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WIEN / Freie Bühne Wieden: KOPENHAGEN

15.01.2019 | KRITIKEN, Theater

WIEN / Freie Bühne Wieden:
KOPENHAGEN von Michael Frayn
Premiere: 15. Jänner 2019

Man darf einen Autor wie den Briten Michael Frayn (Jahrgang 1933) nicht unterschätzen, nur weil er 1982 mit „Der nackte Wahnsinn“ (früher auch unter dem Titel „Lampenfieber“ gespielt, im Original: „Noises Off“) eine der brillantesten, verrücktesten und erfolgreichsten Komödien unserer Bühnen geschrieben hat. Das Stück „Kopenhagen“ aus dem Jahre 1998 wird seinem Nachruhm zuträglicher sein und immer hervorgeholt werden, wenn es darum geht, über Wissenschaft im allgemeinen und ihre Folgen im besonderen zu diskutieren – obwohl es eigentlich ein Stück über Menschen ist. Und darüber, dass man im pirandellesken Sinn nichts wissen kann. Nichts von den anderen – und nichts von sich selbst.

„Kopenhagen“, ein so wichtiges Stück, ist in den mehr als 20 Jahren seines Bestehens an keiner großen Wiener Bühne angekommen, nur die Drachengasse und das (damals noch existierende) International Theatre haben das Werk gespielt, letzteres in der englischen Originalfassung. Michaela Ehrenstein, die heuer ihr 10-Jahr-Jubiläum als Direktorin der Freien Bühne Wieden feiert (zur Premiere kamen die Vorgänger, Topsy Küppers und Gerald Szyszkowitz), hat sich gerade dieses Stück für ihr Haus gewünscht. Sie gibt damit vielen Theaterbesuchern vermutlich die erste Möglichkeit des Kennenlernens.

Michael Frayn hat sich in „Kopenhagen“ einen historischen Fall hergenommen, der den Riesenvorteil hat, dass niemand etwas Genaues darüber weiß und die Aussagen darüber einander widersprechen. Welch schönes Puzzle, sich zu fragen, warum Werner Heisenberg, damals für die Nazis tätig, im Jahr 1941 zu seinem alten Lehrer Niels Bohr nach Kopenhagen, in das von Deutschen besetzte Dänemark, fuhr. Beide Herren waren damals übrigens schon Nobelpreisträger für Physik…


Foto: Freie Bühne / Rolf Bock

Einen eindeutig erkennbaren Grund für diesen Besuch gibt es nicht, aber natürlich drehte sich mitten im Krieg alles um die Atombombe, an der alle Nationen arbeiteten, aus Angst, die anderen könnten es tun. Und für uns besteht der gegenwärtige Angelpunkt des Stücks natürlich in der Frage nach der Verantwortung der Wissenschaftler, deren Forschungen für die Vernichtung eingesetzt wurden – obwohl das bei Frayn keinesfalls das Hauptthema ist.

Er zeigt vielmehr zwei brillante Männer, die einander einst herzlich zugetan waren, wenn sie auch in wissenschaftlichen Fragen heftig an einander geraten konnten, Männer, die miteinander gearbeitet und geforscht hatten und zu Ergebnissen gekommen waren, die für den Bau der Bombe essentiell waren. Männer, die nun auf verschiedenen Seiten standen und Persönliches und Politisches abwägen mussten. Wie es einst auch Max Frisch 1968 in dem Stück „Biographie“ tat, dreht und wendet Frayn die Handlung, lässt sie immer wieder von Neuem beginnen, gewinnt ihr andere Nuancen, aber keine endgültige „Lösung“ ab…

Dabei hat Frayn dem „Diskussionsstück“, das zwischen den beiden Männern stattfindet, noch in Gestalt von Bohrs Gattin eine Art von Mediator gegeben, eine Frau, die nicht nur beide gut kannte und mit deren gemeinsamer Geschichte bis ins Detail vertraut war, sondern auch verstand, wovon sie redeten.

Das wird der durchschnittliche Theaterbesucher nicht von sich behaupten können, wenn es doch neben der psychologisch so interessanten persönlichen Ebene reichlich um Physik, Quantenphysik und Mathematik geht, was man ja nicht eben als allgemeines Wissen voraussetzen kann. Das muss von der Regie her spannend gemacht werden, und Reinhard Hauser tat sein Möglichstes, dass man sich an das Temperament der Auseinandersetzungen halten konnte, wenn man schon Bahnhof verstand, wenn es um Teilchen und Theorien, Kernspaltung und Komplementarität, um Uran und Unschärferelation geht…

Gerhard Dorfer ist Niels Bohr, der Ältere, der Lehrer, der Souveräne, Herzliche, mehr oder minder die treibende Kraft des Abends. Dass Werner Heisenberg damals in Kopenhagen ziemlich verkrampft gewesen sein muss (vor allem, wenn er – wie Frayn unterstellt – selbst nicht genau wusste, was er hier wollte), macht Klaus Haberl glaubhaft, der nur im zweiten Teil vielfach den Fehler begeht, viel zu leise zu werden (es wirkt schlechtweg wie Affektation), was dem Zuschauer das Begreifen noch ein bisschen schwerer macht. Wunderschöne weibliche Souveränität bringt Michaela Ehrenstein ein.

Dieses Stück muss beeindrucken. Es tut es auch in der Freien Bühne Wieden.

Renate Wagner

 

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