Peter Simonischek (alle Fotos: Barbara Zeininger)
WIEN / Burgtheater:
HIOB
nach dem Roman von Joseph Roth
Bühnenfassung von Koen Tachelet
Premiere: 24. Februar 2019
„Hiob“ zählt nicht nur (nach „Radetzkymarsch“ und „Kapuzinergruft“) zu den berühmtesten Romanen von Joseph Roth, das Werk gilt auch als ein anerkanntes Stück Weltliteratur. Nun mag es ja kritische Gemüter geben, denen die Geschichte von Mendel Singer etwas zu salbungsvoll ist, sein Hadern mit Gott etwas zu pathetisch und das „wunderschöne“ Ende entschieden zu sentimental. Das merkt man auch am Wiener Burgtheater, wenn wieder einmal – warum nur? – ein Roman dramatisiert auf die Bühne kommt.
Dabei kennt man die Fassung von Koen Tachelet, man hat sie in Wien schon zweimal gesehen. Im Mai 2008 als Festwochengastspiel in einer wenig überzeugenden Produktion der Münchner Kammerspiele, die vor einem Karussell spielte und jegliches „Jüdische“ ausklammerte. Und dann, viel besser, zwei Jahre darauf im Volkstheater, wo Regisseur Michael Sturminger ausbalanciert eine jüdische Geschichte, aber diese nicht prononciert, erzählt hat. Nun hat sich Christian Stückl im Burgtheater zur Abstraktion auf allen Ebenen entschlossen. Das Ergebnis sind drei bleischwere Stunden – was gleicherweise an Werk wie Aufführung liegt.
Nun ist „Hiob“ keine Geschichte, die sich wirklich fürs Theater eignet. Im ersten Teil, der (angeblich) noch im jüdischen Schtetl spielt, passiert nichts weiter, als dass Mendel Singer, der Lehrer, versucht in seinem Buch zu lesen, seine Frau unzufrieden zankt, drei seiner Kinder die Welt des Vaters abzuschütteln suchen und das vierte, der kleine Menuchim, an schwerer Epilepsie leidet. Es gibt da eine schreckliche Szene, wie die drei gesunden Geschwister versuchen, Menuchim zu ertränken. Dann geht ein Sohn nach Amerika, ein Sohn zum Militär, um wie die Russen zu werden, und die Tochter lässt sich mit Kosaken ein – alles besser als das jüdische Elendsleben, das Vater Mendel ihren vorlebt („Gott hatte seinen Lenden Fruchtbarkeit verliehen, seinem Herzen Gleichmut und seinen Händen Armut.“)
Im zweiten Teil sind die Singers ohne Menuchim (die Amerikaner ließen keine Kranken einwandern) in New York, und hier wird die Sache ein wenig lebendiger – Parodie des forschen US-Wesens, an dem Mendel jedenfalls nicht genesen kann. Hier zeigt sich die Problematik des Flüchtlings, der sich in eine neue Welt weder assimilieren kann noch will. Dann prasseln die Tragödien über ihn herein, und es gibt eine endlose, zähe Anklage an Gott – bis zu dem Happyend, dem Auftauchen des gesundeten, erfolgreichen Menuchim, dessen Tränendrüsen-Kitsch Regisseur Christian Stückl zu unterwandern sucht, indem er (was dann menschlich wieder unschön ist) zu zeigen versucht, wie dem nunmehr erfolgreichen Musiker die Begegnung mit dem Papa, dem abgerissenen Ostjuden, eher peinlich ist… Dennoch darf Mendel mit erhobenen Armen in glückliche Erinnerungen sinken. Den seligen Schlaf, den Roth ihm am Ende verordnet, gibt es nicht. Sonst ist die Tachelet-Fassung eine Szenenfolge, die mit vielen Originalzitaten dem Roman „nachfährt“, aber natürlich (wie alle Bühnendramatisierungen) nur Rudimente des Ganzen bietet.
Die Inszenierung von Christian Stückl betont schon durch die Ausstattung von Stefan Hageneier den Stückwerk-Charakter. Der ganze Abend spielt unverändert auf leerer, leicht hügeliger Bühne – im zweiten Teil sorgt die riesige Schrift „AMERICA“ im Hintergrund für die Auskunft, dass man sich nicht mehr im Schtetl Zuchnow befindet, von dem man auch nichts gesehen hat. (Die Koffer, die zum jüdischen Schicksal gehören, fehlen allerdings auch hier nicht.) Die beiden Welten des „Hiob“ werden nur durch die Kostüme der Figuren unterschieden, wobei Mendel richtigerweise immer in seinem Kaftan, mit seinen Schläfenlocken verbleibt. Aufführungen, die in „leeren“ Bühnenwelten spielen, können schnell sehr öde werden und belasten die Schauspieler über Gebühr damit, noch die Ebene des Milieus „mitzuspielen“.
Auch Christian Stückl drückt sich, wie Johan Simons in München, vor dem „Jüdischen“ der Geschichte, mit Ausnahme von etwas Klezmer-Musik im Hintergrund wird Atmosphärisches ausgeblendet. Sicher, es ist ein Gewinn der Aufführung, dass Peter Simonischek jegliches Jüdeln vermeidet, dass er die Gestik, die man als charakteristisch empfindet, zurückfährt, kurz, dass er keine Anatevka-Show liefert. Den „Gleichmut“, den Roth ihm zum Anfang des Romans zuschreibt, lässt er nur nach und nach zerbröckeln. Das Hadern mit Gott wird ebenso wenig zur großen biblischen Show (das Rechten mit Gott hat ja Tradition) wie das Wiedersehen mit Menuchin (eine nach innen gespielte Erschütterung) zur vordergründigen Taschentuch-Orgie. Dieser Mendel Singer hält Maß und ist damit sehr, sehr stark.
Regina Fritsch, Tino Hillebrand
Seltsamerweise überzeugen die Frauen weniger: Regina Fritsch ist zwar eine leidenschaftliche Mutter für ihr behindertes Kind, der „Teufel“, der sie laut Roth gelegentlich reitet, ist weniger in ihr. Und Stefanie Dvorak, die die Tochter Mirjam von Anfang an nicht einfach nur erotisch und überspannt, sondern schon höchst borderline und absturzgefährdet zeichnet, wirkt nicht wirklich überzeugend sinnlich.
Besser die Männer – Tino Hillebrand zuckt sich als Menuchim anfangs nur epileptisch durchs Geschehen und ist am Ende nicht sonderlich sympathisch; Christoph Radakovits verwandelt sich als Sohn Schemarjah überzeugend in den „amerikanischen“ Strahlemann Sam; Oleg Tikhomirov gibt nicht nur Sohn Jonas, sondern auch den ach so amerikanischen Freund. In drei Nebenrollen setzt man Hans Dieter Knebel, Stefan Wieland und (welch ein Ensemblegeist) Peter Matić ein.
Die Rührseligkeit am Ende tat ihre Wirkung, und ungeachtet dessen, wie schlaff viele während des Abends in ihren Sesseln gehangen sein mögen, der Schlußapplaus war stark.
Renate Wagner