Fotos: Theater in der Josefstadt
WIEN / Theater in der Josefstadt:
AZUR ODER DIE FARBE VON WASSER von Lisa Wentz
Uraufführung
Premiere: 30. Jänner 2025
Ach, wie traurig ist das Leben…
Als man der Tiroler Autorin Lisa Wentz vor drei Jahren auf der Bühne des Akademietheaters begegnet ist, erzählte sie in ihrem Stück „Adern“, dass in Österreich unter der Erde immer noch die Nazivergangenheit lauert und jederzeit bereit ist hervorzubrechen. Dafür hat sie das zu erwartende Lob geerntet.
Nun bringt die Josefstadt ihr Stück mit dem so bombastischen wie auf Anhieb unerklärlichen Titel „Azur oder die Farbe von Wasser“ zur Uraufführung und erzählt, wie unglücklich Menschen einander machen können – offenbar besonders in der Provinz und kleinen Städten.
Dort ist Homosexualität offenbar noch ein Problem – dass die Autorin auch noch priesterlichen Mißbrauch im Internat ins Gespräch bringt, ist übrigens dramaturgisch gänzlich unnötig und wohl nur als weitere Übung in der politischen Korrektheit gedacht.
Das Stück verläuft auf zwei Ebenen, 1988, als die jungen Männer, um die es geht, Johannes und Gert, gerade Matura machen, und etwa ein Vierteljahrhundert später. Da ist Johannes bereits seit zehn Jahren verschwunden – vermutlich ins Wasser gegangen, wie der Titel suggeriert, aber Genaues erfährt man nicht, er könnte natürlich auch in die Südsee abgepascht sein, weil er mit seiner Künstlerseele (er ist Maler mit Vorliebe für Blau) und seinen unterdrückten Gefühlen das Leben und die Umwelt nicht mehr ertragen hat…
Diese zweite Ebene des Stücks spielt also ohne Johannes nur im Rahmen seiner Familie, die nun auf Initiative der Mutter endgültig eine leere Urne begraben will, um würdig Abschied zu nehmen. Zu diesem Anlass kommt auch Gert, der Journalist geworden ist, nach langer Zeit in den Heimatort zurück. Und was nun verhandelt wird, reicht für eindreiviertel pausenlose, ebenso düstere wie bedrückende Theaterstunden aus.
Am stärksten wirken in diesem Melodram die Szenen der jungen Männer – Gert, der in offenbar leidenschaftlicher Liebe zu Johannes entbrannt ist, will gemeinsam mit ihm in der Großstadt leben, wo ihre Beziehung kein Problem wäre, während Johannes sich nicht entschließen kann, alles hinter sich zu lassen, sich lieber dem Druck beugt und die Freundin seiner Schwester heiratet – leidenden Herzens, ganz ohne Zweifel.
Die anderen Figuren des Stücks haben ihre geradezu nach dem Reißbrett entworfenen Funktionen, etwa die Schwester von Johannes, an der gezeigt wird, welch geringen Stellenwert man der Schulbildung der Mädchen einräumt, oder Gerts Vater, an dem exemplifiziert werden soll (darum kommt das Mißbrauchsthema zur Sprache, das sonst keine Funktion hat), wie die Mächtigen einträchtig ihren Mist unter den Tisch kehren.
Man hat von Regisseur David Bösch in Wien so manches gesehen (darunter so Unverzeihliches wie den „Talisman“ 2013 im Akademietheater), aber seit er an der Josefstadt tätig ist, schlägt er sanftere Töne an. Er gestaltet „Azur“ hier mit demselben Team, mit dem er „Adern“ im Akademietheater inszenierte, darum sieht die Hausdekoration, die sich dauernd auf der Bühne dreht, so ähnlich aus wie damals (Bühnenbild: Patrick Bannwart, Alltagskostüme: Moana Stemberger). Außerdem rauscht überbordend Musik durch den Abend, meist „lebensweise“ Pops-Songs. Und darstellerisch ist geradezu tremolierendes Pathos und Sentimentalität angesagt. Auch weil die Autorin so gern mit poetischen Ausflügen in die Metaphysik kokettiert und das Geschehen stellenweise eine Handbreit über den Boden erheben will.
Immerhin, es gibt für den Abend die beiden jungen Männer, wobei man Johannes nur als Maturanten kennen lernt und sich Alexander Absenger von seinen realen 40 Jahren eindrucksvoll zu einem Maturanten verjüngt hat. Ihn zerreißt der Zwiespalt zwischen Wunsch und harter Wirklichkeit, während Oliver Rosskopf (realiter noch älter als Absenger) in der Jugend um seine Liebe kämpft, fleht und leidete, in älteren Jahren dann nur noch Resignation mit sich herumträgt.
Günter Franzmeier hat nur einen Auftritt als Vater von Gert, gibt aber den Apparatschik in dem kleinen Ort, wo der Schein alles ist, souverän. Ähnlich eindrucksvoll Michael König, der als Großvater eindrucksvoll von alt zu ganz alt mutiert.
Die Frauen haben weniger zu vermelden – wo es um rabiate Geschöpfe geht, ist Katharina Klar immer richtig, auch Juliette Larat muss viel (jugendliche) Wut ausstrahlen, während Martina Ebm in ihrem Alltagsschicksal versinkt, hingegen Ulli Maier in ihrem wenigstens noch etwas wie Bitterkeit über das Schicksal spürbar ,macht.
Das Publikum hatte die Premiere nicht eben gestürmt, spendete aber dann viel Applaus, auch für die Autorin, die vor wenigen Tagen erst ihren 30. Geburtstag gefeiert hat. Sie spielt geschickt mit dem Instrumentarium dessen, was sich thematisch heutzutage verkaufen lässt, hat also möglicherweise eine gute Theaterzukunft.
Renate Wagner