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WIEN / Burgtheater: WASSA SCHELESNOWA

23.10.2015 | KRITIKEN, Theater

Burgtheater W Schelesnowa_Bühnenbild
Alle Fotos: Barbara Zeininger

WIEN / Burgtheater:
WASSA SCHELESNOWA von Maxim Gorki
Premiere: 22. Oktober 2015

Vermutlich bildet man sich zu viel ein, wenn man zu wissen glaubt, was Maxim Gorki mit seinem Stück „Wassa Schelesnowa“ wollte – das vernichtende Porträt einer großbürgerlichen Familie, die ihren Tanz ums Goldene Kalb vollführt, wobei keines der schwachen Kinder oder der Verwandten der Mutter, die im Titel des Stücks steht, das Wasser reichen kann. Böseste Kapitalismus-Kritik von 1910, dazu die Angst vor der Macht und der Skrupellosigkeit der Frauen.

Es scheint, als sei „Wassa Schelesnowa“ das Stück der Stunde. Man spielte es an den Münchner Kammerspielen im peniblen Realismus des Alvis Hermanis, man spielte es am Deutschen Schauspielhaus Hamburg in der Regie von Dieter Giesing (der bei der Wiener Premiere als Zuschauer dabei war) offenbar als gnadenlos modernes Stück. In die Gegenwart holte es auch Stephan Kimmig am Deutschen Theater in Berlin mit einer machtvoll kämpfenden Corinna Harfouch, und in Bochum hat man es auch gespielt. Das muss doch etwas bedeuten, dass so viele große Häuser gerade dieses Werk für zeitrelevant halten.

In Wien hat sich nun Andreas Kriegenburg die Sache angesehen, und sein Zugang ist teils parodistisch-humoristisch-satirisch, teils hektisch-überaktiv, dass man immer wieder den Eindruck gewinnt, man befände sich eigentlich im Irrenhaus. Die stete Unruhe allerdings „verschmiert“ sowohl das Geschehen wie die Figuren, und der Zuschauer braucht lange, sich in diese seltsame Welt zu fügen…

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Christiane von Poelnitz

Wahrscheinlich muss man zu vorerst sagen, dass der „Held“ des Abends, das interessanteste und zugleich unsicherste und gefährlichste Element das Bühnenbild (Harald B. Thor) ist. Eine Bretterebene, die durchaus „russisch“ wirkt und auf die ein paar Möbelstücke schwer angeschraubt sein müssen. Denn dieses Monstrum einer Spielstätte, das an vier Eisensträngen hängt, bewegt sich – gelegentlich so schräge, dass die Schauspieler sich an die Möbel festklammern müssen (und man fast Besorgnis hegt, jemand könnte abrutschen und sich verletzen). Oft wirkt dieses Konstrukt, wenn man es von unten sieht, wie ein böses, gefährliches Tier (unter welchem der Hausherr stirbt und auch ein Flügel steht, auf dem gelegentlich gespielt wird), immer schwankt es, immer tut es symbolschwer kund: Diese Menschen haben keinen festen Boden unter den Füßen…

Natürlich hat ein solches Bühnenbild auch mit dem Stil einer Aufführung zu tun, und wenn Andrea Schraad die Darsteller diesmal (die Damen in langen Kleidern mit Spitze und Rüschen, die Herren à la Tschechow) quasi „historisch“ verkleidet, würden sie so, wie sie sich benehmen, besser in Jeans passen und als Heutige herumschreien, herumzucken, herumtoben. Ein Irrenhaus, wie gesagt.

Durch dieses „schleicht“ Christiane von Poelnitz die längste Zeit wie unauffällig dahin, diese Mutter bekommt kaum Profil, scheint schweigend daran zu leiden, dass ihre Söhne eine Katastrophe und ihre Schwiegertöchter keine Freude sind. Der Regisseur wartet lange, bis er ihr im Gespräch mit ihrer Tochter Anna etwas äußere Ruhe belässt, und dann ist Wassa schnell ganz da, und hoch präsent zieht sie bis zum Ende ihre Rücksichtslosigkeit durch, die vor Mord und Fälschung nicht zurückgeschreckt ist, um Besitz und Macht persönlich zu wahren – und endlich jene auszusortieren, die ihr nicht entsprechen, nämlich die Söhne. All das mit einer geradezu erschreckender Süßlichkeit im falschen, bösen Gesicht.

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Aenne Schwarz, Andrea Wenzl

Die Tochter Anna wirkt in dieser Aufführung zwiespältig: Andrea Wenzl (mit einer kippenden Stimme à la Minichmayr) spielt sie anfangs durchaus negativ, cool, wirkt berechend, soll aber später Charakter zeigen – und wird von der Mutter vereinnahmt. Andrea Wenzl (wie erinnerlich von Graz ans Volkstheater, von dort schnell nach München, nun am Burgtheater debutierend) bekommt den Wandel gut hin, aber sie tut sich wie alle Darsteller des Abends schwer, weil ihre Figuren in der Hektik des aufgeheizten Geschehens (wobei auch die sprachliche Verständlichkeit gering ist!!!) meist gar keine Möglichkeit bekommen, sich als Individuen zu entfalten.

Tino Hillebrand ist der verkrüppelte, immer schlecht gelaunte, weil auch von seiner Frau so schlecht behandelte jüngere Sohn Pavel, Martin Vischer der vergnügungssüchtige und geldgierige ältere Sohn, der in Frida-Lovisa Hamann ein berechnendes Früchtchen zur Frau hat. Wirklich loslegen darf Aenne Schwarz als die Pavel verabscheuende Gattin, die sich lieber dem Onkel des Hauses, Peter Knaack, an den Hals wirft. Dietmar König schleimt sich berechnend in die Nähe des Geldes, Sabine Haupt als nicht viel mehr als eine Bedienstete beobachtet süffisant, Alina Fritsch als dummes Dienstmädchen leidet bis zum Selbstmord – zum Aktschluss sieht man sie baumeln.

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Alina Fritsch, Sabine Haupt

Diese beiden Damen hatten auch den stummen Start des Stücks, der so seltsame Signale setzte – wenn das, was Dunjetschka über die alberne Lipa denkt, groß auf Betttüchern zu lesen ist, die kunstvoll so zusammen gefaltet werden, dass sie nach und nach mit ihren Aussagen einen ganzen Satz ergeben. Ein bisschen Kabarett, bevor dann bald der Wahnsinn ausbricht.

Geklatscht wurde brav, aber zum Enthusiasmus konnte sich das Publikum angesichts dieser Aufführung wahrlich nicht durchringen.

Renate Wagner

 

 

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