Foros: Lalo Jodlbauer
WIEN / Burgtheater:
HAMLET nach William Shakespeare
Premiere: 5. September 2024
Ein Mosaik ohne Sinn und Zweck
Vergessen wir Hamlet von William Shakespeare, so, wie ihn der Dichter 1600 geschrieben hat. Das Stück der Stücke in der Weltliteratur. Die Geschichte eines jungen Mannes, der daran verzweifelt, wie schlecht die Welt und die Menschen sind – und dass er nichts dagegen tun kann. Durchaus von heutigem Interesse. Aber darum geht es nicht, wenn die Burgtheater-Ära von Neo-Direktor Stefan Bachmann mit „Hamlet“ eröffnet wird. Nein, wirklich nicht.
Man ist mit der Vorberichterstattung ganz breit in die Medien gegangen, damit ja niemand Gefahr laufen würde, einen normalen „Hamlet“ zu erwarten. Regisseurin Karin Henkel hat den vorliegenden Text in alter Heiner Müller-Manier als Shakespeare-Material betrachtet und gedreht und gewendet, in der Tendenz, die Geschichte anders zu erzählen und aus einem Hamlet gleich ein halbes Dutzend zu machen – wie viel Sinn das ergibt, sei dahin gestellt,
Es beginnt wie ein Kinderfasching – ein Gespenst, wie man es sich vorstellt, im weißen Leintuch mit Augenschlitzen. Und noch ein Gespenst. Und noch eines, noch eines, bis die Bühne voll von ihnen ist und sie auch in den Zuschauerraum quellen. Der parodistische Ansatz ist gegeben und wird den ganzen Abend durchgehalten, es wird einigermaßen geblödelt – nur, dass das Publikum nicht lacht. Dass es, mit irren Kürzungen, dramaturgisches Bröckelwerk liefernd, um eine Verballhornung des Originals geht, steht außer Zweifel. Shakespeare für Fortgeschrittene, oder Hamlet auf der Schmiere.
Aber ganz der erwartete Jokus wird es dann doch nicht. Vor allem muss man sich mit den verschiedenen Hamlets auseinander setzen, mal männlich, mal weiblich, genderfluid, anders geht es ja heutzutage nicht mehr. Kennt man das Stück gut, kann man sich den zerborstenen (und vielfach nicht originalen) Text zusammen klamüsern, ist man nicht so firm, mag einige Unsicherheit entstehen. Was erzählen die uns da? Jedenfalls die engere Familiengeschichte auf die wesentlichen Figuren reduziert, und ob das, was man an neuem Text hört, alles von den angegebenen Übersetzern (Angela Schanelec und Jürgen Gosch) stammt, oder das Team sich selbst dazu gedichtet hat, was man zu brauchen meinte – wer weiß das schon? Dass „Sein oder Nichtsein“ in der Bedeutungslosigkeit verschwindet, wenn man den Text aufteilt und im Lauf des Abends hier ein paar Zeilen und dort ein paar Zeilen zitiert, ist klar. Ist ja nur der berühmteste Monolog der Theatergeschichte…
Die Themen, die Karin Henkel offenbar besonders am Herzen liegen, werden von Anfang an deutlich. Schon in der „Gespensterszene“ wird – legitimerweise – auf das Theater als Kunst und Möglichkeit hingewiesen, schließlich ist das Thema ja auch für Hamlet wichtig, Immer wieder fällt irgendeiner aus der Rolle, gibt sich als Schauspieler zu erkennen. Nun ja. Im übrigen geht es um den Sinn des Lebens und ausgewalzt um den Tod, der geradezu in einer Orgie der Nekrophilie beschworen wird.
Ja, und da haben wir noch die eine oder andere „Idee“, etwa dass Claudius von Hamlet doch gemetzelt wird (oder doch nicht?). Der brutal erstochene Polonius hingegen steht auf, zieht sich bis auf das blutgetränkte Hemd aus und spielt nun die Szene mit Gertrud als Hamlet zu Ende. Man versteht ja vieles nicht an den Spintisierereien dieser Inszenierung, aber das hätte man doch gerne erklärt bekommen… Und warum Claudius und Getrud Ophelia ersäufen, indem sie literweise Mineralwasserflaschen über ihr ausschütten…
Die Inszenierung findet in einem Bühnenbild von Katrin Brack statt, minimalistische Rund-Podien, ein großes vorne, zwei kleine dahinter, und würde am Ende an ihre Grenzen stoßen – wie bringt man das fatale Finale mit Kampf, Giftbecher usw. auf die Bühne, wenn man schon bisher so gut wie nichts Reales gezeigt hat? Nun, ganz einfach, man lässt es erzählen und füllt die Bühne mit blutbefleckten Leichen (im Blut liegt der Schwerpunkt der Kostüme von Teresa Vergho). Dann darf noch einer der Hamlets einen Schlußmonolog halten, der sein Problem auf einen Vaterkomplex reduziert (nicht von Shakespeare, wie vieles andere auch), ein kleines Kind geht herum und sucht „Papa, Papa“, und wenn es dann ganz am Ende „Der Rest ist Schweigen“ piepsen darf, ist der Abend nach 2.50 Stunden zu Ende.
Drei Damen und vier Herren stemmen jeweils in zahlreichen Rollen die zerfaserte Aufführung. Den stärksten Eindruck hinterlässt zweifellos Kate Strong als Gertrud, die ein wenig an Caroline Peters erinnert, die man auch nicht ungern in dieser Rolle gesehen hätte. Aber Kate Strong, die in London geboren wurde, fällt immer wieder brillant in den englischen Text, changiert mit dem deutschen und spielt (mit ganz neuen Passagen) die bösartigste, komischste, brillanteste Gertrud, an die man sich erinnert. Alles andere als Muttertier, Zerrissene, Täterin, Opfer, sondern einfach ein phantastisches Schreckgespenst.
Michael Maertens ist meist (nicht immer) der Claudius mit grimmigem Humor, Katharina Lorenz hockt als einer der Hamlets meist resigniert am Boden, Marie-Luise Stockinger gibt eine durchaus aggressive Ophelia. Alexander Angeletta versprüht Androgynität, und Benny Claessens und Tim Werths spielen aufopfernd und mit bemerkenswertem Wandlungsreichtum, was sonst noch (oft Unschönes) anfällt.
Karin Henkel lieferte Mosaiksteinchen ohne Sinn und Zweck, die alles nur kein Ganzes ergaben. Sie und die Schauspieler des Hauses haben „Hamlet“ zerstückelt. Kein Wunder, dass eine Leiche übrig geblieben ist. Diese bekam allerdings vom Publikum viel Applaus. Dennoch: Der große Wurf, der eine neue Ära überzeugend und glanzvoll eingeläutet hätte, war der Abend nicht.
Renate Wagner