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WIEN / Burgtheater: NEBENAN

15.10.2022 | KRITIKEN, Theater

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Fotos: Burgtheater / Matthias Horn

WIEN / Burgtheater: 
NEBENAN von Daniel Kehlmann
Uraufführung
Premiere: 15. Oktober 2022 

Man ist „Nebenan“ im Vorjahr im Kino begegnet. „Nach einer Idee von Daniel Brühl“, hieß es damals – Daniel Brühl, der selbst die Hauptrolle in dem Film spielte und auch selbst inszenierte. Der Verdacht lag nahe, dass ein durchaus erfolgreicher Schauspieler der Meinung war, er bekäme ja doch nicht genügend Spitzenrollen, und daraufhin den Beschluß fasste, sich eine schreiben zu lassen. Den Erfolgsautor Daniel Kehlmann kannte er, seit er in der Verfilmung von dessen Buch „Ich und Kaminski“ gespielt hatte. Ein Drehbuch, in dem ein berühmter Schauspieler namens Daniel (!) die Hauptrolle spielt, wurde bestellt, geliefert, verfilmt und spiele laut imdb 72.462 Dollar ein.

Dass „Nebenan“ einmal auf der Bühne landen könnte, müsste, würde, war damals schon klar. Im Grunde spielt die ganze Geschichte in einer Berliner Kneipe, die wenigen Ausflüge in die Außenwelt, die man für das Kino unternahm, waren nicht zwingend notwendig. Für das Theater bedient das Stück die klassischen Vorgaben von Einheit des Ortes, der Zeit und der Handlung. Und es ist ein Well Made Play, wie es im Buche steht und wie man es gelegentlich neben allen inhaltlichen und stilistischen Experimenten gewissermaßen zur Erholung des Publikums braucht… So kam „Nebenan“ also auf die große Bühne des Burgtheaters.

Die Handlung lässt zwei gänzlich gegensätzliche Menschen auf einander prallen und endet mit der totalen Demontage des einen. Dieser, der berühmte Schauspieler, heißt nun nicht mehr Daniel, sondern Florian – wird man der Figur bei jeder Aufführung den Vornamen ihres Darstellers geben? Dabei hat sich dieser Florian im Vergleich zum Film-Daniel verändert, hat Glamour, Eitelkeit und Selbstbespiegelung  verloren, tritt in die Berliner Kneipe nicht als Star, sondern als Mann, der rasch noch einen Kaffee (Filterkaffee, das gibt es hier noch) trinken will, bevor er nach London zu einem Casting fliegt…

Bis dahin hat Martin Kusej – der Direktor hat sich die Uraufführung selbst vorbehalten – sich in dem weitläufigen Bühnenbild von Jessica Rockstroh viel Zeit gelassen, die Atmosphäre der abgelegenen Kneipe auszumalen, in der vor allem stumme „Stammgäste“ herumhocken und  wo die über und über tätowierte Wirtin keine besondere Aktivität entfaltet (außer Kloputzen zu Beginn). Dann kommt Bruno, Stammgast aus der Nachbarschaft. Und schließlich Florian, der Schauspieler, der auch „nebenan“ wohnt und anfangs nur durch seine englisch geführten Telefonate mit Agenten auffällt. Vorläufig.

Die Geschichte handelt von Brunos Rachefeldzug gegen Florian, der in der chicen Loft-Wohnung lebt, die einst – vor dem Überfall der „Wessis“ und ihres Kapitalismus – Ostberliner Substandard war, wo sein Vater lebte, bis man ihn schnell und ganz gegen seinen Willen hinausgekauft hat. Florian kann dafür gar nichts, aber er soll gewissermaßen für alle leiden, die anstelle der (guten, alten???) DDR vollmundig das Wirtschaftswunder versprochen haben – wobei so viele Ossis durch den Rost gefallen sind. Wie Bruno, der nun nächtlich Kreditkarten sperrt. Und in Abrechnungen hinein schauen kann. Wieso bucht eine Ehefrau ein Doppelzimmer in einer anderen Stadt, wenn der Gatte verreist ist? Was ihm ermöglicht, Florians Ehe und im Grunde seine ganze Existenz zu sprengen… (Wobei der Ost-West-Konflikt zwar angerissen bleibt, aber nicht weiter geführt wird.)

Es ist ungerecht zu vergleichen, aber man darf feststellen, dass die Geschichte im Kino ungleich spannender war (nicht nur, weil die Kamera den Protagonisten so nahe auf den Leib rücken konnte). Kusej setzt erstens mehr auf drückende Atmosphäre als auf Spannung. Und während im Kino Peter Kurth den Rachefeldzug von Bruno mit sadistischer Nuancierung durchgezogen hat (und man den Verdacht nie los wurde, dass er seine Spitzelmethoden bei der Stasi gelernt hat), bleibt Norman Hacker schlechtweg zu sanft, zu harmlos, viel zu wenig lauernd, viel zu wenig böse hinter der braven Fassade. Das ist kein Gegenspieler, den man wirklich fürchten würde.

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So geht der Theaterabend (anders als der Film) an den Schauspieler, der, wie erwähnt, anfangs als höchstens etwas genervter „Normalo“ erscheint, der sich auf das Gespräch, das  Bruno ihm aufzwingt, nur einlässt, weil er weiß, dass man zu seinem Publikum höflich sein muss, will man von den Sozialen Medien nicht zu Tode gehetzt werden. Aber wie Florian Teichtmeister den Mann verkörpert, der ohnedies schwer unter Druck steht und dann nach und nach die Nerven wegwirft, wenn ihm die Felle weggeschwommen, wenn er nicht nur in seiner Arbeit hinterfragt und abgelehnt wird, sondern es auch ins Private geht –  da stellt sich beim Zuschauer schon echtes Mitleid ein. Denn er ist sozusagen kein Arschloch, man gönnt ihm das, was in der Folge auf ihn zukommt (nicht nur die kaputte Ehe) wahrlich nicht.

Der Dialog in der Kneipe erfährt wenige Unterbrechungen, am ehesten noch von der Wirtin (Katharina Pichler, ein wenig klischeehaft), kaum von Stefan Wieland, der fast den ganzen Abend nur mit dem Rücken zum Publikum da sitzt, nicht von Arthur Klemt in einigen zu dick aufgetragenen Chargen. Elisa Plüss gibt eine Ehefrau, um die nicht schade ist, wenn man sie verliert, und musste vorher noch in einer unnötigen Miniszene einen schrillen Fan spielen. Alles in allem – nicht viel los.

Kusej hat eine fabelhafte Schlußsequenz inszeniert, die den Beifall forcierte. Er galt dann auch Autor Daniel Kehlmann, der den Ideengeber des Stücks, Daniel Brühl, mit auf die Bühne holte. Die Premiere war nicht gerade überlaufen gewesen, aber wenn es sich herumspricht, dass es sich um „normales“ Theater mit einem großartigen Hauptdarsteller handelt, werden die Wiener schon kommen, auch wenn der Abend sie dann nicht gerade vor Spannung vom Sessel reißt.

Renate Wagner

 

Als Ergänzung: die Filmkritik

Film: NEBENAN

12.07.2021 | FILM/TV, KRITIKEN

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Filmstart: 16. Juli 2021
NEBENAN
Deutschland / 2021
Regie: Daniel Brühl
Drehbuch: Daniel Kehlmann
Mit Daniel Brühl, Peter Kurth, Aenne Schwarz, Rike Eckermann u.a.
Prädikat: wertvoll

Anfangs erlebt man einen selbstgefälligen Star in seinem Berliner Loft. Mondän elegant hinter meterhohen Fenstern, wie es eben üblich ist. Gut, die Aussicht ist nicht berauschend, man befindet sich in einem alten Wohnblock Berlin-Ost, aber ein eigener, in den Hof gebauter Lift, der nur für den Star in die Höhe und hinab führt, sorgt schon dafür, dass man mit der Mitwelt nicht in Berührung kommt. Dass man für sein Luxusdomizil einst einen einfachen Mann, der „ewig“ dort gewohnt hat, aus seiner Dachwohnung gedrängt hat – das weiß der Star nicht, wirklich nicht, ehrlich.

Und er ist ja auch nicht „so“ – wenn er vor einem Flug nach London (ein Vorsprechen für einen Sci-Fi-Film) noch ein bisschen Zeit hat, geht er wohl auch in die Kneipe ums Eck und mischt sich ein wenig unter die „Normalos“. Die echt Berliner Mama hinter der Theke macht da schließlich noch Filterkaffee. Ihre Spezialität für Einheimische, Sülzchen, hat er allerdings nie kennen gelernt. Und dass sie Hilde heißt, weiß er auch nicht.

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In dieser Kneipe spielt sich „Nebenan“ ab, nach einer Idee von Daniel Brühl. In ein Drehbuch gebracht von Daniel Kehlmann, bei genauem Hinsehen eines seiner typischen, geschickt gebauten, vordergründigen Theaterstücke (irgendwann wird es sicher auch auf der Bühne landen). Brühl, der schon 2015 in der Verfilmung von Kehlmanns „Ich und Kaminski“ gespielt hat, ließ sich von ihm eine Traumrolle auf den Leib schreiben, den Star, der sogar Daniel heißt, und er spricht auch Spanisch und Englisch herausragend, ein bisschen persönliche Eitelkeit darf bei einem solchen Ich-Projekt schon dabei sein. Denn als Regisseur fungiert der Daniel (der Brühl) diesmal auch. Ambitioniert das Ganze und auch sympathisch, wenn es nicht so auf der Hand läge.

In der Kneipe, wo sich der Star (angesichts der lächelnden Wirtin) schon recht aufplustert, sitzt Bruno, der Nachbar von vis a vis, den er nicht kennt, der aber das ganze Leben von Star Daniel mitbekommt. Im Bild durch die großen Fenster und in Ton, weil alle Auseinandersetzungen von Daniel und Gattin Clara, einer Ärztin, offenbar über den Hof schallen. Und was das kubanische Kindermädchen anstellt und wen sie einlädt, wenn die Herrschaften nicht zuhause sind, das weiß er auch.

Bruno weiß alles von Daniel – und sagt es ihm. Langsam, der Reihe nach. Zuerst ist er nur ein Gast in der Kneipe, der Daniel anstarrt. Das ist dieser gewohnt, er ist ein Film- und Fernsehserien-Star, und er hat gelernt, wie unendlich höflich und freundlich man mit Fans sein muss. Auch wenn sie einem, wie dieser Bruno, eigentlich nur Unfreundliches sagen (wo man doch im allgemeinen nur Schmeichelei und Bewunderung zu hören bekommt). Besonders an dem Film über die Stasi, den Daniel gedreht hat, hat Bruno viel auszusetzen. Er weiß schließlich, wovon er redet. Das waren Leute wie Du und Ich, sagt er – und man wird den Verdacht nicht los, dass Bruno selbst einer von ihnen gewesen sein kann (auch wenn er es leugnet, aber man kann schließlich lügen).

Zuerst will er Daniels Selbstbewusstsein als Schauspieler untergraben und attackiert ihn, immer in sanftem Ton, so sehr, bis dieser seinerseits aggressiv wird. Außerdem muss er aufbrechen, nach London, Vorsprechen für den Sci-Fi-Blödsinn, von dem er mehr wissen will und von allen Leuten, die ihm am Smartphone freundlich tun, nichts erfährt. Ja, und als er mit Bruno als „Partner“ (auf Englisch) die Szene liest, die er vorsprechen soll, wird ihm erst vollends klar, welcher Unsinn da verzapft wird. So verliert man quasi Schritt für Schritt den Halt.

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Keine Frage (das weiß man von der ersten Minute an), dass Daniel an diesem Tag nicht nach London kommt. Denn Bruno füttert ihn nun in kleinen Stückchen mit Information. Erst darüber, was er über das Kindermädchen Conchita weiß. Und dann… dann geht es los. Denn Bruno gehört zu den Ossis, die es im Westen trotz aller Versprechungen (die Wut auf Kohl ist ungebrochen) nicht geschafft haben. Nicht nur, dass man den Vater aus der Mansarde mobbte, wo jetzt das Loft von Daniel über der Mitwelt schwebt. Er selbst hat auch keinen anderen Job gefunden, als in einer nächtlichen Kreditkarten-Hotline Feuerwehr zu spielen. Was ihm allerdings Einblick in Konten und Kontobewegungen verschafft. Und wer die zu lesen versteht…

Was rauskommt, liegt natürlich auf der Hand: der Liebhaber der Gattin, Daniels Ausflüge auf Pornoseiten. Ja, innerhalb von eineinhalb Kinostunden geht da so gut wie alles kaputt am künstlich zurecht gezimmerten Traumleben. Bruno hat einen verdammten Zorn im Bauch, und es ist nicht nur Neid, da steckt auch Grundsätzliches dahinter, etwa der Wunsch, Menschen mit Lügen und Selbstbetrug nicht immer durchkommen zu lassen…

Mit diesem Stoff plagt sich Daniel Brühl als Regisseur, und vielleicht wäre das Ergebnis besser gewesen, hätte er nur seine fabelhafte Rolle gespielt (so sehr sie auch auf der Hand liegt). Immerhin hat er für etwas ganz Wichtiges gesorgt, und das zählt zu den Qualitäten des Films: Niemand übertreibt. Nicht er die Arschloch-Seite des Stars, auch nicht die Hilflosigkeit. Er könnte überzeichnen, parodieren, die Figur preisgeben, er tut es nicht. Schwimmt aber auch nicht in schmalzigem Mitleid, beschönigt nichts, am wenigsten die Eitelkeit. Das ist schon eine sehr substanzielle Leistung.

Bloß – da ist Bruno, der Mann von nebenan. Peter Kurth tut scheinbar nichts anderes, als in seiner Massigkeit in der Kneipe herumsitzen. Spielt sich nicht zu einer mythischen Figur auf, die Gerichtstag hält. Ist nur ein gescheiter Mann, der die Nase voll hat und das so leise exekutiert, wie es vielleicht sadistische Stasi-Schergen getan haben. Und er ist so intensiv, dass er Daniel Brühl darstellerisch einfach an die Wand knallt. Das Duett, das Duell – er entscheidet es fraglos für sich. Kompliment dem Regisseur Daniel Brühl, dass er es zugelassen hat.

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Keiner der anderen, die da noch mitspielen, tut zu viel: Was könnte man aus einer Berliner Kneipenwirtin Schreckliches machen: Rike Eckermann schaut sich das Ganze an, serviert Kaffee, Bier, Schnaps und hat den Laden und seine Besucher in aller Ruhe fest im Griff. Kehlmann lässt geschickt (und wie immer zielbewusst vordergründig) ein paar „farbige“ Figuren durchwanken, den Arbeitslosen, den wütenden Trinker in der Ecke (der sitzt). Wenn ein Pärchen auf der Straße Daniel um ein Foto bittet, sagt er „Gerne“ und will sich in Position stellen – aber sie wollen von ihm fotografiert werden, weniger, weil sie offenbar noch nie von Selfies gehört haben, sondern dramaturgisch, um den Star herunter zu holen… es kennt ihn doch nicht jeder.

Nur einen wirklichen Auftritt hat Aenne Schwarz als Gattin und zeigt dabei eine Souveränität (auch wenn ihr der Boden unter den Füßen weggezogen wird), die den Gatten in die Tasche steckt. Am Ende haben die Männer ihren Kampf ausgetragen (dass Daniel angesichts seiner zerstörten Illusionen zuschlägt, versteht man) und sitzen trübselig an der Theke – es wäre ein wunderbares Schlußbild, sähe man nicht noch die Gattin im Loft telefonieren, Genaues erfährt man nicht, es ist ein Antiklimax, den es nicht bräuchte.

Aber sonst – ja, gelungen. Sicher kein Meisterwerk. Aber es gibt „well made plays“, und das ist ein solches, es ergibt einen „well made film“ für zwei Schauspieler, die ihre Möglichkeiten nützen.

Renate Wagner

 

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