Fotos: Andreas Pohlmann
WIEN / Burgtheater:
WER HAT ANGST VOR VIRGINIA WOOLF? von Edward Albee
Eine Produktion des Residenztheaters München
Wiener Premiere: 14. September 2019
Weil der Chef selbst zu Saisonbeginn mit Organisatorischem wohl überbeschäftigt war, konnte er für den dritten Abend seines Eröffnungs-Hattricks an Burgtheater keine originale Premiere beisteuern. Aber Martin Kusej brachte eine seiner Inszenierungen aus dem Münchner Residenztheater mit (andere werden folgen): „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“ von Edward Albee ist immer ein Erfolg, selbst für Elizabeth Taylor und Richard Burton war es auf der Filmleinwand höchstrangiges Schauspielerfutter.
Natürlich ist das Stück mehr – und dabei weniger, als Kusej herauszuholen vermag. Im Original ist die Verankerung ins amerikanische Universitätsmilieu sehr real, man betrinkt sich methodisch im Wohnzimmer von Martha, der Tochter des Rektors, die mit George verheiratet ist, der es zu nie mehr als einem Geschichtsprofessor gebracht hat. Ihre Sauf- und Schimpforgien sind offenbar die Regel, ihre Enttäuschung über ihn und sein Groll, ja Haß auf sie, entzünden offenbar immer dieselben Rituale verbaler Attacken, Beleidigungen und Herabwürdigungen.
Bis zu jenem Abend, wo dann alles kaputt geht, wo ein jüngeres Paar (ehrgeiziger Biologieprofessor und seine törichte Frau) quasi den Katalysator abgibt für das grausige Spiel der Zerstörung, das dann endet. Und spielt man es als Zimmerstück „vom Blatt“, hat es sich immer noch als wirkungsvoll erwiesen, wenn große Schauspieler bereit waren, exhibitionistisch aus sich herauszugehen.
Bei Martin Kusej ist, wie man weiß, immer alles anders – wann hätte er je ein Stück nicht gegen den Strich gebürstet? Der Raum ist leer (Bühne und Kostüme Jessica Rockstroh), die Darsteller bewegen sich – vielfach mit einer Art Silhouetteneffekt – vor einer weißen Wand. Es gibt nur einen eher schmalen Steg über die Bühnenbreite, vor ihnen ist ein „Abgrund“, gefüllt mit zerschlagenen Gläsern und Flaschen. Dass viel getrunken, nein, gesoffen wird in diesem Stück, daran hat auch Kusej nichts geändert.
Sonst blieb kein Stein auf dem anderen, wobei schon die Loslösung von jeglicher greifbaren Welt, in der sich das Stück begibt, klar macht, dass dieses Schlachtfeld gewissermaßen metaphysisch gemeint ist (darum spielt das soziale Element, das bei Albee so stark ist, eine geringe Rolle).
Die drei Teile des pausenlosen zweistündigen Abends, denen Kusej die englische Bezeichnung von „Fun and Games“ und „Exorzism“ gegeben hat (die „Walpurgisnacht“ dazwischen heißt auch im Original so), laufen bei ihm nicht in einem durch. Regisseur und wohl auch Dramaturg haben brutal in den Ablauf des Stücks hinein gehackt, die an sich kontinuierliche Story immer wieder durch Blackouts in einzelne Szenen geteilt, die dann leichter auf die Spitze getrieben werden können, wobei es nicht nur exzessiv Sex, sondern auch viel körperliche Gewalt gibt. Die Vernichtungsschlacht der Bürgerlichkeit mit sozusagen allen Mitteln – nur nicht jenen des Realismus.
Durchwegs neue Gesichter für Wien, wenn der Oberösterreicher Norman Hacker auch hier auf Kleinbühnen begonnen haben soll. Jetzt ist er jedenfalls groß da – der Schwächling, der um sich schlägt, dass es nur so unter die Haut geht. Bei seinem George ist nicht gesagt, dass Martha wirklich die Stärkere ist, obwohl Bibiana Beglau wie ein Wirbelsturm über die Bühne fegt. Schlaksig staksend wirkt sie keinesfalls als „Mutter Erde“, sondern eher wie ein gefährliches Insekt, hat Augen, die Vernichtungsstrahlen schießen, spielt zwischen Hektik und Katatonie das ganze Repertoire des Ausdrucks hinauf und hinunter. Dass bei solchen Leistungen die übliche brave, nachvollziehbare Psychologie auf der Strecke bleibt, ist klar – dafür gibt es ein menschliches Horrorkabinett eine Handbreit über dem Boden.
Kusej hat das zweite Paar aufgewertet: Nick kommt in Gestalt von Johannes Zirner in seiner ganzen Schäbigkeit heraus. Und die Honey der Nora Buzalka ist überhaupt die Überraschung des Abends im Vergleich zu all den „Hascherln“, die man in dieser Rolle schon gesehen hat. Sie ist bei aller Liebenswürdigkeit, die durchaus echt wirkt, keinesfalls ein albernes Dummerchen, sondern eine Frau, die ihre Ängste bändigt und möglicherweise als Einzige einigermaßen unbeschadet aus dieser Hölle herauskommt.
Erdacht hat diese Hölle Edward Albee. So richtig eingeheizt hat ihr Kusej. Der durfte sich für den Beifall eines Publikums bedanken, das seinen unverhohlen grausamen Zugriff als außerordentlichen Theaterabend erkannt hat. Und dass es bei Kusej immer ungemütlich zugeht – das wussten wir ja schon. Bestätigung auf hohem Niveau.
Renate Wagner