Foto: Theater in der Josefstadt
WIEN / Theater in der Josefstadt:
DER ENGEL MIT DER POSAUNE nach Ernst Lothar
Bühnenfassung von Susanne F. Wolf
Premiere: 2. September 2017
Viele Menschen werden „Der Engel mit der Posaune“ weit eher als den Paula Wessely-Film kennen denn als Ernst Lothars Roman. Damals, 1948, verfilmte Karl Hartl eine herzergreifende Familiengeschichte, die 1945 mit Glockengeläute endete und in jene positive Österreich-Zukunft sehen ließ, die das Publikum der Nachkriegs-Republik für sein Seelenheil dringend benötigte. Von Franz Joseph bis Hitler konnte man die Geschichte der Familie Alt, Klavierbauer im Haus Seilerstätte 10 (mit einem Posaunenengel über dem Tor), luxusbesetzt betrachten – von der Wessely bis zur Schell, von Attila Hörbiger bis Oskar Werner (selbst wenn dieser keine sympathische Figur verkörperte). Das war Österreich-Nostalgie par excellence – genau das, was man heute so nicht mehr brauchen kann.
Wenn das Theater in der Josefstadt nun eine Dramatisierung des „Engels mit der Posaune“ zum Saisonauftakt anbietet, so kommt Österreich – dem Ernst Lothar, emigrierter und heimgekehrter Jude, in unerschütterliche Treue verbunden war – nicht gut weg. Susanne F. Wolf, die die Bühnenfassung geschickt erstellte, souverän im „natürlichen“ Dialog und der lockeren, fugenlosen theatralischen Übergänge, lässt Österreichs Vergangenheit nichts durchgehen: Der Monarchie nicht ihren Antisemitismus, ihre Repression der Frauen, ihren Anti-Sozialismus, der Zwischenkriegs- und der Nazizeit nicht ihre Verbrechen. Es war wohl so – wer sein Leben Endes des 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verbrachte, hatte nichts zu lachen, da waren die Zeitläufte mit den Menschen nicht gnädig.
Retrospektive Vorwürfe lassen sich da ebenso leicht thematisieren wie eine heute zeitgemäße Propaganda: Auf der Bühne gibt es kein Happyend für Mitglieder der Familie Alt, da muss der jüdischstämmige Sohn im Untergrund nicht nur ganz direkt für jene Offenheit plädieren, die auf heutige Aufnahme von Migranten abzielt, sondern auch noch etwas plakativ die Liste jener jüdischen Mitbürger verlesen, die Großes für Österreich geleistet haben, von den Wissenschaftlern bis zu den Künstlern. Nichts dagegen zu sagen – aber das Theater ist keine Volkshochschule und keine Wahlversammlung.
Regisseur Janusz Kica hat der Josefstadt schon viele seriöse Theaterabende verschafft, und das ist auch ein solcher, wenngleich einer mit drei Spielstunden lähmend langer, der sich eher mühsam über die Bühne schleppt. In einer Welt, die grau in grau ist (die an sich geschickte Ausstattung mit schnellen Verwandlungen durch ein paar herum geschobene Möbel stammt von Karin Fritz), damit man nicht auf die Idee kommt, die Monarchie habe ausgesehen wie in den feschen Farbfilmen der fünfziger Jahre, tut man sich als Zuschauer ein wenig schwer, den durchwegs tragisch konturierten Schicksalen der Familie Alt zu folgen.
Lange Zeit steht Henriette, geborene Stein, jüdische Professorentochter, im Mittelpunkt: Maria Köstlinger ist in der Wessely-Rolle von Anfang an so herb und verhalten, dass man den Zauber, den sie zumindest in der Jugend ausstrahlen müsste, vermisst. An sich liebt sie – von Ernst Lothar kühn erfunden – den Kronprinzen Rudolf (Xaver Hutter, der auch später den Grafen Traun, Henriettes Liebhaber spielt, sollte an seiner Sprache arbeiten), wagt sich aber dieser Liebe nicht hinzugeben. Vielmehr heiratet sie liebelos Franz Alt, Inhaber einer alteingesessenen Klavierfabrik – eine Rolle, die Michael Dangl sehr schön entwickelt, der stürmische Liebhaber, der egoistische Ehemann (dem aber auch viel zugemutet wird), der gnadenlose kapitalistische Unternehmer, der als gebrochener Mann aus dem Ersten Weltkrieg zurückkehrt.
In dieser Anfangsperiode des Geschehens gibt Marianne Nentwich in der Rolle einer gestrengen Tante die gesellschaftlichen Zwänge vor. André Pohl liefert als der „unsympathische“ Beamten-Bruder (mit rechtsradikalem Einschlag) doch eine der überzeugendsten Figuren des Abends. Und Michael Schönborn (der später noch andere Rollen spielt) zeigt als österreichischer Kabinettsdirektor (es geht um den Selbstmord von Kronprinz Rudolf, in dessen Todesjahr hebt das Stück an), was „österreichische Sprache“ von gestern ist (nicht das schlechteste, um es gleich zu sagen). Und Johannes Seilern ist ein Diener von solcher Qualität, als wäre er bei Hofmannsthal entlaufen.
Dann springt das Geschehen zur nächsten Generation, mit Alexander Absenger mit schön ausgespieltem, reichem Innenleben als dem guten, sozial denkenden Sohn, Matthias Franz Stein als dem „bösen“, aus dem selbstverständlich ein Nazi wird, und Silvia Meisterle die Kuckucksei-Tochter des Grafen Traun, die so unerträglich lieb sein muss. Und weil es Lothar wahrlich nicht an Klischees fehlen lässt (dagegen konnte die Bearbeiterin wenig tun, auch wenn es bei ihr vielfach anders zugeht als im Film), bekommt der gute Sohn die großartig widerständige, jüdisch-sozialistische Gattin (Alma Hasun), die dann vom bösen Nazi-Schwager ermordet wird…
Ein Unheil folgt dem anderen, keine Gnade waltet in diesem theatralischen Leichenbitter gegenüber der österreichischen Vergangenheit, man stöhnt zunehmend in seinem Sitz angesichts des immer dichter werdenden allgemeinen Unglücks und Unheils. Und was Lothar nicht ausschließlich negativ als große Österreich-Saga gemeint hat, wird hier zur Zeigefinger-Warnung: Mein Gott, das ist ein schlimmes Land – und schaut uns an, schlimm ist es geblieben…
Renate Wagner