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WIEN / Josefstadt: ANNA KARENINA

02.09.2022 | KRITIKEN, Theater

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Fotos: Theater in der Josefstadt

WIEN / Theater in der Josefstadt:
ANNA KARENINA
Amélie Niermeyer / Armin Petras nach Leo Tolstoi
Premiere: 1. September 2022 

„Dass dieser Stoff heute immer noch interessieren und faszinieren könnte“ und dass die Titelheldin eine Traumrolle für Silvia Meisterle ergeben würde, argumentierte Regisseurin Amélie Niermeyer angesichts von Leo Tolstois Roman „Anna Karenina“ (nachzulesen im Programmheft). Der Josefstadt-Direktor ließ sich überzeugen, also wurde in Zusammenarbeit mit Armin Petras eine dramatisierte Fassung erstellt. So ganz ist die Rechnung bei der ersten Josefstadt-Premiere der neuen Saison allerdings nicht aufgegangen.

Das liegt zu allererst an der Fragwürdigkeit der zahllosen Prosa-Dramatisierungen, die gewaltsam auf die Bühne gebracht werden, obwohl sie letztendlich immer nur einen trüben Abriß und Umriß des Originals ergeben können. Einen Tausend-Seiten-Roman mit einer Unzahl von Personen, Handlungssträngen und vor allem philosophischen, politischen und psychologischen Überlegungen auf acht Personen einzuschmelzen, wie es hier geschieht, ist eine gewaltige Reduktion, auch wenn man gut über drei Stunden dafür braucht.

So bleiben neben der Dreiecksgeschichte – Anna zwischen Gatten Karenin und Liebhaber Wronski – nur noch zwei „Familien“, jene von Annas Bruder (verkürzt auf ihn und seine Frau) und jene von Lewin, im Grunde die wichtigste Figur des Buches (verkürzt auf ihn und Kitty).

Nun kann man sagen, dass in lockerer Szenenfolge – manches umgestellt, vieles sprachlich heutig-verflapsigt – die wichtigsten Szenen aus der Tragödie von Anna nachgespielt werden. Und weil man auch ein kleines bisschen von Tolstois Reflexionen (meist das Innenleben der Figuren betreffend) einbringen will, dürfen die Darsteller nicht nur Dialoge sprechen, sondern auch Teile des Prosatextes. Ist nicht neu, hat man immer wieder versucht, fragmentarisches Stückwerk bleibt es allemale.

Amélie Niermeyer setzte zuerst auf eine seltsame Ausstattung – fast nichts mit einigen Versatzstücken (Stefanie Seitz), durchaus mit Neigung zu albernen Effekten, dazu Kostüme bunt gewürfelt, vage heutig irgendwie, aber eines haben sie gemeinsam, sie sind allesamt hässlich (Christian Schmidt). Um das Geschehen aufzuputzen, wird viel Schlittschuh gefahren, was das Tröpfeln der Szenen affektierter, aber nicht interessanter macht, ein Keyboard dient gelegentlich für überflüssigen musikalischen Aufputz, sprich, lächerliche Ausbrüche in Gesang und Tanz.

 Die Geschichte soll vage heute spielen, das Russland von 1877 (als der Roman erschien) wurde eliminiert, darum bleibt neben der „Ehebruchs“-Handlung nicht viel. Am Ende stopft man noch rasch Philosophisches hinein (Lewins tragisch-nihilistische Gedanken über den Tod) . Und obwohl Amélie Niermeyer bei Tolstoi (wohl weil es auch „ihr“ Text war) nicht so verheerend-zerstörerisch auf das Werk los gegangen ist wie einst in diesem Haus auf Tschechows „Kirschgarten“ (unverzeihlich), leistet sie sich noch allerlei an Stilbrüchen und Albernheiten – die Italien-Reise der Liebenden verblödelt vor Videobildern (und Wronski singt eine Serenade á la Adriano Celentano), und die Hochzeit von Lewin und Kitty, die nicht tragikomisch ist, sondern nur dumm. Seltsames Mischmach, das Ganze.

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Nicht aufgegangen ist die Rechnung auch mit der „Traumrolle für Silvia Meisterle“. Auch wenn man nicht an die betörend schönen Damen denkt, die Anna Karenina im Film verkörpert haben (die Garbo, Vivien Leigh, Keira Knightley), ist die Meisterle ganz im Look einer „Mondänen“ der zwanziger Jahre wohl nicht der Typ, den man sich für die Figur vorstellen kann (die auch nicht wirklich eine „moderne Frau“ ist, wie Amélie Niermeyer behauptet). Immer ein zynisches Lächeln um den Mund, glaubt man ihr weder die unterdrückten Gefühle noch die ausgelebten, und ihr Selbstzerstörungstrip wird einfach zu schlechtem Theater.

Ist es tröstlich für die fehlbesetzte Hauptdarstellerin, dass auch die beiden Männer rund um sie keine Sekunde überzeugen? Die Regisseurin wollte bewusste Umdeutungen vornehmen, mit dem Effekt, dass Wronski, bei Tolstoi ein schneidiger Offizier mit leicht fragwürdigem Charakter, hier zu einer Art Clown in bunten Jacken und ein Installations-Künstler wird – die Frau, die für ihn ihre Existenz wegschmeißt, muss erst gefunden werden. Dafür wird der bei Tolstoi expliziert hart gezeichnete Gatte Karenin hier zum Weichei. Und warum gleichen Claudius von Stolzmann und Raphael von Bargen in diesen Rollen bis in die Frisur hinein einander fast wie Brüder?

Lewins innere Unsicherheit bis zur Parodie zu überzeichnen, schadet dem Gewicht der Figur erheblich (Alexander Absenger), aber er bekommt in dieser Kitty, wie Alma Hasun sie hinstellen muss, kein schwankendes junges Mädchen, sondern einen Trampel mit proletarischen Anklängen.

Am besten bzw. überzeugendsten steigt das Ehepaar Oblonskij aus, er ganz männliche Gewissenlosigkeit und wie man damit durchkommt (Robert Joseph Bartl), sie überlastete Hausfrau und Mutter mit Zweifel an der Rolle, die man ihresgleichen ungefragt aufbürdet (Alexandra Krismer).

Wer nun meint, er kenne „Anna Karenina“, hat sich getäuscht, wenn man bedenkt, wie wenig da geboten wird. Was ist aus diesem großen Stück Weltliteratur auf den Josefstädter Brettern geworden? Ein durch und durch langweiliger Leichenbitter.

Renate Wagner

 

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