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WIEN / ImPulsTanz: In C

WIEN/ ImPulsTanz:
Sasha Waltz mit „In C“
im Burgtheater Wien

Erstmals zu Gast bei ImPulsTanz zeigt die Kompanie Sasha Waltz & Guests der weltberühmten Berliner Choreografin ihr Stück „In C“. Zur von der inzwischen schon legendären Schweizer Post-Industrial-Band „The Young Gods“ live gespielten Musik von Terry Riley, der 1964 entstandenen Komposition gleichen Namens, entfaltet sich ein faszinierendes Schauspiel von Aktion, Reaktion und Interaktion. 

Wie Schattenfiguren vor rot leuchtendem Hintergrund bewegen sich alle 13 TänzerInnen und die drei Musiker auf der Bühne. Atomisiert, mit zufälliger Verteilung im Raum, ohne Beziehungen zueinander. Einige begegnen sich kurz. Die Musiker nehmen an der linken Seite der Bühne hinter ihren Instrumenten Platz: Francis Treichler (Sampler, Computer, Gitarre, Stimme), Bernard Trontin (Schlagwerk, Elektronik) und Cesare Pizzi (Sampler, Computer). 

Terry Riley schuf für seine Komposition, die als erste der minimalistischen Musik gilt, 53 kleinere musikalische Einheiten, die variabel miteinander kombiniert werden können. Allein schon die personelle Größe des musizierenden Ensembles ist in weiten Grenzen frei gestaltbar. Seinem damaligen Wunsche nach sollten es bis zu 35 MusikerInnen sein. Hier sind es drei.

Die spielen respektive bedienen allerdings zuweilen auch mehrere Instrumente gleichzeitig, so dass das von ihnen erzeugte Klangbild von Solo-Perkussion oder -Gitarre bis zu ungemein komplexen Sounds reicht. Die 53 Kurz-Kompositionen führen die drei Musiker zu sich folgenden oder/und überlagernden Klängen zusammen, die horizontal und vertikal, also melodisch und harmonisch sowie rhythmisch von einem lang gehaltenen Ton bis zur chaotischen Klangwolke, von klaren, treibenden Dancefloor-Beats bis zum krachenden Rhythmen-Brei reichen. Die Wirkung der Musik ist geradezu hypnotisch.

Die Wahl der Zahl 53 für die Anzahl der Elemente kann kein Zufall sein. In der Numerologie steht sie „für Veränderungen, Fortschritt und die Fähigkeit, sich neuen Situationen anzupassen.“ Und auch „für Freiheit, Abenteuerlust und das Verfolgen neuer Perspektiven.“

Die Live-Performance der Musik ergibt bei jeder Aufführung ein anderes Stück, entstanden aus den immer wieder anders zusammengesetzten 53 Bausteinen mit entsprechend unterschiedlichem Charakter in Klang und Dynamik. Die offene Struktur dieser Komposition und deren mögliche Auswirkungen auf die performative Praxis animierten Sasha Waltz zur Schaffung eines den gleichen Prinzipien folgenden Tanzstückes.

Entstanden 2021, im zweiten Jahr der Pandemie also, erzählt In C auch von der damals notwendigen Kreativität im Umgang mit den Einschränkungen für kollektive Ereignisse. Die aufgezeichneten und per Zoom verteilten 53 choreografischen Sequenzen ermöglichten den isolierten TänzerInnen deren Einstudieren und letztlich auch die per Livestream übertragene Berliner Uraufführung im März 2021.

In der Folge entwickelte sich das Stück zu einem ganzen System von unterschiedlichen Arbeits- und Aufführungs-Modi, getragen immer von der Variabilität der Zusammensetzung der Elemente und der musikalisch-choreografischen Prämisse des aufmerksamen, non-hierarchischen Miteinanders.

In C ist eine „strukturierte Improvisation mit klaren Regeln und Gesetzen“ mit variabler Stück-Dauer und Besetzung im musikalischen und tänzerischen Personal. In der hier gezeigten (Österreichischen Erst-) Aufführung tanzen die 13 so unterschiedlichen TänzerInnen des Ensembles in einfarbigen, pastelligen Kostümen (von Jasmin Lepore). Kein Kostüm gleicht einem anderen in Schnitt und Kolorierung.

Diese Diversität ist Teil des Konzeptes, das mit dem Tanz dem Charakter der Musik ein physisches Pendant zu Seite stellt. Die PerformerInnen schwirren wie Atome frei im Raum, suchen in diesem Partner für temporäre gemeinsame Aktionen, finden sich in Nähe oder über große Distanzen zu synchron getanzten Passagen zusammen und trennen sich sehr bald schon wieder, bereit für Neues, Anderes. Die Anzahl der gemeinsam Agierenden variiert. Zuweilen auch treffen sich TänzerInnen, um die Weitergabe von Impulsen oder das Scheitern des Versuchs der Synchronisierung zu demonstrieren. Dann eilen sie sich in ihren identischen gestischen Folgen um Sekundenbruchteile nach und voraus.

Den TänzerInnen wird sehr viel abverlangt. Nicht nur die physischen Anforderungen sind immens. Musiker und Tanzende sowie letztere in hoch dynamischen räumlichen Konstellationen interagieren miteinander. Die Wahrnehmung der musikalischen Strukturen, des momentanen Charakters des Klanges und der Rhythmik und des energetischen Niveaus der Musik erfordern neben dem Suchen und Finden von Partnern für temporäre Synchronizitäten im großen Bühnenraum und der Auswahl einer passenden Bewegungssequenz höchste, permanente Aufmerksamkeit.

Das Lichtdesign von Olaf Danilsen und die farbliche Gestaltung der riesigen rückwärtigen Leinwand mit fließenden Übergängen der leuchtenden Farben ineinander und leichten flächen-internen horizontalen und vertikalen Strukturen ergänzt den sich ständig wandelnden Charakter des Bühnengeschehens auf einer weiteren Ebene. Für Konzept und Dramaturgie zeichnet Jochen Sandig verantwortlich.

Sasha Waltz sagte über In C: „Es ist ein Stück darüber, als Individuum Teil einer Gruppe zu sein, nicht ein Individuum in einer Gruppe. In C ist ein dynamisches, modulares System, das in Krisenzeiten adaptionsfähig bleibt.“ Sie formuliert damit eine über den spielerischen Ansatz weit hinausgehende Botschaft. Sich, obwohl in einer Gesellschaft lebend, von dieser durch Separierung, In- oder Gegen-Aktivität zu distanzieren nimmt dieser Gemeinschaft einen Teil ihrer Kraft und ihres schöpferischen Potentials. Und je größer die Zahl solcher, sich auch voneinander noch abgrenzenden Mitglieder ist, umso mehr driftet die Gesellschaft vor allem politisch in die Handlungsunfähigkeit. Was Rufe nach einem starken Führer provoziert.

In C“, weltweit bereits weit über 50 Mal gezeigt, ist eine musikalisch, choreografisch und tänzerisch hoch komplexe Arbeit. Sie beschreibt die Selbstorganisation von sozialen Gefügen unter Respektierung der Individualität eines jeden Einzelnen. Die Diversität des Ensembles, TänzerInnen mehrerer Generationen, die Älteste ist 51, und verschiedener regionaler und kultureller Herkünfte stehen auf der Bühne, bildet die Inhomogenität der Gesellschaft als Ganzes ab.

Von dieser unterscheidet sich „In C“ allerdings durch seinen Wertekanon, dessen Ziel es ist zu untersuchen, was sich ergeben kann, wenn Offenheit, Neugierde, Toleranz und Wertschätzung regieren. Das Ergebnis ist die demokratische Re-Konstruktion einer sich permanent verändernden Gesellschaft als lebbare Utopie. Großartig performt von TänzerInnen und Musikern, kraftvoll und voller positiver Energie. Ein Genuss!

Sasha Waltz & Guests, The Young Gods, Terry Riley mit „In C“ am 23.07.2025 im Burgtheater Wien im Rahmen von ImPulsTanz.

Rando Hannemann

 

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