der Bühne ist die Verführung, die ganze Bagage frontal als solche auszustellen, groß, und auch Regisseur Stephan Müller ist ihr in der jüngsten Josefstadt-Aufführung erlegen – zwanzig Jahre nach der letzten Burgtheater-Interpretation, wo genau dasselbe geschah.

Das macht die ganze Geschichte ziemlich eindimensional, wenn man sich gar nicht überlegen muss, ob man für die eine oder andere Figur etwas Verständnis oder gar Mitgefühl aufbringen könnte… Müllers Inszenierung zeichnet sich im übrigen durch wenige und höchst überflüssige Video-Spiele aus, und die Ausstattung von Sophie Lux setzt auf stimmungslosen Minimalismus. Nur die Kostüme von Birgit Hutter (wenn auch – absichtlich? – nicht immer geschmackssicher, der rote Hut der Gurmyscheskaja am Ende, brrr!) lassen ahnen, dass das nicht unbedingt hier und heute spielen soll.

Worum geht es? Vor allem um Geld. Raissa Pawlowna Gurmyscheskaja ist nicht so reich, wie sie es gerne wäre, muss Teile ihres Waldes (nicht wie bei Tschechow angebetete Natur, sondern einfach Handelsware, die so teuer wie möglich verschachert werden soll) an den reichen, unverschämten und betrügerischen Holzhändler  Wosmibratow verkaufen. Die, die dringend Geld brauchen, leben in ihrem Schatten – eine Nichte, die Mitgift benötigt, damit Wosmibratow sie seinen Sohn heiraten lässt, und ein junger Mann, den die alternde Gurmyscheskaja eigentlich für sich selbst will und ihn sich auch holt. Bulanow, dem Betroffenen, ist alles egal, wenn er nur irgendwie zu Geld kommt, dafür verkauft er – auch sich selbst.

Sind die beiden abgerissenen Provinzschauspieler, deren Truppen sich aufgelöst haben und die sich zufällig in der Nähe des Gutes der Gurmyscheskaja treffen, besser? Als ob sie direkt aus Qualtingers „Der Menschheit Würde“-Kabarett stolperten, geben sie sich Illusionen über die eigene Bedeutung hin – und dann doch wieder nicht… Denn Nestschastliwzew, der Heldendarsteller, und Stschastliwzew, der klassische „zweite Mann“, wissen natürlich genau, was sie sind und was nicht. Aber ersterer mag hoffen, bei der Gurmyscheskaja unterzukommen, ist er doch ein Neffe ihres verstorbenen Gatten. Da kann man zumindest ein paar Mahlzeiten schnorren und eine großartige Rolle spielen – den Ex-Militär, nun hohen Beamten, das alles mit dem einzigen guten Gewand, das man aus dem Fundus gerettet hat. Amüsant und tragisch zugleich.

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Als „Komödie“ bezeichnet, durchwirken sich Komödie und Tragödie unentwirrbar, und Regisseur Stephan Müller setzt zwar auf deutliche Überzeichnung einerseits, andererseits aber durchaus auf Kenntlichmachung des Stücks ohne besondere Mätzchen. Eine miese Bande wird vorgeführt, und alle Darsteller lassen sich darauf ein. Nur Johanna Mahaffy als arme Nichte und Tobias Reinthaller als unterdrückter Sohn ragen hervor, weil bei ihnen echte Gefühle vorherrschen und auch glaubhaft gemacht werden dürfen.

Andrea Jonasson als Gurmyscheskaja ist hingegen ein wahrer Popanz einer geld- und sexgierigen Alten, mit immer wechselnden rothaarigen Frisuren und nach und nach lächerlicher Gewandung, wenn sie sich endlich entschließt, den jungen Mann, auf den sie es abgesehen hat, zu verspeisen. Nein, die Jonasson lässt in uneitler Strenge mit ihrer Figur keine Milde walten.

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Als ihr Opfer liefert Claudius von Stolzmann als Bulanow eine kleine Meisterleistung, seine körperlichen Verdrehungen reflektieren den zappeligen Opportunismus des zutiefst unsicheren, hoffnungslos Armen, alles, aber auch alles zu unternehmen, um irgendwie zu Geld zu kommen. Solcherart wird er zur interessantsten Figur des Abends.

Keine weitere Bedeutung haben zwei reiche Nachbarn (Robert Joseph Bartl, Michael König), nachdrücklich hingegen ist beim reichen Holzhändler Wosmibratow durch Marcello De Nardo Schlitzohrigkeit, Tücke und Skrupellosigkeit ausgeprägt. Das Personal resigniert (Alexander Strömer als Diener) oder intrigiert sich schmeichlerisch  in die Gunst der Herrin (Susanna Wiegand als Haushälterin, bei der Generalprobe wegen  Erkrankung durch die Regieassistentin ersetzt).

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Bleiben noch die beiden Schauspieler, berühmte Traumrollen, um derentwillen man das Stück meist ansetzt. (Direktoren können auch gut zu sich selbst sein, dafür gibt es viele Beispiele.) In diesem Fall kann Herbert Föttinger mit großer Geste den eitlen, aber in tiefer Seele doch anständigen Mimen aufplustern. Sein Begleiter ist an sich nur ein komischer Side-Cick, der untergehen kann, wenn man ihn nicht hoch besetzt. Hat man dafür Robert Meyer, der in eineinhalb Jahrzehnten Operette und Musical das theaterspielen nicht verlernt hat, bekommt der Don Quichotte hier einen Sancho Pansa, der sich seine Pointen nicht rauben lässt.

Zu zweit sind sie stärker als allein, gemeinsam fordern sie das „Jahrhundert in die Schranken“ – das martialische russische Lied, das sie zum Finale singen, versteht wohl nur, wer Russisch kann, aber es klang sehr nach Revolution. Die ja auch gekommen ist, allerdings sehr viel später – der „Wald“ stammt aus dem Jahr 1871… aber schon damals hat Ostrowskij gezeigt, warum diese Welt untergehen musste.

Renate Wagner

 

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