Fotos: Josefstadt
WIEN / Theater in der Josefstadt:
DER DEUTSCHE MITTAGSTISCH von Thomas Bernhard
Dramolette
Premiere: 17. September 2020
Eröffnungspremiere der Josefstadt, ausverkauft. Ist von dem alten Claus Peymann, der strahlend noch und noch Interviews gibt und in einer neu entdeckten Liebe der Wiener zu baden scheint, das Besondere zu erwarten, so wie in seinen Burgtheaterzeiten, als er immer wieder zündelte und man nie sicher sein konnte, ob es nicht doch einen Skandal ergeben würde? Nun, 33 Jahre, nachdem man Thomas Bernhards „Dramolette“ (damals noch als solche bezeichnet) zuerst am Lusterboden des Burgtheaters begegnet ist, musste man – vielleicht wehmütig – erkennen: Aus dem, was uns nun als „Der deutsche Mittagstisch“ serviert wird, ist die Luft raus. In jeder Hinsicht.
Dass Thomas Bernhard, damals einer der meist gespielten Dramatiker, die Theater die siebziger und achtziger Jahre hindurch mit Dramen belieferte, in dem er das Thema des damals real existierenden Nationalsozialismus drehte und wendete, erklärte sich auch aus der Zeit – schließlich wählten die Österreicher 1986 Kurt Waldheim zu ihrem Bundespräsidenten, weil sie seine nationalsozialistische Vergangenheit nicht sonderlich tangierte. Der große Gesinnungswandel kam erst später, und Bernhard war sein Prophet gewesen.
„Der deutsche Mittagstisch“, wie die sieben Dramolette jetzt auf der Josefstadt-Bühne heißen (am Burgtheater hatte man seinerzeit nur sechs davon gespielt), sind Geschichte, kein Wunder, fast 40 Jahre danach – Peymann hatte sie 1981 in Bochum uraufgeführt, interessanterweise überließ er die Wiener Aufführung, obwohl er 1987 schon Burgtheaterdirektor war, einem anderen Regisseur. Die alten Nazis, die sich damals noch feiern konnten, gleich stolz auf ihre Morde und darauf, so unbehelligt davon gekommen zu sein, liegen heute unter der Erde, und was sich in unserer Welt als Neonazi versteht, fällt wohl nicht in dieselbe Kategorie. Immerhin erzeugt das beste Stück des Abends, das sich „Freispruch“ nennt, auch heute noch Gänsehaut – denn man hat sie ja gekannt, die Menschen, denen das Unrechtsbewusstsein fremd war und die am Ende noch so unverschämt mit ihren Untaten prahlten…
Schwächer sind die anderen „Alt-Nazi“-Szenen: Wenn die Ehemaligen im Urlaub in ihren Liegestühlen herumfletzen, eher substanzlosen Blödsinn reden und von einem einheimischen Eisverkäufer erschossen werden. Und die titelgebende Szene am Ende, ganz kurz abgehandelt, zeigt mit vielen Kindern am Esstisch, dass sie das nationalsozialistische Gedankengut „mit dem Löffel“ in sich hinein fressen…
Drei Szenen, die am Beginn stehen, könnten genau so gut von Franz Xaver Kroetz sein, zumal Bernhard seine Stücke ja wirklich (auch in der Sprache) im Bayerischen verankert und von „D-Mark“ reden lässt (die Österreicher sind natürlich genau so gemeint gewesen): Alltagspalaver mit ermüdenden Wiederholungen, das immer wieder die Gewaltbereitschaft des Durchschnittsmenschen offenbart und seinen Rassismus sowieso – wie es heute die Syrer und Schwarzafrikaner sind, die viele auf unseren Straßen nicht sehen wollen, waren es damals „die Türken und die Jugoslawen“… Möglicherweise hat sich diesbezüglich weniger geändert als in Bernhards Nazi-Besessenheit (wo dann auch gleich im ersten Stück die Plakate mit den Hakenkreuzfahnen auftauchen).
Dass man „Alles oder nichts“ seinerzeit im Burgtheater nicht gespielt hat, ist verständlich, das Stück ist peinlich schlecht – aber Peymann wollte es sich für hier und heute nicht entgehen lassen. Denn da kann er im Rahmen einer Quiz-Show heimische Politiker buchstäblich durch die Scheiße hetzen (auf der Suche nach einer Wählerstimme) – und auf die Frage, ob sie im Herzen Nationalsozialisten sein, brüllen alle „Ja!“… Damit kann man aber höchstens Peymann und die Josefstadt-Direktion glücklich machen, ob man ein Publikum damit beseligt (zumal ein junges, nach dem man ja so verzweifelt Ausschau hält), sei dahin gestellt.
Die Nostalgie auf der Bühne ist nicht eben bestrickend. Für ein Bühnenbild in Rot, das minimale Versatzstücke braucht, hätte man nicht einen Achim Freyer engagieren müssen, und die Kostüme von Margit Koppendorfer sind auch ohne besondere Eigenschaften. Dass Claus Peymann fast alle Figuren mit Schminkmasken zu Popanzen verzerrt, zeigt, dass er Stücken und Text auch nicht mehr vertraut: Bernhard war sicher, dass es solche Menschen gibt. Die schrillen Karikaturen, die da zu Kunstleben angehalten sind (und viele Schauspieler gar nicht als sie selbst erkennbar), rücken die Geschichte ab, statt sie her zu holen.
Peymann hat auch noch Namen aus seiner Burgtheater-Ära hergeholt, alle in mehreren Rollen: Vor allem Lore Stefanek ist als eine Art mörderisches Gespenst in „Freispruch“ erschreckend, Traute Wöss gibt allen ihren Figuren die Standhaftigkeit des bösen Charakters, Sandra Cervik hat einen Monolog, Ulli Maier glänzt vor allem in der „Dirndl-Rolle“ („Maiandacht“).
Die Herren kommen mit ihren Rollen und auch mit den ihnen abverlangten Leistungen so schlecht weg, dass man sich fragt, ob Bernhard Schir, Michael König oder Raphael von Bargen zum Theater gegangen sind, um dermaßen nichts zu spielen, wobei André Pohl und Marcus Bluhm noch weniger zu tun bekommen und Robert Joseph Bartl vor allem bei einem Fußballspiel grunzen darf. Nein, der wahre schauspielerische Glanz bleib aus (darf man’s sagen? Susi Nicoletti, Maresa Hörbiger, Annemarie Düringer haben ihn einst schon geliefert).
Nach Stücken dieser Art klatscht es sich schwer, aber für den Premierenerfolg wurde ja doch gesorgt. Peymanns Mitarbeiterin Jutta Ferbers hat ein sehr schönes, umfangreiches Programmheft erstellt, in dem es nicht nur um Thomas Bernhard, sondern auch sehr um Claus Peymann und seine Bernhard-Inszenierungen geht. Das ist eine Erfolgsstory, die vor 50 Jahren, 1970 im Deutschen Schauspielhaus Hamburg mit „Ein Fest für Boris“ begonnen hat, die Salzburger Festspiele mit Erfolgsproduktionen versorgte, im skandalumwitterten „Heldenplatz“ 1988 am Burgtheater kulminierte… und nun an der Josefstadt einen bescheidenen Epilog findet.
Renate Wagner