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WIEN / Burgtheater: RADETZKYMARSCH

15.12.2017 | KRITIKEN, Theater
Nick Alexander Pasveer, Yannick Schöbi, Lorena Emmi Mayer, Daniel Jesch, Peter Rahmani, Sofia Falzberger, Maximilian Herzogenrath

Nick Alexander Pasveer, Yannick Schöbi, Lorena Emmi Mayer, Daniel Jesch, Peter Rahmani, Sofia Falzberger, Maximilian Herzogenrath

Fotos: Marcella Ruiz Cruz/Burgtheater

 

WIEN / Burgtheater:
RADETZKYMARSCH
Nach dem Roman von Joseph Roth
Bearbeitung von Koen Tachelet
Premiere: 14. Dezember 2017

Der niederländische Regisseur Johan Simons hat sich in seinen Jahren als Intendant der Münchner Kammerspiele mehrfach mit der Dramatisierung von Joseph-Roth-Romanen befasst – „Hiob“ war auch 2008 bei den Wiener Festwochen zu sehen, und 2011 konnte man in München eine höchst gelungene Aufführung von „Hotel Savoy“ erleben. Der „Radetzkymarsch“ als Generationen umspannende Geschichte vom Untergang der Habsburger-Monarchie, wie er ihn nun am Burgtheater in Angriff nahm, war weniger leicht in den Griff zu bekommen.

Die Geschichte von drei Generationen der Familie Trotta beginnt 1859, als der Infanterieleutnant Joseph Trotta bei der Schlacht von Solferino (Franz Joseph befehligte die Truppen in diesem Krieg gegen Italiens Unabhängigkeitsbestrebungen tatsächlich selbst) dem erst 29jährigen Kaiser (fiktiv) das Leben rettete. Eine Majestät kann sich rasch und effektvoll bedanken – mit Rangerhöhung, Erhebung in den Adelsstand und ewigem Angedenken als „Held von Solferino“ in den patriotischen Geschichtsbüchern. Damals vergaß man nicht so leicht – und „Sohn“ oder „Enkel“ des „Helden von Solferino“ zu sein, trug der eine als Ehrenzeichen, der andere als schwere Last…

Tatsächlich handelt der Roman von des „Helden“ Sohn Franz (nun heißt man „Trotta von Sipolje“), der „nur „Bezirkshauptmann“ wurde (was immerhin eine höhere Beamtenstelle war, die ihn in seinem „Bezirk“ als des Kaisers Stellvertreter auswies), und dessen Sohn Carl Joseph, der wiederum die militärische Laufbahn einschlagen musste. Während Vater Trotta, der Bezirkshauptmann, ein unmittelbarer Zeitgenosse Franz Josephs, die Welt des Kaisers in seiner eigenen Vorstellungswelt total spiegelt, gerät der nächste Trotta in jene Umbruchsperiode, die mit dem Ersten Weltkrieg endete – da stirbt der junge Trotta im Krieg, da endet das Buch 1916 mit dem Tod des Kaisers in Schönbrunn (und der Bezirkshauptmann stirbt drei Tage danach).

1859 bis 1916 – das ist weit mehr als ein halbes Jahrhundert, in dem sich Untergang erzählen lässt. Nicht ganz leicht übrigens, weil der Roman handlungs- und personenreich und ausführlich ist, weshalb sich die Fassung von Koen Tachelet auf Wesentliches beschränken muss, unendlich zusammen raffen, Erzähltes einigermaßen in Dramatisches ummünzen (obwohl es bei Roth immer wieder Dialoge gibt) – und dazu erfunden ist auch so manches, vor allem, wenn es darum geht, dem Publikum (per Zeigefinger) Geschichtsunterricht zu geben, so dass es ihn auch versteht… Joseph Roth hat einen charakteristischen, gewissermaßen märchenhaft-milden Erzählstil, den die Inszenierung selbstverständlich nicht übernimmt.

Und Johan Simons konnte sich nicht dazu aufraffen, die Ereignisse anhand der Charaktere plausibel zu machen. Was er, wie viele handwerklich perfekte Regisseure, lieferte, war letztendlich Stil. Der sich als Thema ohne Variationen endlos reproduzierte. (Den Fehler hat er in München nicht gemacht.)

Inszenierungen haben ja meist einen „Code“. Wenn man diesen brechen kann, kennt man sich aus und fühlt sich in der kreierten Theaterwelt wohl. Den ersten Code von Simons’ Abend konnte man kaum entschlüsseln. Luftballone auf der leeren Bühne, wo es nur im Hintergrund eine lange Bank gibt, auf der alle Protagonisten warten, die nicht an der Reihe sind. Luftballone? Da denkt man hierzulande ja höchstens an Peter Altenberg und sein Wien-Gesäusel, und das hat mit dem „Radetzkymarsch“ rein gar nichts zu tun. Diese Ballone sind bunt, unterschiedlich groß, viele von ihnen riesig, und sie lassen sich natürlich mit keinem Computerprogramm berechnen: Sie schweben nicht nur auf der Bühne herum, sondern auch in den Zuschauerraum – und beschäftigen die Herrschaften im Parkett und in den Logen immer wieder damit, die luftigen Dinger, wenn man sie wieder einmal auf den Kopf kriegt, wegzuschubsen. Bis sie wieder kommen. Es erinnert an Prater und Kindertheater – und man weiß nicht, was soll es bedeuten. Zumal die zwei Ballone, die Carl Joseph von Trotta gegen Ende in Furor zerstört, ja nicht wirklich Symbolgehalt besitzen… Sind sie also wirklich nur dazu da, um etwas Buntheit und Bewegung auf die träge Bühne zu bringen?

Andrea Wenzl, Philipp Hauß

Andrea Wenzl, Philipp Hauß

Der zweite Code war einfacher: Alles trägt Unterhosen und Unterwäsche (nur der Bezirkshauptmann darf „richtig“ angezogen sein). Die Absicht ist klar: bloß kein Zauber der Montur, bloß keine Habsburg-Nostalgie, nein, der Regisseur entkleidet die Protagonisten. Auch ihrer Würde, von der doch einiges in Roths Roman zu finden ist.

Was Simons bietet, ist jenseits jedes realistischen Anhaltspunkts, hauptsächlich mit Hilfe sich windender Darsteller-Körper, eine Art von Weltuntergangs-Revue ohne Musik (nur ein einziges Mal wird gesungen! Brahms’ tragisches „Immer leiser wird mein Schlummer“), ein Totentanz ganz ohne Pfiff, eigentlich lähmend in jenen dreieinhalb Stunden, die noch viel, viel länger wirken.

Der Kardinalfehler dieser Inszenierung, die mit ihrer Form den Inhalt überdeckt, besteht auch darin, dass sie von Anfang bis zum Ende gleich ist – und dabei sollte sie doch eine weltumstürzende Entwicklung zeigen, wo kein Stein auf dem anderen bleibt! Da müsste sich doch einiges verändern. Aber hier wackelt alles die ganze Zeit gänzlich gleichförmig vor sich hin… mit mehr Pathos und Sentimentalität, als man es gerne sieht (wenn manches auch, zugegeben, im Buch vorhanden ist).

Der Abend ruht schwer auf den Schultern von Philipp Hauß – er ist, ganz zu Beginn und ganz kurz, der „Held von Solferino“, dann den Rest des Abends dessen Enkel Carl Joseph, der faktisch immer im Mittelpunkt des Geschehens steht. Sein Untergang, der aus Ziellosigkeit resultiert (von einer Frau zur anderen, von einem Militärposten zum nächsten, immer mit leerer Seele), wird mit dem Schicksal seines Vaters, des Bezirkshauptmanns, konfrontiert, dessen Leben durch das Gefüge der Habsburger Monarchie festen Halt besitzt. Er irrt (wie mancher andere „Alte“ heute auch) durch eine Welt, deren Veränderungen er nicht begreift und auch nicht akzeptieren will: Falk Rockstroh, an sich ein vorzüglicher Schauspieler, ist von einem altösterreichischen Beamten und seiner Attitüde so weit entfernt wie der unsicher herumhetzende, bedauernswerte Alte, den er auf die Bühne stellen muss.

Johann Adam Oest, Ensemble

Johann Adam Oest, Ensemble

Was am „Radetzkymarsch“ immer fasziniert, ist, wie Roth die Figur von Kaiser Franz Joseph menschlich (fast ein wenig parodistisch, aber nie hämisch) ins Geschehen geholt hat. Johann Adam Oest versucht hier, einen Ton der leisen Ironie zu finden, der knapp davor Halt macht, den Kaiser nur als Dodel darzustellen. (Nebenbei muss er noch den Maler Moser spielen, eine der vielen angerissenen Nebenrollen.) Alle Frauen, die hier in Zusammenhang mit Carl Joseph vorkommen, werden oversexed, aber kaum differenziert von Andrea Wenzl verkörpert.

Die anderen sind Staffage in vielen Rollen, mehr oder weniger profiliert: Steven Scharf als polnischer Graf (weniger als Regimentsarzt); der beweglich-skurrile Merlin Sandmeyer in mehreren Dienerrollen; Daniel Jesch, immer laut aufbrausend als diverse Militärs – wie alle in Unterhosen, wodurch die Oberteile der Uniformen recht kläglich wirkten (Kostüme: Greta Goiris); Christoph Radakovits und Martin Vischer. Und viel Hilfspersonal, das sich nötigenfalls über die leere Bühne (Katrin Brack – hat sie die Luftballone „gestaltet“?) rollte.

Am Ende hat Johan Simons uns Einblick in seinen Inszenierungsstil, aber nicht in die innere Welt von Joseph Roths Werk gewährt. Was hat er denn geschrieben, der innerlich heimatlose Jude und Österreicher im Berlin der späten zwanziger, frühen dreißiger Jahre? Seine Sehnsucht nach der „kalten Sonne Habsburgs“. Aber es war eine Sonne gewesen…

Renate Wagner

 

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