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WIEN / Josefstadt: DER KIRSCHGARTEN

05.12.2019 | KRITIKEN, Theater


Alle Fotos: Barbara Zeininger

WIEN / Theater in der Josefstadt:
DER KIRSCHGARTEN von Anton Tschechow
Premiere: 5. Dezember 2019,
besucht wurde die Generalprobe

Der Etikettenschwindel an der Josefstadt geht weiter. Zwar nicht ganz so unverschämt wie bei „Rosmersholm“, was nicht einmal „nach Ibsen“ war. Aber dass man in der jüngsten Produktion des Hauses „Der Kirschgarten“ von Anton Tschechow gesehen hätte, könnte niemand behaupten. Am Werk war Regisseurin Amelie Niermeyer, an die man nach ihrer sinnlosen Theater an der Wien-„Rusalka“ nur grimmige Erinnerungen hat. (An der Staatsoper wird sie den Original-„Fidelio“ inszenieren – das ist wahrlich eine Wiener Überdosis der Dame für eine Saison.) An den „Kirschgarten“ hat sie schon die Säge angesetzt, bevor die Elektrosägen am Ende des Stücks aufjaulen – die Zertrümmerung beginnt von Anfang an.

Erst mit dem Bühnenbild, Zertrümmerungseffekt Nr. 1 – skelettartig steht ein Stahlgerüst auf der Drehbühne, nach allen Seiten offen, ohne zentralen Bezugspunkt, es sei denn, man nehme die gelegentlich im Mittelpunkt stehende Küchentheke als solche. Dort wird auch – wir sind hier und heute, wenn der alte Schwarzweiß-Fernseher auch recht gestrig wirkt – gelegentlich im Mixer irgendwas Gesundes aus gehexeltem Gemüse zubereitet. Das ist jedenfalls nicht das Gut, in das die vom Leben gerüttelte Schauspielerin Ranjewskaja zurückkehren würde, um in der Welt ihrer Jugend wieder Boden unter den Füßen zu finden. Der riesengroße, wunderschöne Kirschgarten, von dem es nichts zu sehen gibt, ist in solcher Bühnenwelt eine Behauptung, an die zu glauben schwer fällt.

Zertrümmerungseffekt Nr. 2: Die Inszenierung ist, wie heute üblich, mit modischen Accessoires vollgepfropft, nach deren Sinn keiner fragt. Wie soll man sich angesichts der Songs fühlen, die Ian Fisher „vom ersten Stock“ herab immer wieder beisteuert, paraphrasierter Pop ohne weiteren Handlungsbezug, aber ach so heutig. Da greift dann auch Lopachin, der ungebildete Bauer, zum Saxophon und bläst uns was vor. Ja, und die Gouvernante, die keine ist? Die darf einem kleinen Babybären den Popo auswischen, ihm dann eine Windel umbinden und diese noch festkleben. Wenn es ein Symbol für etwas sein soll (Rückfall in die Kindlichkeit?), so wird es mit Sicherheit nicht benötigt… Das ganze sinnlose Bedeutungspathos, das hier produziert oder unterwandert wird (ein angeblich „antiker“ Schrank erweist sich als banales weißes Küchenkastl), geht ins Leere.

Zertrümmerungseffekt Nr. 3 gilt schließlich den Menschen des Stücks, die bis zur Unkenntlichkeit verzerrt werden. Mit einer Ausnahme, die am Ende zu besprechen ist, steht fast niemand als der/diejenige auf der Bühne, den/die Tschechow gezeichnet hat. Man hockt wie ein Prolo-Verein zusammen, benimmt sich auch so, oder man fletzt herum und treibt es auf der Küchentheke. Die vordringliche Intention der Regie bestand offenbar darin, ein möglichst unübersichtliches Chaos zu erzeugen, so dass keine Figur die Gelegenheit bekommt, sich zu zeigen (oder auch zu entwickeln). Wenn selbst die Ranjewskaja irgendwie im Gewimmel untergeht und keinesfalls ihren Rang im Gefüge einnimmt, tut man sich nicht nur mit der Orientierung schwer. Man fragt sich auch, für wen auf der Bühne man sich wirklich interessieren soll. Ein paar junge Frauen, ein paar halbjunge Männer, und eine Gouvernante, die hier ein Transvestit ist, ein ehemaliges „Zirkuskind“, und der in einer Strip-Tease-Szene noch seine Kronjuwelen ausstellt, damit wir auch sicher wissen, dass wir es mit einem Mann zu tun haben. Ja und? Was bringt das? Who is Who und wer will was? Das sind nicht die Tschechow-Menschen. Das ist eine handwerklich gekonnte, brutal durchgezogene  Regie-Idee, und keine gute.

Zertrümmerungseffekt Nr. 4 bezieht sich schließlich auf die Geschichte, die das Stück erzählen sollte und von der man nichts mit bekommt. Abgesehen davon, dass es in der Gegenwart (Putins Russland?) wohl keinen Punkt gibt, wo man sie verankern könnte. Die Großbürger, die von ihren Gütern ganz behaglich lebten, zu wenig darauf geachtet haben und plötzlich vor dem Nichts stehen. Andere sind reich geworden – dann wäre Lopachin, der Aufsteiger aus dem ärmsten Bauernstand, ein Oligarch? Der würde sich allerdings anders benehmen. Bei Tschechow hat jede Figur ihren Umriß, ihr Schicksal, auf der Bühne der Josefstadt nichts davon. Die jungen Männer, die bei dem Dichter philosophieren, entweder (in Vorausblick auf unsere Ego-Gesellschaft) unaufhörlich über ihr eigenes Unglück oder als politische Utopisten über eine bessere Welt, sind hier dermaßen nichtssagend besetzt, dass man sie kaum wahrnimmt. Was sehen wir also? Chaotische Einblicke in eine desolate, durch und durch würdelose Gesellschaft, von der wir nicht wissen, was sie uns erzählt.

Enttäuschung des Abends ist jene Schauspielerin, die eine ideale Ranjewskaja hätte sein müssen: Sona MacDonald, im heutigen Weißhaar-Kurzhaar-Look, der alles andere signalisiert als den großen Star (ob einst oder heute), schlängelt sich schmal durchs Geschehen, das sich von der Regie her so gut wie nie auf sie fokusiert. Ein paar Mal blitzt das Schicksal auf – die Erinnerung an die Mutter im Kirschgarten, der immer noch wache Schmerz um den im Kindesalter ertrunkenen Sohn, die Resignation der Frau, die von den Männern stets ausgebeutet wurde. Aber nur am Rande, ganz am Rande. Ewig schade.

Drei junge Frauen, eine hübsch (Gioia Osthoff tut wenig), eine verhärmt (Silvia Meisterle tut zu viel) eine hektisch (Alma Hasun übertreibt). Eine Frau, die hier zum Mann geworden ist – Alexander Absenger liefert eine ganz eigene, ganz fremde Show als „Gouvernante“ Charlotta und ist von stellenweise widerlicher Penetranz.

Götz Schulte, ein Bruder, der gerne mitspielen würde, dem man aber nicht einmal zuhören will. Desgleichen Claudius von Stolzmann als jener junge Diener, der sich seine Zukunft auch ervögeln würde, wenn man ihn ließe. Nikolaus Barton, ein Student, den man kaum wahrnimmt (den Schauspieler nämlich). Igor Karbus, ein Egozentriker ohne Umriß. Robert Joseph Bartl jammert um Geld. Er ist einer der wenigen, denen man an diesem Abend gelegentlich etwas glaubt.

Und Raphael von Bargen in der zentralen Rolle des Lopachin, die entschlossene, kapitalistische Gegenposition zu den sich treiben lassenden Sommergästen: Auch das ist mehr Show als genuines Schicksal.

Und schließlich Firs, der Uralte. Noch einmal Otto Schenk, der Uralte, auf den Brettern der Josefstadt. Nicht Gebrechlichkeit ist seine herausragendste Eigenschaft, sondern Würde. Er steht für eine Welt, wo alles noch seine Form hatte. Bewundernswert. Otto Schenk – im doppelten Sinn ein Relikt aus einer anderen Theaterzeit. Von damals, als die Autoren und ihre Stücke noch etwas gegolten haben…

Nach der Generalprobe sagte eine Dame zu einer anderen: „Ich bin entsetzt.“ Aber wer kümmert sich heutzutage schon um das Publikum, wenn man doch nur nach dem Lob des Feuilletons hechelt? Und das ist für Aufführungen wie diese billig zu haben.

Renate Wagner

 

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