WIEN / ImPulsTanz:
Cie. Eva-Maria Schaller & Wolfgang Mitterer
mit „Walzerwut“
im Odeon Wien
„Glücklich ist, wer vergisst.“ Johann Strauß zählte zu den Superstars der Popmusik längst vergangener Zeiten. Mit seinen Walzern bediente er die tiefe Sehnsucht der Menschen nach sorglos-seligem Schwelgen weit jenseits aller inneren und äußeren Konflikte. Die Choreografin und Tänzerin Eva-Maria Schaller lud den Komponisten und Pianisten Wolfgang Mitterer ein, mit ihr gemeinsam ein Stück im Auftrag von „Johann Strauss 2025 Wien“ zu erarbeiten. Von Glück jedoch erzählt ihre hier uraufgeführte „Walzerwut“ nicht.
Das neoklassizistische Ambiente des Wiener Odeon eignet sich hervorragend für eine Zeitreise in das ausgehende 19. und beginnende 20. Jahrhundert. Elisabeth Vogetseder (Bühne und Kostüm) und insbesondere der Lichtdesigner Jan Wagner bespielen die von Säulen gerahmte Halle, ihre Rückwand und Decke beeindruckend. Das Klavier steht links am Rand. Wolfgang Mitterer spielt live zu vorgefertigtem Klangmaterial, das er per Synthesizer steuert. In permanenter Kommunikation mit den TänzerInnen.
Diese fünf, allesamt in Wien lebend, vier Frauen und ein Mann (Sasha Portyannikova, Chiara Aprea, Eva-Maria Schaller, Maartje Pasman und Nimrod Poles), waren an der Stückentwicklung beteiligt. Ihre Herkünfte (Russland, Italien, Österreich, Niederlande/Indonesien und Israel) werden zu bedeutsamen Mit-Performern. Ihre individuell geprägten TänzerInnen-Persönlichkeiten und ihre Muttersprachen sind gefragte nichtmaterielle Requisiten in diesem Stück.
„Walzerwut“ betrachtet die Entstehungs- und Blütezeit der Musik von Johann Strauß Sohn (1825-1899). Die Periode ihrer größten Beleibtheit vor allem in „besseren Kreisen“ reichte von der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis zum so genannten Walzersterben in der zweiten Dekade des 20. Jahrhunderts auf Grund des steigenden Einflusses dynamischerer Tanzstile aus Übersee. Politisch rahmten diese Zeit die Märzrevolution 1848 und der erste Weltkrieg.
Der vielfach ausgezeichnete Komponist Wolfgang Mitterer entwickelte für dieses Stück ein Medley aus den bekanntesten und beliebtesten Werken von Johann Strauß Sohn. Walzer, Polka und Mazurka arrangiert Mitterer als eine Folge von kurzen Zitaten, in die elektronische Klänge und Geräusche brechen wie beunruhigende und deshalb verdrängte Realitäten dieser Epoche. Kriegsgetrommel, Schüsse, Explosionen und Sirenen lassen keinen Raum für Walzer-Seligkeit. Die gewohnt hohe Dichte seiner Kompositionen fordert auch hier die Aufmerksamkeit des Publikums (heraus). Er selbst spielt live ergänzendes Material am Piano, bescheiden, virtuos, hochklassig und, natürlich, nie wirklich schön.
Die Choreografin äußerte zu dem Stück: „Der Gegensatz von Ballsaal und Kriegsplanung, beides abseits der Schlachtfelder, ist die Klammer der Zeit.“ Folgerichtig fügt sie mit Zitaten aus dem Roman „Die Waffen nieder!“ und Briefen der Schriftstellerin und Friedens-Aktivistin Bertha von Suttner (1843-1914), die die PerformerInnen auch in ihren Muttersprachen proklamieren, dem Stück eine weitere Ebene hinzu.
Die Kostüme, zwischen sportlich, Casual und harlekinesk bunt, haben mit Ballsaal und Bürgerlichkeit nichts zu tun. Sie weisen ins Heute. So wie der Tanz. Die Choreografie ist wie ein zeitgenössischer, dynamischer Kontrapunkt zur schwebenden Leichtigkeit des Wiener Walzers. Ganz ohne ihn geht es aber auch für die fünf nicht. Nur kurz, allein gedreht und sich selten zu schnell wieder zerfallenden Paaren findend, tanzen sie vor allem zeitgenössisches Material. Wilde Polka-Jagden und hüpfende Maturka-Passagen flechten sie ein.
Das Eigentliche aber, seine Botschaft, liegt in der Dramaturgie des Stückes (Anita Buchart, Outside Eye: Daphna Horenczyk). Die drohende Gefahr eines Krieges und schließlich dessen Ausbruch, die Gut- und Leichtgläubigkeit des Großteils nicht nur der feinen Gesellschaft und die Wachheit und das Engagement der Mahner und Aktivisten in ganz Europa begegnen sich auf der Bühne. Ihnen zur Seite stehen wütend-wildes, narkotisierendes Amüsement, Hilflosigkeit, Angst, Verzweiflung, Mut und die Wut der Friedliebenden. Hier zeigt das Stück auch, warum der Krieg am Ende möglich wurde. Die europa-, ja weltweite Synchronisation der Kriegsgegner und damit der Zusammenschluss der Sozialisten und Sozialdemokraten gelang nicht.
Den fünf wunderbaren TänzerInnen gibt die Choreografie jenseits einiger synchroner (oder eben nur fast synchroner) Sequenzen viel Raum, ihr Können und ihre tänzerische und persönliche Individualität einzubringen. Der Dynamik der Musik folgt der Tanz mit häufigen Wechseln in Konstellation und Duktus.
Die Überlagerung vieler Ebenen, begonnen in der Musik selbst, dazu mit dem Tanz, den Texten, den Sprachen, dem Lichtdesign und den Persönlichkeiten der TänzerInnen ergibt ein äußerst komplexes Tanzstück, dessen Aktualität beunruhigend ist. Weltweit forcierte Hochrüstung sowie die europäische Kriegstreiberei, die Kriege in der Ukraine und in Gaza, alldem steht der Wunsch der Menschen gegenüber, in Frieden leben zu können.
Dass und wie das auch gemeinsam, Völker, Ethnien und Religionen übergreifend, funktionieren kann, zeigen die sechs auf der Bühne nach einem wie ein Schluss inszenierten Blackout, in den der Beifall des Publikums schon bricht. Es kommt wie eine in Duktus und Energie veränderte Zugabe daher. Die TänzerInnen fangen sich auf, halten, stützen und heben sich gegenseitig, und feiern solistisch ihre ausgeprägte Individualität. Zu einer Musik, die nicht mehr von Kriegslärm aufgebrochen wird.
Das kann Walzer heute. Sein Geist lebt, wenn auch in anderen, weit vielfältigeren Klängen und Tänzen. Sie zeigen, dass Nationen und Kulturen sich gegenseitig bereichernd zusammenleben können. In einer friedlichen und freudvollen Weise und Welt. Dennoch: Die Botschaft des Stückes ist klar: „Wir sollten unsere Stimme erheben!“
Cie. Eva-Maria Schaller & Wolfgang Mitterer mit „Walzerwut“ am 25.07.2025 im Odeon Wien im Rahmen von ImPulsTanz und „Johann Strauss 2025 Wien“.
Rando Hannemann