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WIEN / Burgtheater: WIE ES EUCH GEFÄLLT

20.12.2022 | KRITIKEN, Theater

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Fotos: Matthias Horn

WIEN / Burgtheater:
WIE ES EUCH GEFÄLLT von William Shakespeare
In einer Fassung von Tina Lanik, Jeroen Versteele und dem Ensemble
Premiere: 17. Dezember 2022,
besucht wurde die zweite Vorstellung am 19. Dezember 2022

Das waren noch unproblematische Zeiten – und sie sind gar nicht so lange her. Da war ein Mann ein Mann und eine Frau eine Frau (und eine Drag-Queen höchstens eine Musical-Heldin). Freilich, bei Shakespeare verwandelt sich gelegentlich ein junges Mädchen in einen Jüngling und bescherte Männern damit köstliche Gefühle der erotischen Unsicherheit. Aber am Ende bekam der Boy sein Girl, und alles löste sich in Charme und Wohlgefallen auf.

Nichts mehr dergleichen heute. Nun wissen wir, dass zu Shakespeares Zeiten klar und einfach alle Rollen von Männern gespielt wurden, das war Theatertradition der Zeit, ohne spezifischen „Gender-Hintersinn“. Heute hingegen muss geradezu zwanghaft kreuz und quer besetzt werden, wie Regisseurin Tina Lanik in ihrer Burgtheater-Inszenierung von „Wie es euch gefällt“ beweist.

Ein alter Diener ist ebenso eine Frau geworden wie der Narr, ebenso wie der melancholische Jacques und Oliver, der Bruder von Held Orlando, der hier gleich zur „Olivia“ mutierte (was sein Happyend mit Celia dann zu einem lesbischen machen würde). Man wundert sich, dass es überhaupt noch Männer auf der Bühne gibt – aber ja, da sind der Herzog und sein Bruder (von einem Darsteller gespielt), Orlando, der von Liebe geschüttelte Held, der gleichfalls von Liebe geschüttelte Schäfer… ja, und das Bauernmädchen, das der Narr sich erwählt, wird vom gleichen Darsteller verkörpert, der auch den Ringer spielt. Ein schönes Chaos. Wirklich schön?

Eigentlich bewirken die Kreuz- und Querbesetzungen der Rollen nämlich gar nichts, im Gegenteil, sie sollen lustig sein und stören nur die Geschichte vom Tohuwabohu der Gefühle. Denn um Geschlechterfragen geht es an sich nur zwischen Orlando und der als „Ganymed“ verkleideten Rosalinde, alles andere liefe mehr oder minder eins zu eins oder, wenn man das Wort wagen darf, „normal“.

Wenn man das Stück denn spielte, aber das ist nicht der Fall. Nun ist Shakespeare so lange tot, dass es nicht mehr darauf ankommt, ob man „Material“ aus ihm macht – Tina Lanik, der Dramaturg und das Ensemble haben eine „Fassung“ erstellt, die scheinbar radikal ins Heute führt. Von Shakespeare nur herausgebröckeltes Stückwerk, dazu eine Menge heutiger Text und sehr, sehr viel Musik.

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Wobei es sich bei dem erst 16jährigen Kärntner Pop-Sänger Oskar Haag fraglos um ein bemerkenswertes Talent handelt, der den Abend offenbar durchkomponiert hat und auch in persona fürs Entertainment sorgt.  Wenn er jedenfalls die Gitarre nimmt und auf Englisch singt, ist das sehr professionell. Und dass bei so hohem Musikanteil hier heutige „Party-Stimmung“ aufkommen soll – das versteht sich.

Wer wird in Zeiten wie diesen um das Stück weinen, das man glücklicherweise schon oft und auch schon sehr gut gesehen hat? Man fragt sich allerdings, ob Tina Lanik mit dieser Produktion nicht gleich hätte ins Akademietheater gehen sollen, so sehr verkleinert sie das Burgtheater durch einen weiteren Bühnenrahmen, der tatsächlich eine Bühne sein soll, wobei man mit vielfachem Ziehen und Rauschen der Vorhänge auskommt. Ja, wäre da nicht das Einhorn in Lila / Pink, der Farbe, die den ganzen Abend beherrscht und natürlich nicht nur ein erotisches, sondern auch soziales Signal aussendet. Dieses Einhorn, das Bühnenbildner Stefan Hageneier zeitweise auf die Bühne bringt, hat zwar keine Funktion, wirkt aber witzig. Teils witzig, teils ziemlich scheußlich sind die Kostüme des Abends (Aino Laberenz). Wie gesagt, die Vorhänge sind für die Schauwerte zuständig…

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Das Besetzungsglück des Abends ist bescheiden. Nina Siewert verströmt  keine Sekunde lang jenen Zauber, der gerade der Rolle der Rosalinde inherent ist und der sie so berühmt macht. Heutige Schnauze bringt da nichts. Etwas weniger forsch ist Christoph Luser, der stellenweise glaubhaft macht, dass er sich mit der Liebe, diesem schmerzlichen Ding, nicht so recht auskennt.Er kämpft sich manchmal zu etwas wie „psychologischem“Theater durch, was die anderen in steter Überaktion verschmähen.

Eine Fülle von Nebenrollen verlieren  ihre bekannt flirrende Schönheit, wenn sie heutig-flapsig interpretiert werden (Andrea Wenzl als Narr Touchstone) oder sinnlos exzentrisch (Charlotte Schwab kann nie klar machen, wofür die Rolle des Jacques steht). Martin Reinke ist mit Routine und Chargieren der gute und der böse Herzog, Sabine Haupt vielleicht eine Idee zu alt für Rosalindes Cousine, Alexandra Henkel irgendwie ratlos als böse Schwester (die bei Shakespeare ein böser Bruder war). Elisabeth Augustin als alter Diener ist eine Seltsamkeit, Dunja Sowinetz eine grobe Version der Phoebe, und nur Tilman Tuppy als grotesk unglücklicher Schäfer und Lukas Vogelsang, halb Ringer, halb Bauernmädchen, bringen einen Hauch dessen ein, was man als Shakespeare-Komik bezeichnen möchte.

Es ist gar nicht zu erwähnen, was dem Abend alles fehlt /zum Beispiel der Ardenner Wald, der an sich so wichtig mitspielen sollte…), vor allem aber kommt vor lauter Bearbeitung und Verheutigung das Stück unter die Räder, das die Regisseurin in seinen ganzen menschlichen Beziehungen gar nicht zu Ende führt (sonst würde es noch länger dauern als drei Stunden). Überhaps schickt sie Rosalinde für ihren berühmten Epilog hinaus, mit dem die Darstellerin so wenig überzeugen kann wie mit dem Rest ihrer Darbietung.

Nach der Pause war das Publikum in der gut gefüllten zweiten Vorstellung durchaus nicht mehr vollständig vorhanden. Viele von denen, die geblieben waren, hatten sich aus der Garderobe ihre Mäntel geholt, denn es war grottenkalt im Haus. Und auch keine Vorstellung, die einen mit innerem Entzücken an Stück und Darstellung gewärmt  hätte…

Renate Wagner

 

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