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WIEN / Burgtheater: MARIA STUART

06.09.2021 | KRITIKEN, Theater

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Fotos; Matthias Horn

WIEN / Burgtheater: 
MARIA STUART von Friedrich Schiller
Wiener Premiere: 5. September 2021 

Nachdem die Salzburger Festspiele das „Recht der ersten Nacht“ erhalten hatten, kehrte Martin Kusejs Inszenierung von Schillers „Maria Stuart“ im Burgtheater ein, wo sie hin gehört und das renovierte Haus nach langer Schließzeit neu eröffnete. Der Besucher darf so unbescheiden sein anzumerken, dass der Vorzug der neuen Bestuhlung so gewaltig nicht ist (gut, die alten Sitze waren etwas ausgeleiert) und dass man die Nummern der Sitzplätze und auch der Reihen miserabel sieht. Da wird man noch nachkorrigieren müssen.

Kusej und die Klassiker, die natürlich ins Burgtheater gehören. „Faust“ und „Don Carlos“ hat er nach Wien mitgebracht, die „Hermannsschlacht“ und nun auch „Maria Stuart“ hier erarbeitet. Sein Grundkonzept bleibt gleich – einen Großteil der Personen wegholzen und dramaturgisch stark bearbeiten, indem man das, was einst vom Dichter gefügte Akte waren, in Kurzszenen zerlegt, von Dunkelpausen durchbrochen. Theater für Leute, die nicht die Geduld haben, ein Stück in voller Breite dahinrollen zu sehen.

Bei der „Maria Stuart“ hat  Martin Kusej der schottischen Königin nicht nur ihr ganzes Begleitpersonal weggenommen, sondern auch noch einen Clou gesetzt, von dem man nicht weiß, ob er wirklich Sinn macht. Statt des Priesters, der der Schottenkönigin vor ihrem Tod die Beichte abnimmt, ist da Graf Leicester in dieser Funktion zur Stelle, was der Szene etwas Irreales gibt und nicht unbedingt einleuchtet Nach der Stuart ist am Ende bekanntlich noch einmal Elisabeth am Ende, und da verlangt die Königin bekanntlich nach besagtem Graf Leicester. Als er offenbar nicht kommt, kauert sie sich einsam und verlassen  auf den Boden (irgendwo erklingt leise „God save the Queen“). Wer meint, da müsse noch etwas kommen – nicht in dieser Inszenierung. Auf einen der berühmtesten Schlusssätze der Dramenliteratur zu verzichten („Der Lord lässt sich entschuldigen, er ist zu Schiff nach Frankreich“), dazu gehört schon Kusej’sches Selbstbewusstsein.

Szenisch scheut Martin Kusej alles Konventionelle wie der Teufel das Weihwasser, er wird das Stück keinesfalls in historisches Ambiente stecken, obwohl es der Haupt- und Staatsaktion, die es ja doch ist (im Grunde geht es dauernd um Politik), nicht schlecht passen würde. Aus der Realität genommen, in einen leeren Raum mit einer Batterie von viereckigen Lampen gestellt (Bühne Annette Murschetz; dazu verfremdete Alltagsgewänder von Heide Kastler  ), ergibt sich geringer Aktionsraum.

Zumal er noch überfüllt wird. Denn Kusej hat (wäre er nicht so etabliert, dass er es nicht nötig hat, würde man sagen, er hat einfach mit ein paar Schlagzeilen spekuliert, Aufputz für eine sonst unspektakuläre Inszenierung) eine Phalanx von nackten Männern auf die Bühne gestellt. Sie spielen kaum mit, haben keine richtige Funktion (außer dass ihnen Elisabeth, wenn sie das Todesurteil für Maria Stuart unterzeichnet, die Buchstaben ihres Namens blutig auf ihre Rücken schreibt), sie leisten nur allerhand, indem sie fast die ganze Zeit während der pausenlosen (!) zweidreiviertel Stunden der Aufführungsdauer meist unbeweglich dastehen. Manchmal ihre Vorderseiten, meist ihre Rückseiten darbietend. Was es wirklich soll, man weiß es nicht.

mariastuart c horn hintern

Zwei Frauen in der Männerwelt – wenn das Stück anhebt (mit dem Knalleffekt, dass nach einem harten akustischen Schlag der abgetrennte Kopf der Maria Stuart durch die Lüfte saust), erleben wir Birgit Minichmayr  als eine enorm zornige Schottenkönigin, die Hände am Rücken gefesselt, die mit ihrem Schicksal hadert. Das könnte der Auftakt für ein Duell von Power-Frauen werden (vermutlich von Schiller auch durchaus so gemeint), aber das wird es nicht.

maria stuart im würgegriff

Auch weil Bibiana Beglau als Elisabeth meist so cool wirkt, fast gleichgültig durch ihre Welt schreitend. Als die beiden Frauen dann zusammentreffen (unter einer schwingenden Lampe, wie einst das Pendel beim ersten Akt „Walküre“ von Chéreau, aber nicht so wirkungsvoll), entzündet sich da komischerweise gar nichts. Vielleicht, weil die Darstellerinnen angehalten sind, mehr symbolisierend als wirklich psychologisch glaubhaft und entsprechend aufgeladen zu agieren. Nur, dass sie in einer Männerwelt leben, zeigt Kusej immer wieder, sie finden sich im Würgegriff der Männer, dass die eine die Macht ihrer Weiblichkeit, die andere die Macht ihrer Stellung wirklich ausspielte, findet nicht statt.

maria stuart elisabeth und die männer~1

Der Abend, um dessen Konzept man als willig interpretierender Zuschauer ringt, läuft moderat und fast gleichförmig ab, und das, obwohl es eine großteils exzellente Männerbesetzung gibt. So gut, wie als intrigant-vibrierender Burleigh war Norman Hacker bisher am Burgtheater noch nie, das ist „Politik pur“. Einspringer Wolfram Rupperti musste zwar den Souffleur bemühen, war aber als der durch und durch ehrenwerte Shrewsbury jeden Zoll überzeugend; eine eindrucksvolle Leistung. Davison, der von Elisabeth mörderisch manipulierte Sekretär, ist eine kleine, aber sehr gute Rolle und von Tim Werths solcherart erfüllt (er weiß wirklich, dass es nicht nur um das Leben der Stuart, sondern auch um sein eigenes geht, wenn er mit dem unterschriebenen Todesurteil dasteht). Kerkermeister Paulet erhielt von  Rainer Galke menschlich-polternde Züge. Wie schwer ein idealistischer Schiller-Jüngling zu spielen ist, weiß man, und folglich schätzt man die Leistung des interessant irrlichternden Franz Pätzold. Nur Itay Tiran war so mit dem Meistern der deutschen Sprache beschäftigt, dass er wie ein steifer Fremdkörper herumstand.

Eine großteils also wirklich gute Besetzung – und doch ein über weite Strecken lähmender und in der Künstlichkeit seiner Aktionen nicht übermäßig überzeugender Abend mit ein paar effektvollen Bildern am Schluß (vor allem rund um den Tod von Maria Stuart).

Direktor-Regisseur Kusej, beim Schlußapplaus in weißen Turnschuhen mit offenem Hemd, konnte mit der Zustimmung zumal für seine  Protagonistinnen zufrieden sein. Dennoch hätte man sich gerade mit diesen beiden eine entschieden spannendere Version des Stücks vorstellen können.

Renate Wagner

 

Burgtheater
Premiere bei den Salzburger Festspielen am 14. August 2021,
Wiener Premiere am 05. September 202

Friedrich Schiller 
Maria Stuart

Inszenierung Martin Kušej  
Bühne Annette Murschetz  
Kostüme Heide Kastler  
Musik Bert Wrede 
Choreographische Arbeit Daniela Mühlbauer  

Elisabeth, Königin von England Bibiana Beglau  
Maria Stuart, Königin von Schottland Birgit Minichmayr  
Robert Dudley, Graf von Leicester Itay Tiran 
Georg Talbot, Graf von Shrewsbury Wolfram Rupperti  
Wilhelm Cecil, Baron von Burleigh Norman Hacker  
Wilhelm Davison, Staatssekretär Tim Werths  
Amias Paulet, Ritter Rainer Galke  
Mortimer, sein Neffe Franz Pätzold  

 

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