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WIEN / Burgtheater: ORPHEUS STEIGT HERAB

Orgie der Langsamkeit

27.03.2024 | KRITIKEN, Theater

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Fotos: Burgtheater / Matthias Horn

WIEN / Burgtheater: 
ORPHEUS STEIGT HERAB von Tennessee Williams
Premiere: 23. März 2024,
besucht wurde die zweite Vorstellung am 26. März 2024    

Orgie der Langsamkeit

Tennessee Williams (1911-1983) war lange Zeit auch auf unseren Bühnen heimisch, wenn auch vor allem immer wieder mit dem Erfolgsduo „Endstation Sehnsucht“ und „Die Glasmenagerie“ sowie gelegentlich dem einen oder anderen Stück. “Orpheus steigt herab“ aus dem Jahre 1957 ist auf amerikanischen Bühnen nie ein Erfolg gewesen, allerdings 1960 mit Marlon Brando und Anna Magnani in den Hauptrollen unter dem Titel „Der Mann in der Schlangenhaut“ äußerst prominent verfilmt worden. Einen guten Grund, das Stück zu spielen, konnte man auch nicht erkennen, als es Martin Kusej nur für seine persönliche Abschiedsinszenierung am Burgtheater wählte.

Mythologische Bezüge sind nicht zu finden, wenn Kusej auch zu Beginn und am Ende des Stücks einen Feuerzauber entfesseln lässt, um den ihn manche „Walküren“-Inszenierung beneiden könnte. Tatsächlich ist es ein schlichtes Stück über Kleinstadt-Enge, Fremdenfeindlichkeit und das brutale Ausagieren der Ressentiments. Es passiert nicht viel – ein Fremder kommt in das (fiktive) Südstaaten-Städtchen, ein vazierender Musiker, heimatlos, eigentlich (so wie er hier dargestellt wird) eine verlorene Seele. Eine energische Frau, von allen „Lady“ genannt,  schnappt sich diesen Mann als billige Arbeitskraft, als „Hengst“ für die Nacht und vor allem für die Rache an ihrem Ehemann, der ihren Vater umgebracht hat. Bevor sie diesen Plan aber durchsetzen kann, erschießt der Mann die Gattin und den Musiker, nochmals Feuer, Vorhang.

Für diese inhaltliche Dürftigkeit braucht Martin Kusej, der in diesem Zusammenhang in einem Interview ziemlich sinnfrei Horvath beschwor, volle drei Stunden, die sehr lang werden. Das hat mit der (Horvath’schen?) zelebrierten Langsamkeit zu tun, mit der das Geschehen abläuft. Nun weiß man ja, dass der nun nicht mehr ganz junge Kusej kein Meister der Spannung mehr ist, wie unendlich langweilig ihm Kehlmanns „Nebenan“ geriet und Molières doch so starker „Menschenfeind“ nicht minder. Hier nun stehen die Darsteller meist wie paralysiert herum, was vielleicht ihre geistige Unbeweglichkeit symbolisieren soll, aber für einen Theaterabend ungeeignet ist – abgesehen davon, dass außer den beiden Hauptfiguren (und auch die nur bedingt) kaum jemand Profil gewinnt.

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Dabei wäre das Bühnenbild von Annette Murschetz, eine Brandruine auf der Drehbühne, ein durchaus atmosphärischer Rahmen für die Hoffnungslosigkeit dieser „Unterwelt“, in welche der Williams-Orpheus (allerdings hier ohne besondere Absichten) hinabsteigt. Aber nichts davon realisiert sich, nichts gewinnt Umriß oder  scharfes Profil.

Nun hätte man – man denke an die Filmbesetzung – zumindest zwei außerordentliche Hauptdarsteller gebraucht, um zumindest etwas darstellerischen Glanz in die trübe Hütte zu bringen, aber das stand nicht zur Verfügung. Sicherlich, Tim Werths hat als tänzelnde Phantasie und als Papageno in der hauseigenen „Zauberflöte“ schon musikalisches Talent erwiesen, aber mit seinem Gitarren-Geklimper holt er niemanden unter dem Sessel hervor.

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Dass er als ein gewissermaßen sympathischer junger Mann auf der Bühne steht, erklärt auch nicht die Provokation in alle Richtungen – sozial, sexuell -, die er darstellen soll. Immerhin glaubt man ihm die schöne Tristesse-Formulierung, der Mensch sei „zur Einzelhaft in unserer einsamen eigenen Haut“ verurteilt.

Für die „Lady“ war ursprünglich Sophie von Kessel vorgesehen, die wegen Krankheit absagen musste. Kusej holte Lisa Wagner aus München, die schlank und unauffällig nichts, aber schon gar nichts von der Vitalität ahnen lässt, die in dieser Figur wohnen müsste.

Im allgemeinen Geplätschere hilft es auch nichts, dass  Martin Reinke als brutalter Ehemann und Sarah Viktoria Frick (war das nicht einmal eine Protagonistin, die hier für eine Charge auf die Bühne geschickt wird?) in kurzen Szenen ausflippen dürfen. Norman Hacker und Rainer Galke als des Dorfes brutale Aufräumer wirken nicht sehr beängstigend, und auch sonst ist von der darstellerischen Seite des Abends nicht viel zu berichten, nur dass der zweite Teil (nachdem man zuerst eine Stunde 50 Minuten bis zur Pause gelitten hatte) eine Spur schneller war. Da ging es ja dann auch auf das Ende zu.

Nach der Pause waren von den zehn Sitzen in meiner Reihe am Ersten Mittelrang gerade noch zwei besetzt. Und wer weiß, ob ich geblieben wäre („Du sollst nicht langweilen!“ wusste Billy Wilder, und das gilt nicht nur für das Kino), , wenn ich es nicht unkorrekt und unprofessionell fände, eine Vorstellung, die man rezensieren will, vorzeitig zu verlassen.

So ist das erste Finale der Ära Kusej (das zweite wird sich am „Zentralfriedhof“ abspielen) verpufft – wie auch das meiste, was man in seinen fünf Burgtheater-Jahren gesehen hat.

Renate Wagner

 

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