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WIEN / Josefstadt: BIS NÄCHSTEN FREITAG

17.11.2023 | KRITIKEN, Theater

 

theater in der josefstadt peter turrini bis nächsten freitag uraufführung

Fotos: Theater in der Josefstadt

WIEN / Theater in der Josefstadt:
BIS NÄCHSTEN FREITAG von Peter Turrini
Uraufführung
Premiere: 16. November 2023 

„Gedanken sind nicht stets parat,
man schreibt auch, wenn man keine hat.“

Jeder Journalist hat diese Erkenntnis von Wilhelm Busch schon am eigenen Leib erlebt, wenn er vor einem bestellten Artikel sitzt, zu dem ihm eigentlich nichts einfällt. Und das gilt wohl auch für viele Dramatiker, die Auftragsstücke zugesagt haben, damit man im Gespräch bleibt und etwas frisches Geld verdient. Aber worüber schreibt man ein Stück, wenn man aus sich heraus kein Thema hat? Man bröckelt halt zusammen, was man an Zeitgeist findet.

Bei Peter Turrinis „Bis nächsten Freitag“, ein Auftragswerk des Theaters in der Josefstadt,  stand jedenfalls etwas fest: Es musste zwei männliche Bombenrollen enthalten, eine für den Direktor des Hauses, eine für einen Lieblingsschauspieler (der diese Bezeichnung wahrlich  verdient). Alle drei Herren sind nicht mehr die Jüngsten, also wird ein Alt-Herren-Stück daraus. Ein bisschen mehr als nur ein Dialog, wie Peter Handke ihn mit seinem „Zwiegespräch“ schrieb, um dann zusehen zu müssen, wie junge Regisseurinnen am Burgtheater alles nur nicht das inszenierten. So etwas passiert an der Josefstadt nun doch nicht.

Es beginnt ganz konventionell, wenn sich die beiden Freunde, Mitte 60, nach langer Zeit an einem Freitagabend in einem eher seltsamen Lokal treffen, ein „Tschecherl“, wo es außer ihnen keine anderen Gäste gibt, das von einer Tschechin geführt wird und wo nebenbei ein Taubstummer herumgeistert, der seltsam debil wirkt.

Die Herren kennen einander aus der Bubenzeit im Internat, und sind heute, Jahrzehnte später, politisch durchaus an verschiedenen Ecken positioniert: Hier ist der Gutmenschen-Buchhändler Richard, der sicher grün wählt und in seinem Laden auch mal Migranten unterschlüpfen lässt, die abgeschoben werden sollen. Naturell: eher melancholisch. Dort ist Werner, der Dozent am Romanistik-Institut, klingt sehr rechts in seinen Ansichten, Temperament: eindeutig cholerisch.

Am Anfang hilft man sich mit Jugenderinnerungen darüber hinweg, dass man eigentlich nicht viel zu sagen hat.  Nämlich die Herren nicht und ihr Schöpfer schon gar nicht. Also hakt Turrini ungefähr alle Themen ab, die am Stammtisch auch schon nur noch lustlos behandelt werden – Corona war künstlich gemacht und eine Verschwörung der Pharma-Industrie, Quoten-Frauen bedrohen die männliche Vorherrschaft. Die Diversität treibt (nicht  zuletzt in den vielen Klos für Trans, Divers, Bi und was es sonst noch gibt) die dümmsten Blüten. Die Flüchtlinge stören überall. Die Sozialen Medien verpesten die Welt, die politische Korrektheit und alles, was man nicht mehr sagen darf („Haben sie Mohr im Hemd?“) sowieso. Wut hat der Herr Dozent auf die „Flinten-Uschi“ (diese Bezeichnung für von der Leyen beansprucht er für sich), und außerdem findet er  die Herren Orban und Trump gar nicht so schlimm. (Aufpassen, ein Teil des Publikums könnte einer Meinung mit ihm sein, wird nur gelernt haben, den Mund zu halten…)

Aber auch der Gutmensch darf vor sich hin jammern, und wenn es nur darum geht, dass man keine Buchhändler  mehr braucht, weil man Bücher, wenn überhaupt, im Internet bestellt – und außerdem werden Bücher sowieso in den Keller geräumt, keiner nimmt sie mehr in die Hand, sie sterben an Nicht-Beachtung…

Am Ende haben die beiden außer der Klimadebatte (die hat Turrini glatt verschlafen) und den aktuellen Kriegen (die wären doch zu heikel) alles ins Spiel gebracht, worüber sich ein paar Banalitäten abdrücken lassen…

Es ist ein Vierakter, viermal am Freitag, im zweiten Akt gesteht der Dozent, dass er Prostata-Krebs hat, aber es geht ihm trotzdem wunderbar, denn das gehört zu seinem Selbstbild (inklusive die Sex-Prahlereinen, wobei Turrinis Altherren-Sex auch zu den dümmsten Teilen des Abends gehört, wenn man sich etwa Albträume über verlorene Eier, sprich Hoden, anhören muss). Ja, und der arme Richard ist bipolar und total unglücklich, als seine Freundin ihn verlässt, denn allein sein kann er offenbar net…

Gewürzt mit den Sottisen der tschechischen Kellnerin, die nichts zu sagen hat, das aber sehr penetrant tut, und mit dem irritierenden  Taubstummen, der immer Musik andreht (was den am Ende mühsam zweieinhalbstündigen Abend ziemlich verlängert), nimmt das Geplaudere künstlich tragisch Fahrt auf.

Nach der Pause freilich zeigt Turrini, was man von ihm zu erwarten hat. Das Wirtshaus wird zum Festsaal, und hier findet eine Zwergen-Hochzeit statt, ohne dass nur andeutungsweise klar wird, was die Liebesgeschichte der Kleinwüchsigen, die sich in Attnang-Puchheim gefunden haben, hier zu suchen hat. Gibt es am Ende ein Happyend zwischen Buchhändler und Kellnerin? Aber da schießt der Dozent (der offenbar immer eine Pistole bei sich hat?) auf den Taubstummen, der ihn offenbar über die Erträglichkeit hinaus irritiert. Vorhang, Tragödie.

Die sich am Ende erfüllt, wenn es den Richard nicht mehr gibt („Kein Anschluß unter dieser Nummer“), die Kellnerin sich in eine schwarz gekleidete Norne verwandelt und von dem Dozenten als Buße verlangt, dass er mit dem Taubstummen tanzt. Da dieser sich mittlerweile einen Totenkopf aufgemalt hat, wird es ein Tanz mit den Tod,  in den Tod  – zu  schmalziger Schlagermusik. „Ich tanze mit Dir in den Himmel hinein…“ Geht’s noch, Herr Turrini?

Rückblickend kann man sagen, dass Regisseur Alexander Kubelka (in einem eigenen Bühnenbild, das immer bedrohlicher wird) schon von Anfang an eine irreale Ebene in das Geschehen einzieht und das kommende Sterbe- und Todesstück wetterleuchten lässt. Solcherart kann  man am Ende vermuten, das Ganze sei vielleicht nur eine Fegefeuer- oder Bardo-Situation des an seinem Krebs sterbenden Dozenten, der sich da noch mal den Jugendfreund herbei geträumt hat. Magie und Mystik am Ende, nachdem man die Tagesaktualitäten hergebetet bekam, die bekanntlich jedermann so zuwider sind, dass er sie nicht einmal mehr  in der Zeitung lesen will. Eine ziemlich unverdauliche Mischung.

Das Stück kann so schwach gar nicht sein, dass die Kombination Erwin Steinhauer und Herbert Föttinger das Publikum nicht ins Haus holen wird, und eines muss man den Herren lassen: Sie sind hervorragende Sprecher, und da man als Theaterbesucher etwa im Burgtheater von einer Sprachkatastrophe in die nächste schlittert, ist so etwas eine Erholung. Und natürlich könnten die beiden souverän, was sie sollen.

Dabei macht  Erwin Steinhauer aus dem  Buchhändler keine lächerliche oder woke Figur, sondern einfach einen anständigen Menschen, der nicht mit süßlicher Liebenswürdigkeit um Anteilnahme bettelt, sondern schlicht und einfach ein Charakter ist.

Herbert Föttinger hat es leichter und schwerer, er darf mit einem Hauch von Selbstironie zuerst einen eitlen, aufgeblasenen Kerl spielen, der in sich zusammen fällt, als die Chemotherapie ihn schwach und haarlos macht. Ihm wird am Ende allerdings viel Sentimentalität und Kitsch aufgeladen, die bei Turrini ja nie fehlen dürfen. Dass diese beiden Männer des Autors Leiden am Altern auch noch dazu  mitspielen – das ist  ja zunehmend das Problem unserer Gesellschaft und wird manchen im Zuschauerraum frontal treffen.

theater in der josefstadt peter turrini bis nächsten freitag uraufführung

Silvia Meisterle als böhmische Kellnerin ist resch und fesch, wie es ihre Profession verlangt, aber es kommt wenig dabei heraus. Marcello De Nardo gibt sich als Taubstummer halb wie Marcel Marceau (oder Samy Molcho), halb wie der klassische Debile, bis er, wie gesagt, zum Tod schlechthin mutieren darf. Das kleinwüchsige Paar ist mit Andrea Mühlbacher und Sascha Schicht besetzt, die Dame ist des Theaterspielens nicht so recht mächtig.

Gebrauchstheater, das Schauspielern Rollen auf den Leib schreibt, hat es schon immer gegeben, das ist nicht unehrenhaft. Aber ein bisschen mehr als nur das Allernötigste, um die Zeit zu füllen, sollte einem dazu schon einfallen.

Renate Wagner

 

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