WIEN / ImPulsTanz:
Kyoung Shin Kim / Unplugged Bodies mit „Homo Faber – The Origin“
Volkstheater Wien
Im Rahmen ihres ersten europäischen Gastspiels, und des ersten außerhalb Koreas überhaupt, zeigte die Kompanie „Unplugged Bodies“ des Choreografen, ehemaligen Tänzers renommierter internationaler Tanzkompanien (unter anderem Hofesh Shechter) und Universitäts-Professors Kyoung Shin Kim ihr Stück „Homo Faber – The Origin“ im Wiener Volkstheater. Sie tauchen darin ab in die Wurzeln der menschlichen Zivilisation.
Angelehnt an die Grundgedanken der Philosophie des Franzosen Henri Bergson (1859-1941) geht das Stück von Prozessen aus, von den in ihnen und durch sie sicht- und erlebbar werdenden Veränderungen und somit von der das menschliche Sein dominierenden Allmacht des Begriffes Zeit als Repräsentant von Wandel. Zugleich aber liegt darunter Invariables. Diese Dichotomie bildet den gedanklichen Überbau für eine Untersuchung der technologischen Entwicklung und ihres sich stetig beschleunigenden Fortschritts und den mit ihnen einhergehenden Auswirkungen auf den Menschen und seine Umwelt.
In einer dynamischen Choreografie mit sich steigernder Dramatik und zunehmend wuchtigen Bildern zeichnet diese Arbeit einen Abriss der menschlichen Entwicklung, beginnend mit der Herstellung und Nutzung erster Werkzeuge. Von der Werkstatt geht es über die Manufaktur in die symbolische Darstellung hochtechnisierter Produktionsstätten mit ihren unerbittlich laufenden und auf nichts als auf die Effektivitäts-Kennzahlen Rücksicht nehmenden Fließbändern und den an diesen arbeitenden, zu Maschinen degradierten Menschen.
Die jedoch sind geblieben, was sie immer waren: Komplexe Wesen aus Körper, Geist und Seele, mit physischen und psychischen Bedürfnissen, mit Begierden, Träumen und Wünschen, mit Sehnsüchten und Emotionen. Deren Existenz zu leugnen und über sie hinweg zu leben, richtiger gesagt zu produzieren, gelingt den so hart Arbeitenden letztlich nicht. Zumindest nicht allen. Fokussiert auf ihren materiellen Wohlstand („Kleidung, Rechte, mehr Annehmlichkeiten wollte ich.“) entfremden sie sich zusehens von sich und der Welt.
Beleuchtete Masken tauchen auf im Hintergrund, wie unterdrückte Gefühle und vergessene, tiefe Weisheit repräsentierende Traditionen drängen sie aus dem Dunkel des Unbewussten und den Verliesen des kollektiven Wertewandels durch die Wälle aus Rationalisierungen und Selbsttäuschungen ins wieder Spürbare. An diesen Oberflächen kollidieren sie mit den inneren und äußeren Notwendigkeiten moderner Gesellschaften.
Südkorea als eine der führenden Hochtechnologie-Nationen einerseits und mit seiner reichen, vom Buddhismus geprägten Tradition andererseits ist prädestiniert für die Manifestation der Wirkungen der jüngsten, inzwischen mit Abstand wirkmächtigsten und ihre uralten Mitbewerber in die Bedeutungsarmut verdrängenden Religion: der Technologie-Gläubigkeit. Deren Wurzeln beschreibt das Stück mit einer immer wieder eingespielten, einen düsteren Sound nur schwer durchdringenden dunklen Stimme, die wie aus den tiefsten Schichten der Seele zu uns spricht.
„Ich muss mich schützen!“ „Etwas, das die Stelle des Menschen einnehmen kann. Eines Tages.“ Sie beschreiben damit die Triebkräfte und das Ziel technologischer Entwicklung überhaupt. „Das Gefühl von Tod“ begleitet sie ständig. In ihren grauen Blaumännern gleichgeschaltet, anonymisiert und ihrer auch geschlechtlichen Identität beraubt, hämmern sie auf einen Amboss ein, hecheln getrieben und besinnungslos über Werkbänke und Fließbänder. Es ist wie ein Tanz um eine Mitte, in der betäubt eine große Seele steht.
Die Geister, die wir riefen, sind tödlich. Neben dem Paradoxon, dass wir Opfer werden dessen, was wir selbst erschaffen haben, wirkt diese bidirektionale Schöpfer-Opfer-Beziehung weit über sich hinaus: Altes Wissen, Mythen, Traditionen und Religionen, Natur und Umwelt. Sie präsentieren einen zum Wüstenplaneten mutierten Globus. Und einen, der die Erde als blauen Planeten zeigt. Die globale Dimension des Phänomens und die weitgehend ignorierte Verantwortung des Menschen für die Schöpfung sind Konsequenzen des verloren gegangenen Wissen darum, Teil dieser einen Schöpfung zu sein. Nicht deren (Be-) Herrscher.
Bis die Frauen erste Impulse setzen für Besinnung und die Rück-Eroberung der Herrschaft über uns selbst. Sie erlauben sich als erste das Spüren der inneren Zerrissenheit. Den Oberkörper frei gemacht von der Uniform der Arbeitenden erklimmt eine die inneren Barrikaden auf einem langen Brett. Aus den schließlich wie in einer Sturzflut fallenden Rosenblättern bildet sich ein roter Teppich auf dem tristen grauen Boden. Auf diesem präsentieren sie, einem Opfer-Ritual ähnlich, den auf seiner Werkbank verendeten Menschen. Mit Spielzeug-Panzer und Maschinengewehr-Salven aus den Lautsprechern wird der innere Krieg auch zum äußeren.
Glühwürmchen gleich tanzen kleine Lichter einer aufkeimenden Erleuchtung durch das tiefe Dunkel einer Welt in Agonie. Mozarts Requiem klingt wie der Gesang am Grab einer ihrem eigenen Untergang beiwohnenden Menschheit. Wie sehr sie diesen selbst forciert in ihrem (be-) trügerischen Glauben an das fortgesetzte und unendliche Wachstum als Götze der postmodernen Gesellschaft und ihres entmenschlichenden und entmenschten Turbo-Kapitalismus, durch die Anbetung falscher Götter, was sie opfert an den Altären der Angst vor dem Leben, also vor sich selbst, zeigt das Stück in gewaltigen, mit ihrer Poesie überwältigenden Bildern. Zuweilen nah am Plakativen.
Die Kompanie jedoch, bestehend aus hochklassigen und -qualifizierten TänzerInnen, zum Teil selbst ChoreografInnen und ForscherInnen, hebt mit ihrem Tanz zwischen Action, schweißtreibender Athletik, fernöstlichen Moves und zeitgenössischem Duktus diese Arbeit in luftige Höhen. Gemeinsam mit dem aufwändigen Bühnenbild, dem Lichtdesign von Backhee Ryou und der elektronischen Musik, komponiert und bearbeitet (unter Verwendung von Zitaten auch aus Schostakowitsch-Kompositionen) vom Choreografen selbst, entsteht ein opulent inszeniertes, bewegendes Tanzstück mit einzigartiger Ästhetik, getragen von einer tiefen, berührenden Melancholie.
Kyoung Shin Kim / Unplugged Bodies mit „Homo Faber – The Origin“ am 24.07.2025 im Volkstheater Wien im Rahmen von ImPulsTanz.
Rando Hannemann