Fotos: c_TommyHetzel
WIEN / Burgtheater;
LILIOM von Franz Molnar
Premiere: 6. Dezember 2024
Liliom in der Zwischenwelt
Den Wiener Wurstelprater, Hutschen und Ringelspiele, in denen sich ein Liliom betätigen und Frauen seufzen machen könnte, gibt es natürlich nicht. Das ist heutzutage auch nicht mehr zu erwarten, wenn Franz Molnars erfolgreichstes Stück auf die Bühne gebracht wird. Philipp Stölzl (der letzten Sommer auf dem Bodensee so herrlich mit dem „Freischütz“ herumgefuhrwerkt hat) ist für seine Burgtheater-Debutinszenierung als Regisseur und sein eigener Bühnenbildner etwas ganz anderes eingefallen.
Liliom, der auf einer G‘stetten am Bahndamm am Boden liegt (hier spielt sich die ganze pausenlose zweistündige Inszenierung ab), ist eigentlich tot. Oder vielleicht noch nicht so ganz, sondern in einer Zwischenwelt von Nicht-mehr-ganz-da und Noch-nicht-ganz-drüben.. Das sagen ihm jedenfalls die zwei schwarzen Engel, die ihn aufwecken. Und dann ist Besinnung angesagt, Szenen seines Lebens ziehen an ihm vorbei…
Eine Neuordnung des Stücks, die das Original dramaturgisch so verändert, ist reichlich gestrichen und hat ebenso reichlich dazu gedichtet (vermutlich ist Dramaturg Thomas Jonigk dafür zuständig, das Programmheft weist die „Fassung“ nicht aus). Nein, einen himmlischen Konzipisten gibt es nicht mehr, was sich im Jenseits tun wird, sagen die schwarzen Engel auch nicht, und ob es der Schimmer einer „Erlösung“ für den schlechten Kerl und Prater-Strizzi Liliom sein soll, dass am Ende per Video (das hier erstmals und letztmals eingesetzt ist) eine Ahnung von Prater und fröhlichen Menschen aufkommt – eine Erinnerung, die der Zuschauer nicht mit Liliom teilen kann, weil die Inszenierung sie nicht geboten hat.
Sollte man die Neufassung geschaffen haben, um einiges von Kitsch und Klischee wegzuputzen, die diesem Klassiker anhaften (schließlich haben die Amerikaner sogar ein Musical daraus gemacht…), so ist das nicht wirklich gelungen. Es gibt ein wenig brutal-wienerische Drastik, einen Hauch „Lyrik“ und viel geballte Dramatik, alles, wie gehabt. Sicher, „toxische Beziehungen“ und „seelische Kaputtheit“, von denen der Regisseur sprach, sind da, aber die gab es schon immer, so richtig vertieft hat man die Sache damit nicht. Der Rückblick dient einfach dazu, um alles ein bißchen in Richtung Horvath zu verdüstern. Als wirkliche Bereicherung empfindet man es nicht.
Philipp Stölzl hatte im APA-Interview nicht den geringsten Erklärungsansatz dafür, warum „Steffi den Liliom spielt“. Nun, Stefanie Reinsperger tut es, und sie kann natürlich alles, was der Regisseur ihr sagt – nur nicht den geringsten Beweis dafür antreten, dass es Sinn macht, die Figur (die schließlich ein echtes Macho-Schicksal abbildet) von einer Frau verkörpern zu lassen. Die schier endlose, brüllende kreischende Sterbeszene, die man ihr auferlegt, hat den fatalen Beigeschmack eines künstlichen Virtuosenstücks.
Die Julie der Maresi Riegner wirkt optisch wie eine moderne junge Frau von heute, und sie tut sich mit der verstockten Wortlosigkeit dieses Geschöpfs schwer. An Lilioms Leiche muss sie ausflippen und den Toten treten, wie um ihm die körperliche Gewalt, die er ihr angetan hat, zurück zu zahlen. Verhalten sich Frauen von heute so? Vielleicht…
Überzeugendere Leistungen kommen von einigen Nebenrollen. Burg-Debutantin Franziska Hackl ist eine Frau Musikat jenseits jedes Klischees, eine wirklich coole Geschäftsfrau, die nicht emotional übersprudelt, aber dennoch spüren lässt, wie unendlich viel ihr (zweifellos nicht nur aus beruflichen Gründen) an diesem Liliom liegt.
Sebastian Wendelin als Stutzer, Lilioms „böser Geist“, hat das Urwienerische aus der untersten Lade zum Amüsement des Publikums bei der Hand.
In der Rolle stark gekürzt, aber als Figur einprägsam, spielt Stefko Hanushevsky den Ehemann von Julies Freundin Marie und wandelt sich in kurzer Zeit vom Kleinbürger zum kotzigen Neureichen. Auffallend Lilioms Tochter (hier auf 18 Jahre hoch geschraubt), die von Fabia Matuschek freundlich, distanziert und gänzlich unsentimental gespielt wird (sie muss allerdings auch nicht verkünden, der Schlag, den ihr der Fremde – es war natürlich Liliom aus dem Jenseits – versetzt hat, habe gar nicht weh getan…)
Zeynep Buyraç als Marie, Dunja Sowinetz (die Polizisten-Szene wird fast zum Kabarett), Norman Hacker und Tilman Tuppy als zwei nicht sehr beteiligt wirkende Engel, und Robert Reinagl in mehreren Rollen ergänzen.
Die Zwischenwelt, die der Regisseur kreiert hat, erwies sich auch für den Abend als solche. Nicht wirklich lebendig und nicht ganz tot. Irgendetwas dazwischen eben – die große, bunte Ballade Molnars als eher trübes Abziehbild. Und das wird in der Inszenierungsgeschichte des Werks sicherlich nur dafür reichen, als Versuch irgendwo vage dazwischen zu rangieren. Unnötig zu betonen, dass der Premierenapplaus dennoch stark war.
Renate Wagner