
Alina Fritsch (Anni) Foto: Burgtheater
WIEN / Vestibül des Burgtheaters:
OBERÖSTERREICH von Franz Xaver Kroetz
Premiere: 20. Jänner 2017
Die siebziger Jahre waren seine große Zeit, wenn Franz Xaver Kroetz, Jahrgang 1946, auch noch immer wieder einmal ein Stück schreibt, aber damit nicht mehr viel Beachtung findet. Vor einem knappen halben Jahrhundert aber traf er mit seinen Stücken über die „armen Leute“ (lapidarer als Horvath, in dessen Fußstapfen er vage trat) den Nerv der Zeit. Die Frage stellt sich, ob die Naivität seiner Protagonisten, die er psychologisch brillant auf die Bühne brachte, heute noch einsichtig ist – etwa in dem Stück „Oberösterreich“, das 1972 uraufgeführt wurde.
Im Vestibül des Burgtheaters hat sich ein Regisseur des Werks angenommen, der überhaupt erst 13 Jahre nach der Uraufführung von „Oberösterreich“ geboren wurde. Andreas Schmitz, drei Jahre lang Regieassistent am Burgtheater, debutierte nun mit einer eigenen Arbeit auf der Nebenbühne des Vestibüls. Und obwohl er – ein geistiger Verwandter von Kroetz – in seiner bayerischen Heimat Volksstücke schreibt und inszeniert, hat der „Oberösterreich“ sowohl den bayerischen Dialekt wie auch den für diese Art Stücke üblichen Prekariats-Naturalismus ausgetrieben. Er fand für Anni und Heinz, das schlichte Pärchen aus der Unterschicht, einen neuen Zugang, eine neue Perspektive – und das ist in ganz erstaunlichem Maß gelungen.
An sich hat man es mit zwei Fällen von „armer Haut“ zu tun, die sich – er LKW-Fahrer, sie „im Verkauf“, beide in derselben Firma – ziemlich ärmlich durchs Leben kämpfen und in einer Folge von realistisch ausgemalter Kurzszenen ihren schäbigen Alltag rationalisieren, der sich durch Annis Schwangerschaft entschieden verschärft. Kroetz hat keine andere Lösung für die beiden, die er durch ihr Elend geleitet, außer ihnen das ewige Weitermachen zu befehlen.
Bei Regisseur Andreas Schmitz wird das Stück zum einzigen Versuch, sich eine den Illustrierten abgeschaute Idylle vorzugaukeln. Selbstbetrug, Lebenslüge, Schönfärben. Wenn Christoph Radakovits auftritt, im schwarzen Anzug, linkisch, das Gesicht zu starrem Lächeln verzogen, schlägt er den Ton an, den Alina Fritsch übernimmt, die noch mehr lächelt – wie die lächeln kann! Bis zur Maske erstarrt, die den eisernen Willen anzeigt, alles in ihrem Leben gut zu finden. Kein Wunder, dass die beiden zu Beginn die längste Zeit als Brautpaar erscheinen (sie in einem so eleganten Kleid, wie sie es sich vermutlich nie leisten kann: Korbinian Schmidt zeichnet für das kaum vorhandene, aus zwei Plastiksesseln, einem roten Vorhang und papierverklebten Wänden bestehende Bühnenbild und die Kostüme verantwortlich). Dann wechselt sie zum einem roten Kleid, das eine Frau wie Anni sicherlich schön findet, aber nur von höchster Primitivität zeugt.
Am Ende, wenn das Schicksal den beiden alles Mögliche vor die Füße geknallt hat, stehen sie buchstäblich „ausgezogen“ da – sie im Unterhemd, er in der Unterhose. Und ihre anfangs so betulichen Aktionen sind immer schärfer, härter, verzweifelter geworden, die Lebenslügen zerbröseln ihnen zwischen den Händen. Da hat sich ein Regisseur wahrlich etwas gedacht, das Sinn macht, zumal man das Stück kaum noch aus dem Proletariermief von anno dazumal hätte heraus interpretieren können.
Viel Applaus für den erfolgreichen Versuch der Regie und der exzellenten Darsteller, ein altes Stück aufs Neue interessant zu machen.
Renate Wagner