Fotos: Theater in der Josefstadt
WIEN / Theater in der Josefstadt:
DER ALPENKÖNIG UND DER MENSCHENFEIND von Ferdinand Raimund
Premiere: 4. September 2024
Besucht wurde die Generalprobe am Ende der voran gegangenen Saison
Und die Musi spielt dazu…
Hier wurde zwar einst der „Verschwender“ uraufgeführt, aber dennoch hat das Theater in der Josefstadt die schmalste Raimund-Tradition von allen Wiener Bühnen. Man spielte ihn bislang hier so gut wie gar nicht. Im Dezember 2018 hat Direktor Herbert Föttinger zuletzt Josef E. Köpplinger, der in Wien irgendwie kein Bein auf den Boden bekommt (und vielleicht ein Volksopern-Direktor wäre, der sich näher am Publikum bewegt als andere), damit beauftragt, den „Bauer als Millionär“ zu inszenieren. Es war eine Aufführung, die zwischen Modernisierung und Treue zum Original einen passablen Mittelweg fand.
Nun also, im Respektabstand von fast sechs Jahren, folgt „Der Alpenkönig und der Menschenfeind“, eines von Raimunds drei Meisterstücken. Zwar haben alle acht seiner Dramen, auch die weniger geschätzten, ihren eigenen Reiz, aber mit dreien hat er sich nicht nur in die Spitze der österreichischen Dramatik, sondern auch in die Weltliteratur eingeschrieben.
Im „Bauer als Millionär“ nicht zuletzt mit den unvergänglichen allegorischen Szenen vom Abschied der Jugend und dem Eintreten des Hohen Alters in das Leben des Helden; in seinem letzten Werk, dem „Verschwender“, in der meisterhaften Konfrontation der divergierenden Lebensentwürfe, des hybriden Millionärs Flottwell und des geerdeten einfachen „Mannes aus dem Volk“ Valentin, der im „Hobellied“ erzählt, wie man in Weisheit mit Leben und Tod umzugehen hat.
Und dazwischen liegt die Geschichte des „Rappelkopf“, der viel von Raimunds eigener Menschenfeindlichkeit hatte, den er allerdings auf dem Theater einer „Therapie“ unterzog, die ihm spiegelartig sein eigenes Verhalten vorführt und zur Erkenntnis des eigenen Ichs und dessen Fehlurteilen führt. Das musste in seiner Welt noch mit Hilfe des „Zaubertheaters“ geschehen (das man nicht so verachten sollte – was sind die ganzen Sci-Fi-Filme anderes als „Zauberstücke“?), wir hingegen könnten den Alpenkönig Astragalus gut und gern als Psychiater bezeichnen und das Stück mit irgendwelchen Gewaltakten in die Gegenwart und eine Klinik versetzten (vielleicht nach Steinhof, wie es einst Alvis Hermans mit dem „Parsifal“ tat?) – aber man kann auch, wie Josef E. Köpplinger es tut, versuchen, dem Original nahe zu bleiben (wenn auch in moderat der Gegenwart angenäherten Kostümen von Alfred Mayerhofer).
Was interessiert uns ungebrochen an diesem Stück von 1828, von dem uns fast 200 Jahre trennen? Natürlich das Verhalten des Herrn von Rappelkopf, das auf schlechten Erfahrungen beruht, wie sie viele Menschen im Leben machen, sich aber bei ihm zu wahrer Paranoia gesteigert hat. Es ist zweifellos ein Krankheitsbild, in jedem Menschen einen Feind, in jeder Aktion einen Angriff auf sich selbst zu sehen, aber es gibt dieses Verhalten. Es hat in seiner Übertreibung auf dem Theater natürlich etwas Komisches, aber man darf nie vergessen, dass es zutiefst tragisch ist – für den Betroffenen ebenso wie für die hilflose Umwelt.
Und dann sind da die Szenen, in denen der Alpenkönig Rappelkopf aus seinem Wahn heraus holt, ihn also „therapiert“ – erst mit Erscheinungen seiner toten Frauen und mit Bedrohung durch die Natur (in die Rappelkopf, wie einst Raimund selbst, flüchtet, um den Menschen zu entgehen), dann, indem er in seine Gestalt schlüpft und ihm vorzeigt, wie er sich verhält. Und da Rappelkopf weder dumm noch sinnlos verbohrt ist, wirkt es, sich selbst wie in einem Spiegel zu zusehen. Eine fabelhafte Parabel.
Daneben bedient das Stück ebenso das „Volksstück“ wie das Unterhaltungstheater der Zeit – es gibt die rührenden Familienszenen, es gibt, breit ausgewalzt, die Diener-Episoden, und da ist auch noch jene an sich tiefschwarze Szene der „Köhlerhütte“, wo Rappelkopf herbei stürmt und die Bewohner mit seinem Geld nicht nur vertreibt, sondern demütigt. „So leb‘ denn wohl, du stilles Haus!“ singt die Familie biedermeierlich-tränenreich, und diese sentimentale Einkleidung des harten Geschehens ist einst zu einem „Schlager“ geworden, den jeder in Wien mitsang…
Womit man bei der Musik von Wenzel Müller ist, die dieses Stück reichlich einrahmt und ihm den gewissen betulichen Charakter verleiht, den es nicht haben sollte. Einerseits ehrt es den Regisseur, sich dazu zu bekennen (im Arrangement von Jürgen Goriup, der ein kleines Orchester leitet, klingt es durchaus original), andererseits ist diese Einbettung ins Musikalische auch gefährlich – zumal, wenn am Ende Rappelkopfs „Erkenntnis“ dann in eine Art Schuhplattler-G’stanzel eingearbeitet wird. Viel weniger Musik und Gesang, viel mehr akzentuiert Gesprochenes, täte dem Stück und dem Abend aus unserer Sicht besser.
Er findet in einem geschickten Bühnenbild von Walter Vogelweider statt, das schnell zu verwandeln ist und vor allem das „Spiegel“-Motiv der Handlung durch Spiegel in Rappelkopfs Wohnzimmer andeutet. Die „Köhlerhütte“ ist zu einer Art blechernem Wohnwagen geworden, was nicht schadet, der Rest versucht, zwischen der Felsenwelt des Alpenkönigs und einer in den Lüften fest gehaltenen Kutsche einfach bei dem originalen Zauberstück zu bleiben.
Nach dem Bauern Fortunatus Wurzel ist Michael Dangl nun der Herr von Rappelkopf, und er versucht (mit dem Regisseur) die tragische Gehetztheit und dabei die Komik der Figur aus zu tarieren. Zur wahren Tragik entschließt sich der Abend nicht, und so richtig dämonisch wird es auch nicht, wenn Günter Franzmeier als Alpenkönig ziemlich Rübezahl-mäßig daher kommt. Er müsste, wenn er Rappelkopfs Verhalten nachspielt, Gänsehaut erzeugen, aber so weit lässt es die Regie nicht kommen.
Alexandra Krismer als Rappelkopfs klug konturierte Gattin und Johanna Mahaffy als seine Tochter sind die braven, geringfügig kämpferischen Frauenfiguren des Stücks, Tobias Reinthaller ein so kreuzsolider künftiger Schwiegersohn, wie man ihn nur wünschen kann.
Aus der Schar der vielen, kaum profilierten Nebenrollen ragen zwei berühmte Dienerfiguren hervor, jener Habakuk, der sein Prestige damit aufwerten will, dass er „zwei Jahre in Paris“ gewesen ist (aktive Bekämpfung eines Minderwertigkeitskomplexes), und das Kammermädchen Lieschen, das als große Intrigantin fast Molière’sches Format hat. Beide Rollen hat man „groß“ besetzt gesehen – in dieser Aufführung sind sie ein wenig gegen den Strich gebürstet. Johannes Seilern hat keine Komiker-Qualitäten, er ist nicht tragikomisch-liebenswert, sondern einfach nur eine gequälte Seele. Und Nadine Zeintl, die Köpplinger aus seinem Münchner Gärtnerplatztheater mitgebracht hat, ist an sich vor allem eine Soubrette (weshalb man sie auch mehr singen lässt, als für die Zuschauer gut ist), deren koboldartige, schnippische Attitüde nicht eben sympathisch ist.
Alles in allem hinterlässt die Aufführung das Gefühl, es wäre aus dem Stück mehr heraus zu holen gewesen.
Renate Wagner