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WIEN / Burgtheater: TOTO ODER VIELEN DANK FÜR DAS LEBEN

Kitsch sells

25.10.2024 | KRITIKEN, Theater

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WIEN / Burgtheater: TOTO ODER VIELEN DANK FÜR DAS LEBEN
von Sibylle Berg
nach ihrem Roman „Vielen Dank für das Leben“
Mit Live-Orchester und Musik von Beni Brachtel
Auftragswerk des Burgtheaters
Uraufführung
Premiere: 24. Oktober 2024 

Kitsch sells

In einer Epoche, deren Zeitgeist so hysterisch auf LGBTQ gepolt ist wie die unsere, musste man ja eines Tages auf den schon zwölf Jahre alten Roman von Sibylle Berg zurückgreifen. Denn in „Vielen Dank für das Leben“ geht es mit Toto um eines jener bedauernswerten Geschöpfe, deren Geschlecht bei der Geburt nicht feststeht. Früher nannte man es Hermaphrodit, heute sagt man „Inter“ dazu, und obwohl es nur einen ganz geringen Teil der Gesellschaft betrifft, wird es breit diskutiert.

In dem Roman von Sibylle Berg wird Toto zwar anfangs zum Jungen erklärt, später (unter im Stück nicht ganz geklärten Umständen) zur Frau umoperiert – aber eigentlich ging es der Autorin 2012, als das Thema noch nicht so „in“ war, gar nicht in erster Linie darum. Vielmehr zeichnet sie am Beispiel eines Geschöpfs, das durch sein Leben emotionslos zu traumwandeln scheint, nur Ausgrenzung und Gemeinheit der Gesellschaft. Bedenkt man, was die Autorin ihrem/ ihrer Toto alles antut, ist die Sozialschnulze immer ganz nahe… Für das. was man da vorzelebriert bekommt, fällt einem eigentlich nur ein Wort ein: grauslich.

Sibylle Berg hat ihren Roman als Auftragswerk für das Burgtheater selbst bearbeitet. Solcherart ist die Autorin selbst und nicht irgendein Dramaturg für die Form zuständig – zur Vereinfachung erzählen immer wieder irgendwelche Personen zwischendurch die Geschichte, es gibt eine Menge von der Autorin eingefügte Songs, der fast Brecht’sche Lehrstückcharakter ist evident. Dafür bekommt Toto selbst fast keinen Text. Er / sie und sein / ihr Freund Kasimir sind dabei die einzelnen durchgehenden Figuren, der Rest der Besetzung teilt sich unzählige, selten dankbare Rollen.

Schwer auszuhalten, was Sibylle Berg sich an Grauenvollem für Toto ausgedacht hat – geboren von einer alkoholsüchtigen Mutter in der DDR (wer der Vater war, weiß nicht einmal sie), in einem Kinderheim gedemütigt, erniedrigt und beleidigt ob seines Nicht-Geschlechts, zu einer Bauernfamilie gegeben, wo die Protagonisten einander totschlagen, nach der Wende obdachlos nach Hamburg verschlagen.

Mittlerweile hat Toto, der alle Schicksalsschläge stoisch erträgt, als gingen sie ihn nichts an, entdeckt, dass er singen kann – aber wenn er auch in Hamburg in Bars auftritt, den strahlenden Glücksfall einer Karriere erlaubt Sibylle Berg nicht, er wird eher als Trans und Freak verlacht.

Wenn der zweite Teil des dreistündigen Abends (der sich quälend dahin zieht) auch bunter ist, die stete Musikbegleitung (mit vollem Orchester) stellenweise sogar musicalartig ausweiten lässt, so ist für Toto doch nichts Gutes drin im Leben. Im Gegenteil – Kasimir, der unterdrückt wie er im Kinderheim der einzige war, der so etwas wie Gefühle in Toto erweckt hat, tritt nur in dessen Leben, um ihn zu vernichten (darum auch die Geschlechtsumwandlung), weil er ihn für sein Schwulentum verantwortlich macht, von dem er sich befreien will… Im übrigen scheint es da der Autorin im schnellen Vorlauf vor allem um Zeitkritik am Kapitalismus zu gehen und um viele fragwürdige Entwicklungen. Da wird auf Toto manchmal fast vergessen.

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Die Geschichte schmerzt von der ersten Minute an, wenn da jemand glatzköpfig, in einem rosa Kleidchen (eigentlich sind es kurze Hosen) vor den Vorhang tritt und man Schwierigkeiten hat, Maria Happel zu erkennen. Wie ein hilfloser rosa Ball scheint sie somnambul durch das Geschehen zu rollen (nur einmal, als Sängerin, darf sie in eine Art blaues Abendkleid schlüpfen), für die Rolle wohl nicht zuletzt deshalb gewählt, weil sie verbürgt eine erstklassige Sängerin ist – aber was Sibylle Berg da an Songtexten für sie geschaffen, was Beni Brachtel (der auch das Orchester leitet) da komponiert hat, erfreut weder Intellekt noch Ohr. Am Ende, wenn dann das Melodram so dick wird, dass man es kaum mehr aushält und Maria Happel als einsames Häufchen Unglück auf der Bühne liegen bleibt und zu singen anhebt… dann sorgt das natürlich für den heftigen Schlußappaus. Kitsch sells.

Der 37jährige, bereits mit einer Menge Ruhm bedeckte Regisseur Ersan Mondtag ist an sich für seine Performance-nahen Produktionen bekannt. Hier inszeniert er brav das Stück, rund um ein von ihm selbst geschaffenes Bühnenbild. Da rotiert ein Gebäudekomplex auf der Drehbühne und ist für alles zuständig, die Klinik, wo die unglückliche Mutter das unglückliche Kind bekommt, das Kinderheim, wo der von der DDR teilweise geerbte Nazi-Geist wütet, diverse Schauplätze von Bauernhof bis St. Pauli, immer in einem Wirbel von Personen und Musik versinkend.

Neben Maria Happel hat nur Bruno Cathomas als Kasimir eine zentrale, durchgehende Rolle. Einzelne Damen treten manchmal ein wenig, wenn auch nicht nachdrücklich hervor, darunter Sabine Haupt (man hat ihre exemplarische Leistung von 2015, als sie im Vestibül in Sibylle Bergs Monolog „Es sagt mir nichts, das sogenannte Draußen“ brillierte,  nicht vergessen), Alexandra Henkel, Annamária Láng und Elisa Plüss, während die Herren bloß nicht sehr spezifische Auftritte abliefern (Gunther Eckes. Daniel Jesch, Dietmar König und Markus Scheumann).

Ersan Mondtag liefert solides Handwerk, überzieht nicht wirklich und scheint selbst von dem armen Hascherl Toto in Maria Happels traurig-rundlicher Rosigkeit ergriffen. Dass diese Geschichte so literarisch ist, dass sie auf der Bühne nie wirklich menschlich-glaubhaft wirkt, aber für eine Parabel zu penetrant-knüppeldick ist, hat das Premierenpublikum nicht wirklich gestört. Nochmals: Kitsch sells.

Renate Wagner  

 

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