Fotos: Theater in der Josefstadt
WIEN / Theater in der Josefstadt:
DAS VERMÄCHTNIS von Matthew López
Teil 1 + 2 Premiere: 15. März 2025,
besucht wurde die zweite Vorstellung des „Doppelpacks“ am 16. März 2025
Die Schwulen-Saga
Theaterstücke und Filme, die sich mit den berühmten „Randgruppen“ der Gesellschaft befassen, laufen leicht Gefahr, in einen weinerlichen Opfer-Mythos zu verfallen. Dem erliegt der amerikanische Autor Matthew Lopez in seinem 2018 in London uraufgeführten und 2022 in München nachgespielten Schauspiel „Das Vermächtnis“ nicht (das Original heißt übrigens „The Inheritance“, was eigentlich „Das Erbe“ bedeutet). Dafür tappt der Autor im zweiten Teil seiner breiten Schwulen-Saga (die Zuschauer in der Josefstadt an Wochenenden von 15 Uhr bis 22.15 Uhr ins Theater bittet) in eine andere Falle, jene von Kitsch und Sentimentalität nämlich.
Dennoch, in der Nachfolge „großer“ Schwulen-Epen wie der „Torch Song Trilogy“ (1978) von Harvey Fierstein und „Angels in America“ (1993) von Tony Kushner hat Lopez einiges zum aktuellen Status schwuler Männer zumal in den USA von heute beizutragen. Wobei die erste Amtszeit von Donald Trump (2017) auf der Bühne noch mit allem Entsetzen kommentiert wird. Was dessen zweite Amtszeit für LGBTIQ bedeuten wird, ist im Detail noch nicht voraus zu sehen. Immerhin greift der Autor im Stück schon anlässlich des ersten Präsident Trump das Motiv auf, dass aufrechte Amerikaner damals ins benachbarte Kanada gezogen sind, weil sie in diesem Land nicht mehr leben wollten.
Tatsächlich aber geht es in dem Stück vor allem im ersten Teil „harmonischer“ zu. Da leben schwule Männer im New York der Zehner-Jahre des 21. Jahrhunderts (mit einigen Rückblicken) ihre geschlechtliche Neigung unbehelligt aus, finden Sex und Beziehungen (samt den Problemen) untereinander, brauchen wirklich keine Frauen zum Glücklich- oder Unglücklichsein. Und innerhalb ihrer Community stört sie auch weiter niemand.
Im Gegenteil, die gesellschaftliche Normalität wird in allen Bereichen angestrebt – Ehe, Kinder (adoptierte eben), normale Berufe. Früher, meint ein Älterer unter ihnen, war Schwulsein bunter und spannender, gerade, weil man damit so schön gegen die Gesellschaft protestieren konnte, in die man sich heute hinein nivelliert…
13 Schauspieler stehen auf der Bühne, 12 Männer und eine Frau, und sechs Schicksale kristallisieren sich heraus, wobei die Bäumchen-wechsle-dich-Liebesspiele mit all ihren Sehnsüchten und Verzückungen und all ihren Schmerzen und Problemen fast ähnlich verlaufen wie bei heterosexuellen Paaren. Da ist Toby Darling, der Mann mit der verkorksten Kindheit, dem übergroßen Geltungsbewusstsein und der gnadenlosen Rücksichtslosigkeit allen gegenüber, der eitle Mann, der es bis an den Broadway bringt. Als mit Adam ein schöner junger Mann in sein Leben tritt, lässt er seinen treuen Gefährten Eric fallen, um zu erkennen, dass dieser Adam sehr wohl weiß, an wen er sich halten muss, um als Schauspieler Karriere zu machen. Der fallen gelassene Toby muss dann einem Callboy noch 100 Dollar extra zahlen, damit er ihm sagt, dass er ihn liebt… Raphael von Bargen ist das lebendig gewordene, rasende Unglück, das immer nur um sich schlagen und verletzen kann, bis er am Ende (in ziemlicher Kinodramaturgie, Akzeptanz der Kindheit usw.) zu ein paar richtigen Erkenntnissen kommt.
Eric ist der „gute Mensch“ des Stücks, und als solchen spielt ihn Martin Niedermair still, unpenetrant und wunderbar überzeugend. Dass er nach Verwerfungen des Schicksals von einem gleichfalls edlen Freund das Hospiz für sterbende Aids-Kranke übernimmt… das fällt in den zweiten Kitsch-Teil des Unternehmens.
Die vielleicht überzeugendste, sicherlich eleganteste Leistung des Abends liefert Joseph Lorenz als Milliardär Henry Wilcox, der nicht die Absicht hat, sich dafür zu entschuldigen, dass er für den Wahlkampf von Donald Trump ein Vermögen gespendet hat (es gibt schließlich geschäftliche Notwendigkeiten, das muss man jenseits ethischer Kategorien sehen). Wie sehr ein solcher „Republikaner“ die linke schwule Community zeitweise ins Wanken bringt, wird nicht wirklich ausgeführt. An diesem harten Mann lässt sich zeigen, dass es auch Schwule gibt, für die Sex (wie für heterosexuelle Männer…) eine gar nicht angenehme Notwendigkeit ist, so dass man sie nicht mit Menschen ausführt, die man liebt (zu kompliziert), sondern lieber mit Leuten, die man bezahlt und wegschickt, womit die Sache erledigt ist. Oder auch nicht, wie das Stück zeigt.
Da ist dann auch noch Walter (Ulrich Reinthaller), der andere Edelmensch der Geschichte, bis zu seinem Tod unglücklicher Gefährte des reichen Harry (der sich nach Walters Tod dem verlassenen Eric zuwendet) und Gründer des Hospizes. Aids spielt natürlich eine Rolle in der Geschichte, wenn auch nicht so allumfassend wie in anderen Werken (etwa dem „Philadelphia“-Film mit Tom Hanks).
Nils Arztmann, der sich von den anderen Jungmännern der Josefstadt durch ein weit interessanteres Profil auszeichnet, spielt zwei Rollen. Da ist Adam, der skrupellose Sohn aus reichem Haus, zum Schauspieler und Ausbeuter von Gefühlen geboren, und Leo, der hoffnungslose, immer mehr herunter kommende Strichjunge. Es ist zudem logisch und wohl vorgesehen, beide Rollen von ein- und demselben Schauspieler verkörpern zu lassen, da es Leos Ähnlichkeit mit Adam ist, die Toby auf ihn anspringen lässt…
In der bemerkenswert offenen, gewissermaßen epischen Dramaturgie des Stücks wird immer wieder erzählt, was die Personen tun, was sie empfinden, wie es weitergeht, was für den Fluß des Geschehens praktisch ist und von Regisseur Elmar Goerden (in einem Einheitsbühnenbild – Silvia Merlo / Ulf Stengl – , das seine gelegentlichen zusätzlichen Elemente gar nicht brauchte, in unauffälliger Alltagskleidung von Lydia Kirchleitner) angenehm am Laufen gehalten wird.
Von den übrigen Darstellern ragt auf diese Art nur Marcello De Nardo (dank Persönlichkeit und ein paar kleinen Szenen) heraus, während die anderen großteils nur Stichworte bringen dürfen – Roman Schmelzer, Thomas Frank, Julian Valerio Rehrl. Tobias Reinthaller und auch Jan Thümer, einst interessantestes Pferd im Stall der uninteressanten Anna Badora im Volkstheater, dann verschwunden, jetzt wieder da, hoffentlich auch in größeren Rollen.
Für die einzige Frauenrolle des Stücks hätte man keine Andrea Jonasson verschwenden müssen, zumal sie den Fehler machen muss, ihren Monolog als Flüster-Arte anzulegen, so dass man keine Ahnung hat, was sie da eigentlich erzählt.
Fädelt der erste Teil die Schicksale der Hauptfiguren überzeugend auf, so haben jene Leute, die zwar die Doppelvorstellung gebucht haben, aber dann doch in der Pause gingen, nichts versäumt. Denn plötzlich gleiten alle Schicksale in Drehbuch-Hochdramatik von B- und C-Movies ab, und am Ende werden so viele Kitschhäubchen auf den bittersüßen Kuchen gehäuft, dass der Abend einbüßt, was er zumindest im ersten Teil hatte, nämlich Glaubwürdigkeit.
Aber so richtig schöne Sentimentalität am Ende, wenn alle Schicksale noch mit Happyend-Touch auserzählt werden, sorgt für entsprechenden Beifall. Keine Frage, der Abend ist ein großes Unternehmen. Auch wenn man siebeneinviertel Stunden darauf verwenden muss.
Renate Wagner