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WIEN / Burgtheater: RICHARD II.

10.09.2021 | KRITIKEN, Theater

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Fotos: Burgtheater / Marcella Ruiz Cruz

WIEN / Burgtheater: 
RICHARD II. von William Shakespeare
Premiere auf der Bühne: 9. September 2021
Eine Ausstrahlung auf der Burgtheater-Website / YouTube gab es am 4. Mai 2021 

Das Programmheft des Burgtheaters legt nahe, dass wir uns wieder den Zeiten der „Rosenkriege“ nähern, wo Machtübergaben vielmehr Machtübernahmen waren und nach keinen anderen Regeln erfolgten als dem Faustrecht. Denkt man an Ereignisse in afrikanischen Staaten, so mag das stimmen, vermutlich ist so viel Blut geflossen wie im mittelalterlichen England. Und von den Taliban wollen wir gar nicht reden…

Macht das „Richard II.“, das erste der offiziellen Königsdramen von William Shakespeare, für uns interessanter? Richard ist der Schwächling unter den Herren, die Shakespeare in Stücken behandelt hat, und das war auch nicht wirklich verwunderlich: Sein Großvater, Vater von sieben Söhnen, hievte den Enkel, Sohn seines verstorbenen ältesten Sohnes, im Kindesalter als seinen Erben auf den Thron. Erstens lauerten überall die verwandten Geier. Und zweitens war der junge Richard für seinen Job völlig ungeeignet. Als hätte man eine Blindschleiche in eine Schlangengrube geworfen, wo nur Königskobras überleben…

Das Stück zeigt nun das kraft- und orientierungslose Agieren des jungen Mannes, dessen Umgebung teils für, teils gegen ihn ist und auf keinem Fall etwas von ihm hält. Sein Cousin Bolingbroke, der spätere König Heinrich IV., hat hingegen alle Eigenschaften (Skrupellosigkeit, Rücksichtslosigkeit, Treulosigkeit und was immer dazu gehört), sich die Herrschaft zu holen.

Rund um die Konfrontation dieser beiden Charaktere zeigt Shakespeare (auch in der stark gekürzten Fassung des Burgtheaters), wie die Menschen rund um die Macht sich dazu einstellen, wie sie auf den Zug aufspringen oder untergehen, zu welchen Taten auch die Anständigen unter ihnen fähig sind. Ein Machtspiel, kurz gesagt.

Nun konnte man die Inszenierung von Regisseur Johan Simons, die schon lange fertig ist, vor gut vier Monaten einmal als Stream sehen – damals quasi ein Geschenk des Burgtheaters im Lockdown an sein treues Publikum. Bei der nunmehrigen Premiere ergab sich der absolut seltene Fall, dass man von der Übertragung damals weit mehr beeindruckt war als von dem Bühnengeschehen „live“. Dieses verschwamm mehr als einmal in Unklarheit,  hielt die Spannung nicht, verlor gewissermaßen den Faden.

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Das mag auch an der Sprache gelegen haben – vielleicht verließ sich mancher zu sehr auf sein Kopfmikrophon, oder es war im Fall des Hauptdarstellers reine Affektation, dass er immer wieder in ein Flüstern verfiel, das es absolut unmöglich machte, seinen Worten zu folgen. Wieder ist Jan Bülow der Kinderkönig, der nicht weiß, was er will, gleich den Schwanz einzieht und davon läuft – und von seinem „verklärten“ Ende (wo er über das Wesen des Menschseins philosophiert) ist wenig zu hören und zu begreifen.

Und dass sein Gegenspieler Henry Bolingbroke mit Sarah Viktoria Frick besetzt ist, überzeugt auch nicht, selbst wenn man sich  die Frage verkneift, warum Männerrollen von Frauen gespielt werden müssen und vice versa (man bekommt ohnedies keine befriedigende Antwort). Die Löwenmähne der kleinen Frau wird manchmal durchaus von tierischem Geknurre und Gebrüll begleitet, ob sie / er (Henry) sich im Duell balgt, ob sie / er tierisch hören lässt, wie tierisch ihr der schwache Richard auf die Nerven geht. Das Duell findet zu Beginn statt, und da scheint die „Stangen-Dekoration“ des Abends (Johannes Schütz) auch durchaus einen Käftig darzustellen. Lauter Raubtiere, im gemeinsamen Biotop gefangen, damit sie sich ausrotten… Aber diese Symbolik hält nicht durch, und wenn Sarah Viktoria Frick auch ein ganzes Repertoire von verdächtigen Blicken und Gesten abspielt, das Königsdrama funktioniert – auch wenn es selbstverständlich a priori stilisiert auf den Zuschauer zukommt – nicht so richtig. Oder dachte der Regisseur an die Nachfahrin all dieser Könige, an Elizabeth I., die dann die besagte Königskobra war? (Allerdings nicht in der Inszenierung von Martin Kusej, wo sie sich parallel auf der Burgtheaterbühne umtut.)

Ausgezeichnet die „echten“ Männer, zumal die alten, Oliver Nägele, Martin Schwab und Falk Rockstroh, überzeugend in ihren so verschiedenen Charakterporträts die Jüngeren (Johannes Zirner, Bardo Böhlefeld, Lukas Haas, Gunther Eckes). 

Überzeugend eine Frau als Frau, so wie  Sabine Haupt als Herzogin von York um das Leben ihres Sohnes kämpft. Und mit Stacyian Jackson, PoC, stellt sich wieder ein permanentes Problem der Ära Martin Kusej ein: Natürlich ehrt es ein Haus, ein kulturell so buntes „Multi-Kulti“-Ensemble zu beschäftigen, aber macht es Sinn? Es geht doch auch um die Zuschauer (nicht nur um die Ideologie, die eine  Ensemblestrategie vermitteln soll), und diese haben gar nichts davon, wenn der Akzent von Darstellern so stark und so mühsam anzuhören ist, dass man kaum etwas versteht und sich eigentlich nur genervt fühlt.

Die Premiere war auffallend schwach besucht und wurde bestenfalls achtungsvoll akklamiert (wer sich allerdings in die parallele Josefstadt-Premiere von Grillparzers „Medea“ begab, wurde auch nicht besser bedient). Großes Interesse hat das Königsdrama (richtet man sich nach den Signalen, die auf den Sitzen herumwetzende Zuschauer aussandten) nicht hervorgerufen…

Renate Wagner

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Burgtheater
Premiere am 09. September 2021

William Shakespeare
RICHARD II.

Regie: Johan Simons
Bühne: Johannes Schütz
Kostüme: Greta Goiris
Musik: Mieko Suzuki

König Richard II.: Jan Bülow
Königin Isabel: Stacyian Jackson
Johann von Gaunt/dessen Geist: Martin Schwab
Heinrich Bolingbroke, sein Sohn: Sarah Viktoria Frick
Herzog von York: Oliver Nägele
Herzogin von York: Sabine Haupt
Aumerle, deren Sohn: Bardo Böhlefeld
Bushy: Falk Rockstroh
Northumberland: Johannes Zirner
Percy, sein Sohn: Lukas Haas
Thomas Mowbray, Herzog von Norfolk: Gunther Eckes

 

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