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WIEN / Burgtheater: ZDENĚK ADAMEC

19.09.2021 | KRITIKEN, Theater

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Fotos: Burgtheater / Matthias Horn

WIEN / Burgtheater:
ZDENĚK ADAMEC von Peter Handke
Premiere: 18.September 2021

Man  hat seinerzeit von dem Selbstmord des 18jährigen Tschechen Zdeněk Adamec gelesen, aber obwohl er 2003 tragisch-spektakulär den Tod suchte (und fand), indem er sich am Prager Wenzelsplatz anzündete, war er doch nur eine Meldung unter vielen in der an Katastrophen und Tragödien auch damals so reichen Welt. Es war Peter Handke, der den jungen Mann mit seinem Stück, das Adamecs Namen im Titel trägt, wieder ins Gedächtnis gerufen hat.

Handke ist das Thema nicht simpel angegangen, sondern dialektisch – sieben Personen diskutieren über alle Facetten des jungen Mannes und seiner Tat, wie man sie betrachten, wie man sie auch verachten (!) kann, ob Skepsis oder  Hochachtung, alles ist drin. So hat Regisseurin Friederike Heller das Stück bei den Salzburger Festspielen 2020 in zwei Stunden Spieldauer zur Uraufführung gebracht.

Wenn das Burgtheater nun (nach dem Jelinek-Abend seine zweite Wiener Premiere innerhalb von exakt zwei Wochen) Frank Castorf mit der Realisierung des Stücks beauftragt hat, wundert sich niemand, der ihn kennt, dass er viereinvierel Stunden braucht, weil ihm bekanntlich so viel einfällt. Ebenso bekanntlich sind seine theatralen Ideen nicht unbedingt mit dem Stück verbunden – die längste Zeit hat man den Eindruck, dass er sich mit seinen Schauspielern (die einander mit ihren privaten Namen anreden, „Hallo Marie-Luise“, „Also bitte Florian!“) einfach den üblichen Jux macht.

So wie die Szenerie von Aleksandar Denić, die diesmal eiine schäbige Raststätte ist (sah es im Bayreuther „Rheingold“ nicht fast genau so aus?) Castorf pur ist, also immer er selbst und vielfach immer dasselbe. Und selbstverständlich wird ein großer Teil des Geschehens, das neben oder hinter der Bühne unsichtbar stattfindet, per Video auf eine große Leinwand übertragen, sonst wäre er es ja nicht Castorf…

Damit es wenigstens ein bisschen zum Thema geht, verkündet eine riesige Aufschrift „Let’s burn“, und tatsächlich geht auch einmal jemand (sicherlich im feuerfesten Anzug) als lebende Fackel über die Bühne. Man kann sich die Diskussionen vorstellen, bis die Feuerwehr das erlaubt hat…

Also wird einmal herumgekalbert:  Mit „Jetzt müssen wir einmal den roten Faden wieder finden“, schießt Castorf gegen sich selbst, mit „Sieben Personen suchen einen Autor“ gegen Autor Handke. Der ja nicht wirklich ein Stück geschrieben hat, sondern eine Diskussion. Leider interessiert diese Castorf nicht so sehr – der Name Zdeněk Adamec fällt nicht oft, erst im zweiten Teil kommt so etwas wie eine Diskussion auf. Um dann gleich in welt-verbessernde Tiraden zu müden. Schließlich geht „La Paloma“, vom Ensemble absichtlich wackelig gesungen, nahtlos in „Brüder, zur Sonne, zur Freiheit“ über, als läge im Kommunismus die ideale Zukunft. Witzig, dass Castorf seine Schauspieler danach im Regen stehen lässt… Das wäre auch ein wirkungsvolleres Ende gewesen als die ziemlich sinnlosen zehn Minuten, die er dann noch raufpfropft.

Castorf braucht Schauspieler der anderen Art, solche, die bereit sind, mehr zu geben als üblich, Selbstentäußerung auch bis zur Selbstentblößung treiben – darum waren Sophie Rois oder Martin Wuttke für ihn so ideal. Aber er findet solche Protagonisten auch an Kusejs Burgtheater.

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Und zumindest einer überrascht wirklich – so exzessiv hat man Florian Teichtmeister noch nie gesehen, der sich in einer brutalen Szene, nachdem er Gemüsesuppe gekocht hat, mit dieser übergießen lassen muss, während er am Klo sitzt: Das Gefühl des Verbrennens ist da sicher gegeben (und man möchte wissen, mit welchem Trick hier gearbeitet wurde, denn im Video hat sie Suppe ganz schön gedampft, bevor er sie hingeschüttet bekam…). Hier ist ihm Mehmet Ateşçi̇ ein nicht weniger exhibitionistischer Partner, während Franz Pätzold und Marcel Heuperman quasi zum zweiten Paar zusammen gespannt wurden und Außerordentliches in jenem Nonens-Chaos leisten, das Castorf entfesselt wie kein zweiter.

Wenn Mavie Hörbiger und Marie-Luise Stockinger „sterben“ spielen, bekommt man auch eine Gänsehaut. Hanna Hilsdorf hat Castorf von der Berliner Volksbühne mitgebracht, wo sie oft in seinen Inszenierungen gespielt hat, und sie fügt sich zu den anderen als drei klapperdürre, anorexisch wirkende, abgehobene Geschöpfe aus einer anderen Welt. Aus jener von Frank Castorf.

Das bei der Premiere schätzungsweise zur Hälfte gefüllte Burgtheater bestand im Publikum zweifellos aus Castorf-Fans, denn es wurde herzlich geklatscht. Der Autor war wohl nicht da (der hätte am Ende fragen können: Und wo ist mein Stück?), aber der Regisseur (früher König der Buh-Orkane) holte sich im adretten dunklen Anzug seinen Teil des Beifalls ab und brach in eine wahre Kuss-Orgie mit seinen Darstellern aus.

Renate Wagner

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Burgtheater
Premiere: 18.September 2021

Peter Handke
Zdeněk Adamec

Regie Frank Castorf
Künstlerische Produktionsleitung Sebastian Klink
Bühne Aleksandar Denić
Kostüme Adriana Braga Peretzki
Musik William Minke
Lichtdesign Lothar Baumgarte
Dramaturgie Sebastian Huber
Videodesign Andreas Deinert

mit

Mehmet Ateşçi̇ 
Marcel Heuperman
Hanna Hilsdorf
Mavie Hörbiger 
Franz Pätzold 
Marie-Luise Stockinger 
Florian Teichtmeister

Live-Kamera Andreas Deinert , Georg Eisnecker , Olga Kosanovic
Tonangler*innen Philip Pflamitzer , Matthias Ermert
Live-Cutter Manuel Bader

 

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