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WIEN / Burgtheater: ZELT

02.05.2019 | KRITIKEN, Theater


Alle Fotos: Burgtheater / Reinhard Werner

WIEN / Burgtheater:
ZELT von Herbert Fritsch
Uraufführung
Premiere: 27. April 2019
Besucht wurde die Vorstellung am 1. Mai 2019

Karin Bergmann hat zum Ende ihrer Ära als Direktorin des Burgtheaters noch schnell jene Regie-Namen herbeigeholt, mit denen sie das Haus nahtlos und unterscheidungslos an die deutsche Regietheater-Landschaft anschließt. Es gab auch andere Zeiten, da war das Burgtheater etwas Besonderes, unverwechselbar und auch solcherart anerkannt und bewundert. Individualität eines Hauses vor Uniformität des Angebots. Aber das ist lange her.

Herbert Fritsch, von dem man schon – mit bescheidenem Vergnügen – an der Burg „Der eingebildete Kranke“ und „Die Komödie der Irrungen“ gesehen hat, zählt (wie etwa auch Christoph Marthaler) zu jenen Regisseuren, die ihren gnadenlosen „Stil“ entwickelt haben. Da ist es doch allemale gescheiter, sie entwickeln dafür ihre eigenen Projekte, statt damit Klassiker zu verhunzen. In diesem Sinn kann man für „Zelt“ dankbar sein.

Es ist kein Stück – sollte es, wie es heißt, je Text gegeben haben, so hat man ihn fallen lassen. Was geboten wird, ist eine eineinhalbstündige pantomimische Grotesk-Show, die das Wiener Publikum durchaus an die Zeiten des einstigen Serapionstheaters gemahnt. Nur dass dort immer zumindest andeutungsweise eine Geschichte dahinter stand. Damit hat sich Herbert Fritsch nicht abgegeben. Er entwickelt einfach Bewegungsabläufe und Bilder und entfesselt dabei etwas, was man als groteskes Gaudium betrachten kann oder als sinnlose Belästigung. Sprachlos, wenn auch voll von Geräuschen und einer Art „Musik“ (Matthias Jakisic löst sich als „Musiker“ aus dem Ensemble), die mit durchaus quälendem Effekt (und vermutlich in solcher Absicht) eingesetzt ist.

Was sieht man? Zuerst eine Putzkolonne. Rhythmisch agierend, könnte man eine Studie von Gruppenverhalten erwarten, aber dieses „Vorspiel“ bietet letztlich nichts weiter als die „Pointe“, dass die nassen Putzfetzen mit erotischem Enthusiasmus ausgewrungen werden…

Dann kommt das titelgebende Thema „Zelt“. Wenn Hermann Scheidleder in komödiantischem Alleingang das erste Zelt aufgebaut hat, klettern alle aus einer Versenkung: Die uniformen Putzer haben sich jedoch in eine schrill-bunte Menge verwandelt, die Frauen mit blonden Zöpfchen und schrecklich grellfarbigen Puppenkleidern, die Männer in stilisierten Trachtenanzügen: Des deutschen (österreichischen) Menschen Kuriositäten-Show… Sie wollen auch ihre eigenen Zelte, wie das schon so ist – und diese clowneske, chaplineske, Slapstick-getriebene Horde ist nun gymnastisch am Werk, um erst Zelt zu bauen und bald in ihre endlose Konzert-Session zu verfallen (zu rhythmischen Geräuschen auf Instrumenten und offenbar als Pop-Star-Parodien).

Das streift die Frage, wie viel sich ein Theaterpublikum an sinnlos-lautem, wenn auch zugegeben brillant gemachtem Selbstzweck bieten lässt. Die ersten Zuschauer gingen erstaunlicherweise erst nach 40 Minuten, danach bröckelten immer wieder welche ab (meist paarweise), aber weniger als zu erwarten war. Der bunte „Stummfilm mit Geräusch-Untermalung“ hat offenbar genügend Event-Charakter und beansprucht das Hirn so gar nicht, dass viele sich gerne von der (immer wieder brillant beleuchteten) Flut von Bewegung füttern ließen…

Als die Zelte, an fast unsichtbaren Stricken hoch gezogen, scheinbar zu schweben begannen, konnte man für einen Moment staunen – und wenn nach eineinhalb Stunden die Köpfe der Protagonisten aus dem Bühnenboden ragen, als wären sie von einer Guillotine-Schlacht übrig geblieben, da hat es das Publikum fast überstanden. Aber nein, auch die Verbeugung wird noch einmal zur Blödel-Show, und schließlich muss man die zwei Dutzend Darsteller, die sich hier in aufopferndster Weise verbogen haben, auch würdigen. Wenn man auch nur ganz wenige von ihnen erkannt hat – Ruth Brauer-Kvam mit blonder Schmolle etwa (von ihr hört man auch durchdringende Töne, denn wenn es auch keinen Text gibt, geräuschvoll darf man lange Zeit schon sein), Petra Morzé, der man einen „persönlicheren“ Abschied vom Haus gewünscht hätte, Dorothee Hartinger oder Sabine Haupt … aber eigentlich versinken sie alle in „Masse“, was immer sie alle in dieser Funktion bedeuten sollen. Schlimmstenfalls gar nichts.

Was einen Teil des Publikums nicht hinderte, heftigen Applaus zu spenden. Den Zorn der anderen hörte man noch in der Straßenbahn: „Nichtssagende Perversität!“ Man kann allerlei Meinungen zu ein- und derselben Sache haben… und diejenigen, die hinter der handwerklichen Brillanz keinen Sinn zu entdecken vermochten, sind vielleicht dem ganzen Spektakel bloß nicht auf den Leim gegangen.

Renate Wagner

 

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