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WIEN / Burgtheater: JOHANN HOLTROP

Nervtötendes Virtuosenstück

08.09.2024 | KRITIKEN, Theater

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WIEN / Burgtheater: 
JOHANN HOLTROP
Abriss der Gesellschaft
Nach dem Roman von Rainald Goetz
In einer Fassung von Stefan Bachmann & Lea Goebel
Eine Koproduktion des Schauspiel Köln mit dem Düsseldorfer Schauspielhaus
Österreichische Erstaufführung
Premiere in Wien: 7. September 2024 

Nervtötendes Virtuosenstück

Die zweite Premiere der Ära Stefan Bachmann am Wiener Burgtheater war keine echte. So, wie Peymann einst seine Bochumer Inszenierungen mitgebracht hat und Kusej etliche aus München, so wird man dies und das aus Bachmanns letzter Station, dem Schauspiel Köln, sehen. Seine Dramatisierung des Romans „Johann Holtrop“ hatte dort im Februar vorigen Jahres Premiere, erntete durchaus unterschiedliche Kritiken, wurde aber mit dem Theaterpreis „Faust“ gekrönt – möglicherweise lag ein Grund dafür auch darin, dass Bachmann alle Rollen mit Frauen besetzt hat, acht Damen, die einfach alles spielen… Eines kann man gleich sagen: Die Inszenierung ist ein Virtuosenstück. Nur, dass es eher müde als munter macht.

Rainald Goetz hat in hoch komplexer Sprache (nicht so kompliziert wie die Jelinek, aber fordernd genug) einen Roman über einen Wirtschaft-Tycoon geschrieben. Da denkt man in Österreich gleich an Benko, aber das Buch ist älter. Gewisse Mechanismen der Macht, der Hybris, der Freude am Bösen mögen sich stets wiederholen – man lernt Johann Holtrop dabei kennen, wie er ein hochrangiges Mitglied seiner Firma hinauswirft (der sich später umbringt). Wenn in der Folge rund um Holtrops Aufstieg und Fall Einblicke in die Geschäftswelt gegeben werden, dann leuchtet kein Licht in der Finsternis. Und Stefan Bachmann hat dies in einem Bühnenbild aus Podesten und vertikalen Schnüren (Olaf Altmann) virtuos arrangiert, geht mit aller Bösartigkeit satirischen Zuschnitts auf diese Welt los. Eine großartige Aussage gibt es allerdings nicht – dass der Kapitalismus eine üble Erscheinung ist, das weiß schließlich jeder.

Was dem Abend fehlt, ist Ökonomie. Es gibt zu viel von allem. Besonders die Musik, vor der Bühne postiert, die vor allem am Anfang reichlich fließt und die Verständlichkeit des Textes stark beeinträchtigt (zumal wenn die Damen „chorisch“ unterwegs sind) – wozu auch die beabsichtigte Unnatur der Artikulation beiträgt. Zu viel auch von der immer hyperaktiven Bewegungsregie, dem Zappeln, Tänzeln, sich Verbiegen – es soll ja wohl kein rhythmisches Musical sein. Sicher, es mag Sinn ergeben, dass die Darsteller immer wieder wie Marionetten an Schnüren wirken – aber alles, was dermaßen übertrieben wird, langweilt über kurz oder lang. (Meist über kurz…) Zu viel Kleinteiligkeit schließlich, was dazu führt, dass die überladene Geschichte immer wieder zerbröselt. Zumal der Text Klarheit verlangen würde. Kurz gesagt, alles Stil, totaler Stil, Gewiß, man hat schon Bachmann-Inszenierungen in Wien gesehen, aber diese ist ja hier und jetzt doch seine Visitenkarte.

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Im Zentrum steht Melanie Kretschmann (Gattin des Direktor / Regisseurs) als Holtrop, blondhaarig und drahtig, im blauen Anzug, durchaus brillant in allen Stadien der Entwicklung, die Holtrop von seinen bösen Triumphen in die Psychiatrie schleudert und dann, nach neuerlichem Aufstieg, unter der Eisenbahn verenden lässt wie einst Anna Karenina… Dann ist der Abend mit seinen 130 pausenlosen Minuten ohnedies schon viel zu lang.

Man kennt die Darstellerinnen nicht, man kann auch oft die Personen, die sie verkörpern, nicht identifizieren, aber die Damen sind alle auf der Höhe ihrer anspruchsvollen Aufgaben: Nicola Gründel, Anja Lais, Rebecca Lindauer, Lea Ruckpaul,  Luana Velis, Cennet Rüya Voss und  Ines Marie Westernströer. Das Panoptikum an Groteskfiguren, das sie auf die Bühne stellen, ist bemerkenswert.

Viel Beifall für das Ensemble (die Wiener haben etwas übrig für gute Schauspieler) und auch für Stefan Bachmann, der sich als Regisseur verbeugte und auch Autor Rainald Goetz mitgebracht hatte. Die Premiere war nicht überrannt. Mal sehen, ob sich das Wiener Publikum auf diesen Abend einlassen wird.

Renate Wagner

 

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