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WIEN / Drachengasse: DER WEG ZURÜCK

Wissen ist Qual?

30.04.2024 | KRITIKEN, Theater

drachengasse weg zurück cc
Foto: Drachengasse

WIEN / Drachengasse: 
DER WEG ZURÜCK von Dennis Kelly
Premiere: 29. April 2024 

Wissen ist Qual?

Dennis Kelly, Jahrgang 1970, zählt mit Mark Ravenhill und der (mittlerweile verstorbenen) Sarah Kane zu jenen „Radikalen“, die Englands Theater seit der Jahrtausendwende gnadenlos aufgemischt haben. Schon sein Erstling „Schutt“ (von 2002. 2004 im Vestibül des Burgtheaters zu sehen) hat die Mischung von Schockpotential und grimmigem Humor gezeigt, die seither sein Markenzeichen geblieben ist.

Das Berliner Ensemble hat bei Kelly ein „Zeitstück“ bestellt, und 2021 kam „Der Weg zurück“ dort zur (von der Kritik ziemlich zerzausten) Uraufführung. „Regression“, wie das Stück im Original heißt, ist das Gegenteil von Progression, also Rückschritt statt Fortschritt. Und man kann nicht sagen, dass einem diese Problematik fremd vorkommt, im Gegenteil. Viele Menschen fühlen sich von dem Weg, den die Gesellschaft heute nimmt, bedroht. Sie wollen zurück in „unschuldigere“ Zeiten (wie jene Amerikaner, die unter Leugnung jeglicher Evolution auf die Schaffung der Welt durch Gott in sieben Tagen bestehen). Wenn wir Pech haben, gibt es bald wieder einen amerikanischen Präsidenten, der den Klimawandel für Bullshit hält, und wie man Wissenschaft mißbrauchen kann, um gegenteilige Positionen zu vertreten, das hat die Corona-Pandemie gezeigt. Also – ein Thema für heute.

Nur, dass Dennis Kelly es nicht in den Griff bekommen hat. Das großteils monologische Stück (zwei Stunden ohne Pause) beginnt mit einem Vater, der die Medizinwissenschaft dafür verantwortlich macht, dass seine Frau bei der Geburt seiner Tochter gestorben ist, Unter dem Kampfruf „Wissen ist Qual!“ (früher hieß es: Wissen ist Macht…) gründet er die Bewegung der „Regression“. Aber schon da merkt man schnell, dass der Autor sein Thema nicht wirklich durchdacht hat, dass Argumentationen gänzlich oberflächlich bleiben. 

Das dürfte auch Regisseurin Sandra Schüddekopf (sie hat einst „Schutt“ – das ungleich bessere Stück – für das Burgtheater inszeniert) gemerkt haben. Schon da flüchtet sie sich in inszenatorische Mätzchen, die allerdings den Nachteil haben, die ohnedies nicht sehr klare Ideologie der Geschichte weiter zu verdecken.

Dass man hier über fünf Generationen in eine Zukunfts-Dystopie erster Ordnung gerät, voll terroristischer Gewalt, wird auch nicht klar, ein Handlungsverlauf gestaltet sich nicht  – tatsächlich scheint die Geschichte auf der geschickten, einfach nur stufigen Bühne der Drachengasse (Ausstattung: Sophie Baumgartner) die meiste Zeit im Nirgendwo zu schwimmen. Und wird auch, vermutlich durch die Unsicherheit von Stück und Konzeption, nicht besonders gut gespielt.

Dass Sebastian Thiers den halbstündigen Monolog des Vaters zu Beginn bestreiten muss, ist kein Glücksfall, er ist als Sprecher und Gestalter einfach zu unpräzise. Und der Schlußmonolog der Tochter, die in der Terror-Welt des Nichtwissens die menschliche Neugierde entdeckt, Dinge durchschauen zu wollen, ist trotz der evidenten Begabung von Alicia Peckelsen auch in einem Regie-Misch-Masch verloren, das auch Karoline-Anni Reingraber und  Lukas David Schmidt mitzieht. 

Da mag die Drachengasse noch so stolz darauf sein, einen so prominenten Autor an Land gezogen zu haben – aber es wäre dem „kleinen“ Haus wohl nicht gelungen, hätte es sich um ein besseres Stück gehandelt, das auch durch die hilflose Interpretation keine Rettung fand.

Renate Wagner

 

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