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WIEN/ ImPulsTanz: TRANSIENT SHIFTS

WIEN/ ImPulsTanz: Akemi Takeya mit „Transient Shifts“
Wiener Odeon; 18. Juli 2025

Es ist eine fantastisch-fantasievolle, surreale Reise zu einem 8000 Lichtjahre entfernten, ohne eigene Sonne in der Milchstraße auf einer Möbiusschleifenbahn kreisenden Planeten namens Ayviss, auf die uns die seit 1992 in Wien lebende Japanerin Akemi Takeya in dieser Uraufführung mitnimmt. Die Reisenden, fünf Teilnehmende, werden von drei Lehrenden auf das Treffen mit den Außerirdischen, Lichtwesen aus reiner Energie, in einem Trainingscamp vorbereitet.

Die sieben Lektionen werden in sich deutlich voneinander unterscheidenden Settings durchgeführt und wiederholt. Denn Übung macht den Meister, der hier tatsächlich Großes vollbringen muss. Ist doch die Kluft zwischen den in ihren Körpern wohnenden Erdlingen und jenen Wesen aus reiner Energie schier unüberbrückbar

Das Lichtdesign (Nicholas Langer), der elektronische und Live-Gitarren-Sound von Martin Siewert und der eingespielte und an der rückwärtigen Leinwand (im Wechsel mit Video- und Grafik-Animationen) und dem rechts oben hängenden Monitor mitlesbare englische Text erzeugen spezifische Atmosphären für die Einheiten, in denen vermittelt werden: Die Grundmethoden Unterschlupf- und Ayvissianisierungstechnik, die Zugangsmethode Kanalisierungstechnik (Channeling), die Verlagerungsmethode Transiente Meditationstechnik, die Kommunikationsmethode Telepathietechnik, die Ankunftsmethode Nicht-Existenz-Technik und die Abreisemethode Körperaustrittstechnik.

Es klingt wie eine Verspottung der (eh unter Beschuss der ausschließlich die physische Welt untersuchenden Wissenschaft stehenden) Esoterik selbst und diverser Werkzeuge und Praxen, die jener zugeordnet oder in deren Nähe gerückt werden. Doch die kulturell und religiös zwischen mindestens zwei Stühlen sitzende Akemi Takeya meint es ernster, als es die teils überzeichnet und mit augenzwinkerndem Unterton präsentierten Lektionen zu vermitteln scheinen. Hier beginnt es komplex zu werden:

Zwischen Buddhismus, japanischer Kultur und Ästhetik und einem christlich geprägten und kriegstraumatisierten Mitteleuropa bewegt sich Akemi Takeya seit über drei Jahrzehnten. Im Rahmen der ständigen Auseinandersetzung mit dieser inneren Spannung entwickelte sie zahlreiche, seit 1997 auch bei ImPulsTanz gezeigte Performances sowie vor zehn Jahren ihren Lemonismus, mit dem sie Kunstströmungen der letzten 100 Jahre einer kritischen Betrachtung unterzieht. Auch in diesem Stück taucht die Zitrone auf. Als gelber Suchscheinwerfer und als gelb-ovales Objekt im Zentrum einer die Methodensammlung veranschaulichenden grafischen Darstellung. In ihrem Lemonism geht es also um weit mehr als nur Kunst.

So auch in „Transient Shifts“. Eine Fülle von physikalischen Details, sorgsam ausgearbeitet, strukturiert und aufeinander abgestimmt, verleihen diesem Spektakel einen dokumentarischen, wissenschaftlichen Charakter. Ebenso der umfangreiche Text, der Räume und Zeiten verbindet, verwischt und damit dem Publikum neben dem Mit-Reisen auch das Sein an allen Orten (Erde, Wurmloch, Ayviss) und in allen Zeiten zwischen Vergangenheit und Zukunft ermöglicht.

Die eineinhalbstündige Performance erzählt, oberflächlich betrachtet, von dem Wunsch des Menschen zu fliegen, fremde Welten zu entdecken und zu erkunden und seine engen physischen Grenzen zu überwinden. Das jedoch sind hier nur Bilder für die eigentliche, zutiefst menschliche Sehnsucht: Zu sich selbst zu gelangen. Wir aber sind von diesem Selbst durch Erziehung und kulturelle, soziale, gesellschaftliche und religiöse Prägungen so weit entfernt worden wie es jene 8000 Lichtjahre Distanz zwischen Erde und Ayviss symbolisieren.

Das Ziel unserer Reise zu uns selbst beschreibt Takeya als Lichtwesen aus reiner Energie. Damit bezieht sie sich auf einen Zustand, der in den verschiedenen und in ihrem Kern doch so ähnlichen Religionen als unser Sein im Jenseits, Nirwana oder an anderen Orten beschrieben wird. Nachdem wir gestorben sind. Dass der Tod nur eine Lüge ist, erwähnt sie, ohne es zu sagen. Entledigt unseres Körpers, unseres Egos, diverser Identitäten und somit befreit von körperlichen und psychischen Bedürfnissen und Schmerzen und als Seele weder an Schwerkraft, Raum und Zeit gebunden zu sein ist jene Seinsweise der ayvissianischen Lichtgestalten. Wie wir dorthin gelangen können, schon jetzt und hier in unserer irdischen Existenz, erläutert sie mit ihrem Methoden- und Techniken-Set.

Freilich mögen Zweifler und all jene aus der übergroßen Mehrheit, fest verankert in ihrem So-Sein und gekettet an ihre Identitätskonstrukte, dieses in der Ferne liegende Ideal verlachen. Die Angst, durch Loslassen sein Ich und damit seine eigene Existenz zu verlieren, also zu sterben, ist zu groß. Das Ziel jedoch ist nicht nur die Überwindung von Ego und Identität, von Erwartungen, Widerstand und Schmerz, von Lüge und Selbstbetrug, das Ziel ist der Reichtum in uns, ist absolute Freiheit. Das Ziel ist Frieden innen und außen. Wie das ins Körperliche transformierte Bei-sich-Sein aussehen kann, zeigen die in Wien lebenden PerformerInnen mit internationalen Wurzeln mit den wundervoll fantasievollen Kostümen (von Ruth Erharter), die sie am Ende tragen. Silbrig-spacig, höchst individuell, eigenwillig expressiv. Akemi Takeya zeichnet für Konzept, künstlerische Leitung, Inszenierung, Skript, Choreografie und Objektdesign verantwortlich, Alfredo Barsuglia für Bühnenbild und Szenografie, Josi Wanunu und Evandro Pedroni, der auch selbst performte, unterstützten künstlerisch.

Mit „Transient Shifts“ gelingt Akemi Takeya eine in ihrer Bildsprache äußerst fantasievolle Arbeit, immer wieder witzig, wissenschaftlich sorgfältig konstruiert und dramaturgisch spannend. Das Stück ist hoch komplex, surreal, skurril, hinter-, tief- und abgründig, voller Humor und ironischer Brechungen. Es ist eine Utopie. Ja, aber eine mit Tiefgang. Und so freundlich zum Menschen in der Zuversicht, dass er seine Schönheit, seine Größe und seine Liebe einst befreit. „Das ist Evolution!“, heißt es am Ende.

Rando Hannemann

 

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