Fotos: Theater in der Josefstadt
WIEN / Theater in der Josefstadt:
DER IDEALE MANN von Oscar Wilde
Deutsche Fassung von Elfriede Jelinek
Premiere: 18. Dezember 2021,
besucht wurde die zweite Vorstellung am 19. Dezember 2021
Zweimal schon hat die Josefstadt aus Corona-Gründen die Premiere von Elfriede Jelineks „Rechnitz“ verschoben, nun muss die Produktion auf das neue Jahr warten. Dennoch gibt es eine ganz gehörige Portion Jelinek, wenn das Oscar Wilde-Stück, das stets unter dem Titel „Ein idealer Gatte“ bekannt war, nun als „Der ideale Mann“ Premiere hatte. Denn die Transformierung der ironischen englischen Boulevard-Komödie in eine schrille Polit-Posse trägt weit mehr die Handschrift der Bearbeiterin als jene des Autors, der ja bloß ein wenig in der noblen englischen Gesellschaft herumstochern wollte.
Aber der Ausgangspunkt, das Stück direkt zu uns zu führen, ist zu bestrickend. Immerhin steht schon im Original (wo man das Problem allerdings locker-komödiantisch lösen kann), dass Politiker offenbar immer so blöde waren, von ihren schmutzigen Geschäften irgendwelche Dokumente zu hinterlassen, statt dafür zu sorgen, dass diese verschwinden. Dass solcherart heute Regierungen gestürzt werden können, weiß man, und es ist leicht, mit dem Finger auf gegenwärtige (oder gerade erst vergangene) Ereignisse zu zeigen. Das passt auch perfekt in das Konzept von Josefstadt-Direktor Herbert Föttinger, der immer weiß, in welche politische Richtung er straflos losschlagen kann (und die anderen zahlen dann seine Schulden).
Also verwandelt sich Michael Dangl vom englischen Staatssektretär Sir Robert Chiltern mit aufgeklebter Perücke und dem charakteristischen Outfit mühelos in Sebastian Kurz, zumal er schlank genug ist dafür und auch dessen Körpersprache studiert hat. Und Matthias Franz Stein als Lord Goring soll wohl sein Gernot Blümel sein (wenngleich dieser keinen Blondschopf hatte).
Und die Jelinek hat ganz schön bei Wilde gefuhrwerkt, Nebenrollen bis zur Bedeutungslosigkeit gekillt, dafür einen Diener als eine Art „Conferencier“ eingefügt und politische und kommerzielle Grundsatz-Debatten breit ausgeführt. Am Ende gibt es dann eine reine Kabarett-Szene auf stets wechselnde österreichische Kabinette – aber mit Oscar Wilde hat das Ganze ohnedies nichts zu tun.
Die Eleganz und der nasale Charme von dessen Stück hat auch Regisseurin Alexandra Liedtke nicht im geringsten interessiert. Aber in einem oft verwirrenden, teils abstrahierenden, teils bescheidenen Drehbühnen-Bühnenbild (Philip Rubner) und in ausgesucht scheußlichen Kostümen (Johanna Lakner) realisiert die Inszenierung voll, was die Jelinek vorgibt. Wenn diese eine Gesellschaft zeichnet, die sich ununterbrochen unnatürlich verbiegt, müssen das die Darsteller auch tun, so weit, dass sogar ein „Körpercoach“ im Leading Team angeführt wird: Die Unnatur, der Slapstick weitet sich bis zur kunstvollen Gymnastik aus – und weil das alles durchgehalten wird, Stil hat und auf die satirische Parabel hinausläuft, die hier angestrebt ist, kann man die Aufführung durchaus als in sich geschlossen betrachten.
Michael Dangl ist natürlich durch und durch kein ehrenwerter Mann, sondern ein ölig-glatter, pseudo-verbindlicher Zyniker, also das, was man dem vorigen Kanzler von Seiten seiner Feinde so gern nachsagt. Silvia Meisterle als seine Gattin spielt weniger die ehrenwerte Moralistin als eine ziemlich unsympathische Fanatikerin. Jene Mrs. Chiveley, die den Politiker mit einem Brief aus seiner Vergangenheit erpresst („Ich sag‘ es immer, man soll nicht Briefe schreiben“, heißt es in Schnitzlers „Liebelei“), ist mit Martina Stilp gegenwärtig-schlicht besetzt. Zu Zeiten von Oscar Wilde (und in früheren Wiener Theaterzeiten) brauchte man da schon erstklassige, scharfzüngige Salondamen… Da fehlt wirklich eine darstellerische Dimension.
Dafür ist Matthias Franz Stein als Lord Goring erstaunlich und gut wie nie, wenn ihm die Regie auch abverlangt, eine lange Szene erst ganz nackt und dann in Unterhosen zu spielen. (Und ein Verhältnis mit seinem Butler hat er auch…) Ist unsere Welt so unappetitlich? Oder sind es die Theatermacher, die sich darauf berufen, dass die Welt halt so sei? Wie immer, Stein bewältigt auch das und sorgt dafür, dass die zappelnde Kunstfigur, die er auf die Bühne stellt, bis ins Detail stimmt.
Weniger überzeugt Katharina Klar, die aus der Mabel Chiltern (die bei Oscar Wilde richtig witzig ist) kaum etwas herausholt. Der Rest der Besetzung bleibt unter den Möglichkeiten – aber wir reden von Oscar Wilde. Und die Josefstadt spielt Jelinek und sagt uns, wie verderbt unsere heutigen Politiker sind. Als ob sie es nicht immer schon gewesen wären – und in jeder Couleur immer noch sind. Jedes entrüstete Erstaunen darüber ist pure Heuchelei.
Renate Wagner