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WIEN / Burgtheater: HELDENPLATZ

18.02.2024 | KRITIKEN, Theater

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Foros: Burgtheater /_Matthias Horn

WIEN / Burgtheater: 
HELDENPLATZ
Premiere; 17. Februar 2024 

Um das „Heldenplatz“-Revival „am Ort der Uraufführung“ 1988, also am Burgtheater, damals Claus Peymann, heute Martin Kusej als Direktor, wurde viel medialer Wirbel gemacht. Die APA schickte gleich mehrere Berichte voraus, und orf.at erklärte das Thema zum „Topos“ und arbeitete den Skandal von einst (der natürlich inszeniert war – und nicht nur von einer Seite) ausführlich auf, mit allen Anzeichen der Entrüstung noch im nachhinein (die natürlich den damals protestierenden Publikum galt).

Bei so viel hitziger Propaganda hätte man durchaus erwarten können, dass Rechts und Links ihre Soldaten ausschicken und sich vor dem Burgtheater zumindest Beschimpfungsschlachten (im Stil des Autors, Meister-Schimpfer Thomas Bernhard) liefern würden.

Doch nichts davon, vor dem Burgtheater fand sich nur Publikum ein. Die einstige Erregung hat nach gut 35 Jahren ihre Kraft verloren. Man lächelt über „sechseinhalb Millionen Dodeln“ – abgesehen davon, dass es mittlerweile neun sind und wohl nicht einmal Thomas Bernhard den Nerv gehabt hätte, den migrantischen Teil der Bevölkerung in seine Wut-und Haß-Tiraden einzubeziehen… Ganz abgesehen davon, dass man im Burgtheater „Heldenplatz“ ohnedies nicht zu sehen bekommt.

Hat der damalige Burgtheaterdirektor Peymann einst das Stück zwar mit aggressiver Lust, aber gewissermaßen „vom Blatt“ inszeniert, so heißt der nunmehrige Regisseur Frank Castorf. Und dessen „Interpretationsauftrag“ besteht seit Jahr und Tag darin, dass ihn die Stücke, die er angeblich auf die Bühne bringt, im Grunde nicht interessieren. Er will immer etwas anderes, und das hat immer denselben Namen: Castorf.

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Man hat von ihm vieles gesehen (am unverzeihlichsten der Bayreuther „Ring“), aber so verrannt wie diesmal hat er sich selten. Man erinnere sich: „Heldenplatz“ ist die Geschichte einer jüdischen Familie, die nach dem Krieg nach Österreich zurück gekehrt ist. Das Familienoberhaupt, Professor Schuster, begeht 1988 zum 50 Jahrestag von Hitlers Rede auf dem „Heldenplatz“ Selbstmord, weil er den neuen Antisemitismus der Österreicher (angeblich schlimmer als der alte) nicht mehr ertragen kann. Man lernt seine Familie kennen – seinen Bruder, den anderen Professor, die Frau des Toten, seine beiden Töchter, seinen Sohn, die für Schuster so wichtig gewesene Wirtschafterin Frau Zittel, und noch ein paar Nebenfiguren (die man gut und gern aussparen kann). Es ist die geglückte Psychologie der einzelnen Personen und eine Analyse des Österreich der achtziger Jahre. Ja, und in diesem seinem letzten Stück hat der nie sehr zurückhaltende Thomas Bernhard seinen bekannten Schimpfkanonaden gegen alles und jedes die Krone aufgesetzt. Das war, nehmt alles nur in allem, ein bitteres Stück Österreich-Boulevard.

Bei Frank Castorf bleibt davon gar nichts als ein paar Textbrocken, vor allem jene der aggressiv um sich schlagenden Art. Alle Nazis, alles verrottet, die Zeitungen und die Theater bekommen auch ihr Fett ab. Mehr hat Castorf daran nicht interessiert. Sein Thema lautete, wenn man sich nicht irrt, eigentlich Amerika, und darum zeigt das Drehbühnenbild (Aleksandar Denić / Chaos-Kostüme: Adriana Braga Peretzki) auch die U-Bahn Station Borough Hall in Brooklyn (ganz abgesehen davon, dass die Bühne ohnedies aussieht wie bei Castorf immer, mit starker Betonung des Videoelements, nur der sonst bei ihm obligatorische Naßraum fehlt ausnahmsweise).

Für diesen absolut überwiegenden Amerika-Teil des Abends (man fragt sich, wozu er Thomas Bernhard überhaupt braucht – als Vorwand, um am Burgtheater zu inszenieren?) besteht aus mehreren Erzählungen von Thomas Wolfe (darunter „Nur die Toten kennen Brooklyn“), die sich mit Krieg, Flucht und Exil befassen, meist via Videoleinwand (bei Erzähltext) geliefert werden und so öde wie endlos sind.

Im zweiten Teil des Abends widmet Castorf enorm viel Zeit den (posthum erschienenen) Reiseaufzeichnungen des jungen John F. Kennedy, der in den dreißiger Jahren durch Nazi-Deutschland tourte und über die Maßen davon beeindruckt war, was er sah. Nun hat das deutsche Feuilleton (und das amerikanische wohl auch) Kennedy posthum ausreichend den Kopf gewaschen für seine (aus unserer Perspektive des „Nachher ist man immer gescheiter“) naiv-unkritische Sicht auf ein totalitäres Land. So sehr Castorf auch möchte, dass sich das Publikum darüber empört, kann man doch davon ausgehen, dass die meisten Zuschauer sich dafür nicht wirklich interessieren, wenn sie einen Theaterabend gebucht haben, der ihnen Thomas Bernhards „Heldenplatz“ verspricht.

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Castorfs USA-Bashing, das möglicherweise noch auf die ideologische DDR-Prägung zurück reicht, ist also das (was man inklusive einem gelegentlichen Riesenbild von Al Capone) letztendlich zu sehen bekommt. Nebst – wie bei ihm immer – sehr viel Unverständlichem, sehr viel absurdem Jokus, auf den er offenbar sehr stolz ist, nebst mühseliger Längen und sehr viel Musik, hauptsächlich internationaler Pop. Im Endeffekt das übliche Chaos.

Die Texte sind willkürlich auf sechs Protagonisten verteilt, unter denen Birgit Minichmayr den Vogel abschießt. Mit der Hingabe der geborenen Castorf-Schauspielerin (ähnlich wie Kollegin Sophie Rois) lässt sie sich auf alles ein, was er ihr an Blödsinn und Verrücktheit vorgibt, und sie ist schlechtweg brillant. Nun weiß man ja, wie gut sie ist, aber tatsächlich hat sie das am Burgtheater (von Maria Stuart bis Striese) lange Zeit nicht zeigen dürfen. Hier liefert sie einen absurd-skurrilen Höhepunkt, als sie eingefascht wie eine Mumie, mühsam mit zusammen gebundenen Beinen hüpfend, die wütendsten Tiraden des (lebenden) Professor Schuster zu einem Kabarett-Stück macht…

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Im Fall von Inge Maux nützt Castorf deren herausragendes Talent, jiddische Lieder zu singen, während Marie-Luise Stockinger unter den Damen (auch angesichts der Minichmayr-Übermacht) die geringsten Möglichkeiten hat. Dass die drei Schauspielerinnen des Abends allesamt aus Oberösterreich gebürtig sind, wird im amerikanischen Teil des Abends verjuxt, wenn sie sich als „Upper Austrian Girls“ charakterisieren…

Marcel Heuperman darf zu Beginn des Abends heftig „Buh“ ins Publikum rufen, um diesem in der Folge zu erklären, auf einen Castorf -Abend müsse man sich einlassen, dann werde man das Besondere erleben (oder so ähnlich). Franz Pätzold bekommt den meisten Text, aber eine echte Rolle ist nicht darunter. Übrigens müssen die beiden Herren das ganze Finale mit „unten ohne“ bestreiten – die Warum-Frage darf man natürlich nicht stellen, weder hier noch bei vielen anderen Gelegenheiten an diesem Abend. Branko Samarovski bringt ein wenig Alt-Herren-Würde ins Geschehen, nur von dem eigentlich ihm zustehenden Text bekommt er herzlich wenig.

Am Ende waren es statt der viereinhalb angekündigten Stunden Spielzeit fünf (und eine Zumutung, der sich ein Teil des Publikums schon in der Pause, ein weiterer während der zweiten Hälfte entzog). Von „Heldenplatz“ gab es kaum eine Spur. Das Recht eines Autors auf seinen Text und seine Geschichte, wird ihm von Castorf (und einem Großteil seiner Kollegen) nicht eingeräumt. Was man sieht ist „Alles Castorf – oder was?“

Allerdings hatte auch sein Fan-Publikum nach den fünf Stunden nicht mehr die Kraft, wirklich lauthals zu jubeln. Und überraschenderweise gab es – das ist heutzutage ja schon ein Akt der Zivilcourage – auch deutliche Buhrufe für den Regisseur.

Renate Wagner

 

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