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WIEN / Burgtheater-Kasino: KARTONAGE

27.09.2017 | KRITIKEN, Theater

Kartonage_Szene plus Video~1
Fotos: Burgtheater / Reinhard Werner

WIEN / Kasino des Burgtheaters:
KARTONAGE von Yade Yasemin Önder
Österreichische Erstaufführung
Premiere: 27. September 2017

Irgendwie fühlte man sich an diesem Abend im Kasino des Burgtheaters um ein halbes Jahrhundert zurück versetzt – nur wäre man damals in einem echten, tiefen „Keller“ gesessen, die es damals als Theater noch gab. Damals war es neu und aufregend, wenn man „Absurdes“ sah – es hätten durchaus Menschen sein können, die in einem Karton leben, ununterbrochen sinnlose Tätigkeiten ausführen, am Ende in eine Katastrophe schlittern. Und dann hat man sich überlegt, was der Autor damit wohl gleichnishaft sagen wollte, was im allgemeinen nicht sooo schwer aufzudröseln war…

Ist es auch diesmal nicht, wenn die junge Yade Yasemin Önder ihr Stück „Kartonage“ zeigt, wo die übliche Gesellschaftskritik in die übliche Absurdität verpackt ist, vom Regisseur mit viel Sinn für „Grausliches“ aufbereitet. Das nun großartig als das „heutige Theater“ zu verkaufen, scheint übertrieben.

Als die „Absurden“ neu waren, gab es freilich noch nicht bei jeder Gelegenheit Video – hier sieht man zu Beginn die Sequenzen, in denen Rosalie und Ella herumziehen, wobei Letztere dann bei einem Autounfall ums Leben kommt. Wenn Rosalie bei ihren Eltern landet – offenbar der ultimative Akt der Verzweiflung -, dann weiß man von Anfang an, dass das für sie das Ende ist… Denn diese leben in einem „Karton“, Sinnbild für die totale Abgeschlossenheit, weder Tür noch Fenster, nur ein Schlitz, durch den man hereinfallen kann.

Das tut die verletzte Tochter, nachdem man den Eltern bei ihren Ritualen zusehen konnte: die trippelnde Mutter, der hinkende Vater, böse Gespräche und Ohrfeigen, das ununterbrochene Einkochen von Marillenmarmelade als das ultimative Symbol, sich hinter leeren häuslichen Tätigkeiten zu verstecken und diese zum Lebenssinn zu erheben.

kartonage_Szene~1

Die Tochter wird keinesfalls freundlich empfangen, versucht sich anzupassen, indem sie Marmeladebrote isst, dann tropft ihr das Gegessene die längste Zeit eklig aus dem Mund… ja, man begreift schon. Ebenso, wie den Wutausbruch des Vaters, der die mittlerweile nackte Mutter (es ist ein Körperbody) in brennheiße Marmelade drückt. Dennoch ist sie es, die überlebt, während die beiden anderen verenden. Und wenn man will, kann man jetzt bis zum Abwinken „interpretieren“…

Michela Flück hat den „Karton“ gebaut, steriles helles Holz, nur Essecke und Herd und ein kahler Baumstamm, darin inszenierte Franz-Xaver Mayr mit boshafter Lust an der Darstellung schlimmer Menschen die unangenehmen eineinviertel Stunden. Sophie Lux schuf die zuckenden Videos zu Beginn, in denen Marta Kizyma und Irina Sulaver mitwirken, Erstere nur virtuell dabei, Letztere darf dann als erstarrte Tochter Rosalie bei den Eltern „hineinrutschen“.

Kartonage_sie und er

Bernd Birkhahn bietet den Hintergrund für die geradezu schaurige Meisterleistung von Petra Morzé als Frau Werner, die – so der Pressetext des Burgtheaters ausdrucksstark – mit dem Gatten „vor sich hinfault“… Damit wurde Yade Yasemin Önder Siegerin der Berliner Theatertage. Theater spiegelt immer, immer Zeitgeist. Das ist vielleicht das Wertvollste daran.

Renate Wagner

 

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