Fotos: Thalia Theater
WIEN / Burgtheater:
MOBY DICK nach dem Roman von Herman Melville
Gastspiel des Thalia Theaters Hamburg
4.Mai 2016
Theaterfreunde sind immer dankbar für Gastspiele, denn nur wenn man über den Tellerrand hinausblickt, kann man besser beurteilen, was sich am eigenen Teller abspielt. Wenn das Burgtheater nun große Bühnen der großen deutschen Theaterstädte nach Wien gebeten hat, das Münchner „Resi“ mit der „Hedda Gabler“ und nun das Hamburger Thalia Theater mit „Moby Dick“ jenes Antú Romero Nunes, der für die Burg zuletzt das „Hotel Europa“ von Joseph Roth auf die Bühne des Akademietheaters gestellt hat, dann weiß man wenigstens sicher: Cosi fan tutte. „Heutiges“ Theater schaut heute überall gleich aus. Dass es irgendwo Unverwechselbarkeit gäbe (hat man das nicht einst vom Burgtheater gesagt?), die Zeiten sind vorbei…
„Moby Dick“ ist nicht neu, die Inszenierung kam im September 2013 in Hamburg heraus und bekam Kritiken, die man sich einrahmen lassen kann. Dass hier mit acht Schauspielern und ein bisschen Theaterzauber das ganz große Theaterhandwerk entfesselt wurde, ließ die Begeisterung hochschwappen – auch in Wien gab es heftigen Beifall. Nachdem, auch das muss gesagt sein, während der zweieinhalb pausenlosen Spielstunden die Zuschauer zu Dutzenden den Theatersaal verlassen hatten. Auch wenn sie es absolut rücksichtsvoll lautlos tun – ein Kommentar zum Gebotenen ist es auch.
Nachdem man also mit großer Bewunderung die Machart des Ganzen anerkennt hat, fragt man sich doch, wie viel „Moby Dick“ man nun eigentlich gesehen hat – nicht nur, weil der Abend natürlich (leider) nicht mit „Nennt mich Ismael“ beginnt, auch, weil Kapitän Ahab so gut wie nicht vorkommt und die Geschichte seiner Besessenheit ebenso wenig. Nun ist, wie man ja selbst weiß, „Moby Dick“ nicht nur ein „Mammutwerk“, sondern auch ein „literarischen Flickenteppich“ (beide Bezeichnungen aus dem Thalia Programmheft) mit den zahllosen Exkursen überall hin – vom Walfang zum Existenziellen, Fragen zu Leben und Tod, Faktischen und Gesellschaftlichem, unter besonderer Berücksichtigung des Metaphysischen.
Melville hat literarisch genial „aufgekehrt“, was ihm in den Sinn kam. Aber er hat auch eine Geschichte erzählt. Und die erkennt und findet man auf der Bühne nicht. Dafür einen verklausulierten Irrgarten, in dem sich auch Kenner des Buches (oder zumindest des Films) nicht wirklich zurecht finden können. Man sieht die Art von Theater, das auf die Augen zielt statt aufs Gehirn.
Acht Schauspieler (Julian Greis, Mirco Kreibich, Daniel Lommatzsch, Thomas Niehaus, Jörg Pohl, Rafael Stachowiak, André Szymanski, Sebastian Zimmler), die sich mit allem Können, Enthusiasmus und letztendlich erzielter Brillanz ins Geschehen stürzen, agieren zu Beginn als einzelne Monologisierer, finden sich dann zum Chor, müssen in einer Bewegungsregie leisten, was man sonst nur Tänzern abverlangt, spielen alles und dessen Gegenteil, nur tun sie es in einem gewaltigen Stimmungs-Potpourri, das man auch zu anderen Vorwänden entfesseln könnte – warum man den „Moby Dick“-Roman hernehmen muss, das klärt sich für das Publikum nicht.
Mit diesen acht, die niemand Bestimmten verkörpern (mal hinken sie alle wie Ahab, aber einzelne Figuren kristallisieren sich so gut wie gar nicht heraus – wo sind sie, Ismael, Queequeg und die anderen?), man muss sich (Bühne leer, gelegentliche Versatzstücke: Matthias Koch) mit virtuosen Wasserspielchen und sehr viel Lärm (Musik und Sound-Design: Johannes Hofmann, Rewert Lindeburg) zufrieden geben. Wieder einmal wurde Literatur – zumal ein Name, der so groß klingt wie „Moby Dick“ – verwendet, um ein Selbstzweck-Spektakel auf die Bühne zu schleudern.
Gekonnt, aber nicht wirklich sinnstiftend. Am allerwenigsten am Ende, wenn – nachdem man bis dahin mit den acht Darstellern mehr als zufrieden war – sich die Bühne mit Menschenmassen füllt, die unverständliche Sprachen sprechen und Mordsradau entfesseln, als (höchst unnötiger) Drüberstreuer quasi. Als ob es bis dahin nicht laut genug gewesen wäre…
Renate Wagner