Copyright Krafft Angerer/Thalia Theater Hamburg
WIEN / Burgtheater:
JEDER STIRBT FÜR SICH ALLEIN
Nach dem Roman von Hans Fallada
Gastspiel des Thalia Theaters, Hamburg
4. Mai 2018
Regisseur Luc Perceval, der erst kürzlich mit „Rosa“ sein Debut am Wiener Burgtheater gegeben hat, besitzt eine evidente Vorliebe für die Werke Hans Falladas (1893-1947) – und dabei handelt es sich bekanntlich ausschließlich um Prosa. Also dramatisierte er zwei von dessen berühmtesten Romanen: 2009, in den Münchner Kammerspielen gezeigt, „Kleiner Mann – was nun?“ (das konnte man 2011 als Gastspiel in St. Pölten sehen), und 2012, im Hamburger Thalia Theater, „Jeder stirbt für sich allein“. Dieser Abend kam nun (mit einiger Verspätung, wie man sagen muss) an das Burgtheater. Spieldauer: gestrichene viereinhalb Stunden. Und wer ein wenig Sensibilität dafür aufbringt, was er sieht, verließ das Theater gebrochen.
Falladas Roman, sein letztes Werk, entstand unmittelbar nach dem Krieg, eine Aufarbeitung des Widerstandes, der im Dritten Reich auch geleistet wurde, am Beispiel eines Ehepaares, das in Berlin Postkarten mit „subversiven“ Texten auslegte. (Dass die Geschichte von Otto und Elise Hampel, wie sie wirklich hießen, im wahren Leben nicht ganz so heroisch ausfiel, wie von Fallada geschildert, sondern einen menschlich bitteren Nachgeschmack hatte, spielt für den Roman, dessen „Helden“-Aussage und dessen Qualität keine Rolle.)
Man hat die Geschichte von Otto und Anna Quangl verfilmt (vor langer Zeit, 1976, mit Hildegard Knef und Carl Raddatz als gestandene Berliner Proletarier, zuletzt 2016 in England, was trotz Schauspielern wie Emma Thompson und Brendan Gleeson nicht gelang, weil das deutsche Milieu der Zeit nicht getroffen wurde), und im Kino sind das einfach brav erzählte Geschichten. Luc Perceval hingegen bricht das Geschehen vielfach, lässt Prosa-Schilderungen zitieren und geht in gespielte Sequenzen über, wechselt auch den darstellerischen Stil zwischen schlichter Intensität und exzessiver, fast parodistischer Wildheit und Über-Aktion.
Dabei findet das ganze Geschehen, drei lange Akte, von zwei Pausen unterbrochen, vor derselben großen, dunklen Wand (Blick auf ein imaginäres Berlin) auf einer mehr oder minder leeren Bühne statt, deren Gerümpel unbenützt im Hintergrund liegt und in deren Mitte einfach ein Tisch steht: Alles, was geschieht, kommt von den Schauspielern, die nur ein Minimum an Requisiten zugestanden bekommen (Bühnenbild: Annette Kurz).
Da entwickelt sich anfangs die Geschichte zweier ernster Menschen: Als Otto Quangel (nüchtern, seriös: Thomas Niehaus) und Anna Quangel (ruhig, edel, bis die finale Verzweiflung ausbricht: Oda Thormeyer) die Nachricht vom Tod ihres Sohnes im Feld erhalten, bricht das verzweifelte Gefühl durch, dass etwas gegen das Verbrecher-Regime getan werden muss. Die Postkarten, in denen sie agitieren und die sie überall liegen lassen, werden zu ihrem Lebensinhalt.
Der zweite Teil des Abends rückt dann gänzlich von den Quangels ab, wendet sich dem Polizeikommissar zu (mehr als eindrucksvoll: André Szymanski), der diese „Verbrecher“ finden soll, die das Regime nicht nur ärgern, sondern auch beunruhigen, und stellt mit Enno Kluge (brillant: Daniel Lommatzsch) eine kriminelle Halbexistenz in den Mittelpunkt, die leicht zum Opfer wird. Gar nicht geschlechtergetreu verfährt Perceval, wenn er Barbara Nüsse teils beängstigend, teils schaurig parodistisch einen oft besoffenen, immer gefährlichen SS-Obergruppenführer verkörpern lässt, und noch grotesker wird der rundliche, erfolglose Polizeibeamte der Gabriela Maria Schmeide (die auch als resolutes Frauchen auftaucht – die meisten Darsteller spielen mehrere Rollen).
Zu dem großartigen Ensemble gehören noch Mirco Kreibich (auch als akustisch kaum noch verständlicher Troll, der ein kleiner Junge sein soll), Alexander Simon (besonders grausam, wenn sein Polizist sich auf Wienerisch brutal geriert), Benjamin-Lew Klon sowie Maja Schöne und Cathérine Seifert in tapferen Frauenrollen. Alles in allem – ein schreckliches Zeitbild des Berlin der Kriegsjahre, in zahlreichen starken Figuren aufgedröselt.
Im dritten Teil ist man wieder bei den Quangels, ihrer Gefangenschaft, ihren Folterungen, seiner Hinrichtung, und da reizt Perceval mit körperlicher und seelischer Gewalt, mit Gebrüll und Psychoterror, mit nicht enden wollender Ausführlichkeit, gnadenlos ausgewalzt (und dann auch in Sentimentalität gebadet) das Geschehen bis zur Unerträglichkeit aus. Das wird zur regelrechten Folter sensibler Zuseher, man kann es kaum noch ertragen, hinzusehen und hinzuhören.
Keine Frage, dass das, was man auf der Bühne sieht, nicht schlimmer war als die Wirklichkeit. Dennoch – schlaflose Nächte bzw. Alpträume für ein mitleidendes Publikum, das ist ein hartes Ergebnis für einen Theaterabend.
Renate Wagner