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WIEN / Burgtheater – Stream: RICHARD II.

04.05.2021 | KRITIKEN, Theater
richard ii. / burgtheater

Alle Fotos: Burgtheater / © Marcella Ruiz Cruz

WIEN / Burgtheater – Stream:
RICHARD II. von William Shakespeare
Ausstrahlung auf der Burgtheater-Website / YouTube:
4. Mai 2021

Es ist geradezu rührend zu lesen: „Als Dank für Ihre Geduld und immer ermutigende Rückmeldungen während den letzten Monate, möchten wir uns mit einem besonderen Geschenk bedanken: Newsletter-Abonnent*innen erleben kostenlos & exklusiv den Live-Stream von RICHARD II.“

Direktor Martin Kusej, offenbar kein Freund des Digitalen, ist ja mit der „Richard II.“-Produktion seines Hauses sogar bis Bregenz gereist (nicht der nächste Umweg, aber die Dekoration war pflegeleicht), um diese Inszenierung von Johan Simons live zeigen zu können. Da er „zuhause“ das Burgtheater (sprich: das Haupthaus) bis Saisonende zusperrt, was ihm schon Rüffel vom Feuilleton eingetragen hat, ist er nun doch auch online gegangen. Gott sei Dank. Es wäre schade gewesen, diese Inszenierung nicht zu sehen.

Dabei sind gerade Shakespeares Königsdramen so schwierig, dass man leicht daran scheitern kann, selbst an den „leichteren“, wenn man mit Richard III. einen Grusel-Bösewicht hat oder mit Heinrich V. einen Helden, der zur siegreichen Schlacht ruft. „Richard II.“ hingegen ist geradezu verpönt. Sowohl in der realen Geschichte (die Rosenkriege waren im wirklichen Leben vermutlich noch schlimmer als bei Shakespeare) wie auf der Bühne.

Denn der Mann war ein Schwächling, der seiner Situation nicht gewachsen war – kein Wunder, dass mit ihm die anfängliche Sonne Yorks (die weiße Rose) unterging und man hier sieht, wie der Stern der Lancaster (die rote Rose) aufging, Warum? Weil Heinrich Bolingbroke, der Heinrich IV. werden sollte, das Zeug zum Herrscher hatte – Rücksichtslosigkeit, Brutalität, Wortbrüchigkeit, Opportunismus… man kann bei Shakespeare und auch sonst kaum Gutes über ihn sagen. Über Richard II. allerdings auch nicht.

Warum sind die Handlungen der Königsdramen so unübersichtlich? Man muss sich nur die Stammbäume der Herrscherfamilien ansehen. Da gab es immer so viele Söhne (und deren Nachkommen), die eigentlich alle Anspruch auf die Herrschaft erhoben, dass von einer geregelten Thronfolge nicht die Rede sein konnte. Familiäre Feindschaften und Positionskämpfe waren vorprogrammiert. Daneben musste in England immer mit den mächtigen Lords gerechnet werden, die keineswegs verlässliche Verbündete waren, sondern ihr Mäntelchen nach dem Wind hängten. Die Koalitionen änderten sich dauernd, „anständige“ Menschen gab es wenige, und die gingen am leichtesten zugrunde. Das ist schon kaum überschaubar, wenn man ein Buch über die Rosenkriege liest – wie denn auf der Bühne?

Und dennoch sind diese Stücke unendlich interessant, weil aus den Machtspielen psychologische Dramen erwachsen, weil man immer gespannt zusieht, wer sich wann wie und warum so oder so verhält. Man sieht einem Schwächling von König zu und einem skrupellosen Gegenspieler, aufrechten alten Männern und starken, fordernden Frauen, man sieht ununterbrochen, wie sich jemand verrechnet und sich dabei den Hals bricht… es ist Politik, eigentlich nicht anders als heute.

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Johan Simons hat man immer als bemerkenswerten Regisseur erlebt, auch diesmal zeigt er vollen Respekt vor dem Stück, bietet keinerlei Schnokes oder Mätzchen. Auch wenn er auf einer abstrakten Bühne spielen lässt (Johannes Schütz), deren Gestänge allerdings große Aussagekraft entwickelt, und wenn die Kostüme (Greta Goiris) eigentlich ein Fetzenkarneval sind, als kämen die Darsteller gerade mit ihrer schäbigsten Privatkleidung auf die Probe, weiß er doch, dass gerade Shakespeare kein reales Ambiente braucht (wenngleich es nicht schadet, wenn es phantasievoll eine eigene Ebene einbringt).

Johan Simons weiß, dass der Text, wenn man ihn ernst nimmt, und die Schauspieler, wenn sie mit ihrem ganzen Können konzentriert auf das Stück hin agieren dürfen, mühelos die Bühne füllen. Es gibt endlich wieder einmal „Sprache“, die man so oft vermisst, Simons lässt im alten Sinn „sprechen“, nicht maulen und murmeln, nicht nuscheln, verschmieren und verschlucken, was heute halt auf den Bühnen leider als „natürliche“ Sprache gilt.

Nur selten verlässt die Regie (dann vor allem auf der Basis von Klang – Musik: Mieko Suzuki) den Boden der Realität, wenn Bedrohliches geknurrt wird – oder wenn das Gestänge lautstark zusammen bricht und neu aufgestellt wird, so dass es seine ganze Symbolkraft erweist.

richard ii. / burgtheater

Richard, der als Kind auf den Thron gehievt wurde, hat auch bei Darsteller Jan Bülow etwas Kindhaftes, die Kleidung wie im Kindergarten, halbnackte Beine, die geschlenkert werden, die permanente Unsicherheit, die alles kennzeichnet, was er tut. Wenn er schneller, als es ihm lieb ist, vom Thron geworfen wird, gibt es für ihn dennoch kein heroisches Ende: Shakespeare war mit diesem König nicht gnädig.

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Der junge Bolingbroke, der sich anfangs noch ins Exil schicken lassen muss, dann aber mit aller Entschlossenheit und Skrupellosigkeit zurück kehrt, ist in dieser Inszenierung zur Frau geworden. Dieser Gender-Transfer ist auf unseren Bühnen so üblich geworden, dass man darüber gar nicht mehr argumentiert, Jeder Frage: Warum? wird ja heutzutage nur ein Warum nicht? entgegen gestellt. Und das, was Sarah Viktoria Frick unter ihren wilden Locken ausstrahlt, ist bemerkenswert und geradezu beängstigend. Man zweifelt nicht eine Sekunde lang, dass sie sich die Krone holen wird, weil ihr (ihm, diesem Henry) fehlt, was ihr (sein) Vater und Onkel besitzen: Anstand und Überzeugungen. Zwei alte Herren, Martin Schwab und Oliver Nägele, liefern da ganz starke, kraftvolle Leistungen.

Und auch die Frauen. Bei Martin Kusej hat man sich schon daran gewöhnt, dass er Schauspieler auf die Bühne lässt, deren Beherrschung der deutschen „Bühnen“-Sprache mangelhaft ist. In diesem Fall ist es Stacyian Jackson als attraktive schwarze Königin (aber schließlich war Richards Gattin im wahren Leben Isabel von Valois, also Ausländerin, das mag den Akzent erklären…) Wenn sie später in einer großen Szene ahnt, wie unendlich blutig diese Geschichte weiter gehen wird, wirkt sie wie eine Prophetin der Antike.

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Auch Sabine Haupt als Herzogin von York, die um das Leben ihres Verräter-Sohnes (Bardo Böhlefeld) fleht, darf von der Stärke der Frauen berichten (was übrigens in der Historie verbürgt ist). Falk Rockstroh (besonders eindrucksvoll), Johannes Zirner, Lukas Haas und Gunther Eckes bestreiten die weiteren Rollen des in seinem Personal stark zusammen gestrichenen Stücks, dessen pausenlose zweieinviertel Stunden nicht eine Minute langweilig werden.

Johan Simons hat ein Königsdrama für unsere Tage geformt, und man kann ihm dankbar dafür sein. Wie man weiß, ist so gewissenhafter Umgang mit einer Vorlage weitestgehend aus der Mode gekommen.

Renate Wagner

 

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