Fotos: Tommy Hetzel
WIEN / Burgtheater:
GULLIVERS REISEN
Spektakel für Alle
nach dem Roman von Jonathan Swift
Von Nils Strunk und Lukas Schrenk
Uraufführung
Premiere: 16. November 2025
Reise ins Kinder-Musical
Es gibt sicherlich mehrere Wege, „Gullivers Reisen“ wirklich zu genießen. Als Leser, der mit den Worten von Jonathan Swift seine eigene Phantasie beschwört. In Erinnerung an die anschaulichen farbigen Illustrationen des Kinderbuches, als man dem Werk zuerst begegnete. Und eventuell als Film, ob Zeichentrick, ob Computerkünste, die zweifellos Gulliver als „Riesen“ in Lilliput ebenso glaubhaft machen würden wie als daumengroßen Winzling im Riesenland. Nur im Theater konnte man sich diese „Fantasy“-Spielchen, wie wir heute sagen, nicht recht vorstellen.
Und damit hat man leider recht behalten. „Gullivers Reisen“ im Burgtheater ist nicht die überwältigende Realisierung geworden, die man sich erhofft hat (auch nach den vielen Vorberichten), sondern eine doch etwas am Bühnenboden klebende Ver-Musicalisierung der Geschichte vorwiegend für Kinder, die keine wirklich überzeugenden szenischen Lösungen für die Groß / Klein-Effekte findet, die politische Botschaft nur bescheiden transportiert und am Ende mit fast drei Stunden (inklusive der Da Capo Musik beim Schlußapplaus) an die drei Stunden dauert. Das ist nicht nur für ein Kinderstück zu lang, sondern auch für den Abend.
Dabei war man positiv gestimmt. Nils Strunk hat sich mit einer witzigen „Zauberflöten“-Version beim Publikum vorgestellt und mit der „Schachnovelle“ einen brillanten Höhepunkt dessen geboten, was Ein-Mann-Theater (mit einer Kapelle) kann. Seine „Killing Carmen“ an der Volksoper war schon verzichtbar, und „Gullivers Reisen“ hatte zwar einen enormen Premierenerfolg, davon lässt sich nichts herunter handeln, ist aber als Musical eigentlich bescheiden.
Strunk (inmitten der kleinen Band vor der Bühne selbst am Klavier) t schrieb die Musik, die so belanglos ist wie alles, was man heute als Musical verkauft bekommt, Kollege , Co-Autor und Co-Regisseur Lukas Schrenk schrieb Song-Texte, auf die auch niemand stolz sein muss. Und das Bühnenbild (Maximilian Lindner) setzt auch keinen sonderlichen Akzent, während die Kostüme (Anne Buffetrille) zumindest die eine oder andere Idee haben.

Das „Spektakel für Alle“, wie der Untertitel lautet, hat zumindest eine hübsche Rahmenhandlung: Da ist Richard Sympson (lustig, aber unter seinen Möglichkeiten: Stefko Hanushevsky) der Direktor eines englischen Musical-Theatre, das „Gullivers Reisen“ aufführen will, was schon die musikalische Fassung mit gewissem choreographischem Schwung begründet. Außerdem ist Sympson der Neffe von jenem Dr. Lemuel Gulliver, dessen in vier Büchern niedergelegte Reisen er nun zu spielen gedenkt. Und der greise Onkel lässt es sich natürlich nicht nehmen, bei der Premiere dabei zu schauen, was ein Geniestreich ist. Martin Schwab leuchtet die Freude geradezu aus den Augen, dass er wieder auf der Bühne stehen darf, und genießt den skurrilen Alten bis zum Exzess.
Außer den beiden gibt es noch Gunther Eckes in der Titelrolle, kein Star, sondern überzeugend normal, der mit Humor durch seine Abenteuer geht, während die übrigen Darsteller, vor allem die Damen (Lola Klamroth, Annamária Láng und Rebecca Lindauer) wenig zu vermelden haben, hingegen Dietmar König und Markus Meyer in der einen oder anderen Rolle Aufmerksamkeit erregen. (Ein Jammer, dass Meyer, einst doch durchaus ein Protagonist am Haus, nun dermaßen aufs Nebengeleise abgeschoben ist.)
Bis zur Pause arbeitet der Abend Gullivers Erlebnisse bei den Zwerglein und bei den Riesen ab, wobei sich auf der Bühne manches Gewure, aber wenig Aussage ergibt und, wie erwähnt, der hintergründige Witz mit den Größenverhältnissen nicht bedient wird, auch wenn man Gulliver einmal in eine Streichholzschachtel steckt…
Nach der Pause folgt der interessantere Teil, wenig bekannt, weil die Kinderbuchfassung (und andere auch) sich meist auf die beiden ersten Abenteuer mit ihrer ebenso märchenhaften wie tiefgründigen Komik konzentrieren. Wenn Gulliver hingegen auf die schwebende Insel und in die Welt der Pferde kommt, werden hier keine szenischen Kunststücke, sondern nur Kostümideen verlangt – und die so absurd verkleidete Botschaft wird deutlicher (und dem Kinderstück ab 8 Jahren, was hier angeboten wird, weniger zuträglich). Swift verhöhnt hier eine isolierte Intellektuellen-Gesellschaft, die denkend nur damit beschäftigt ist, die Welt zu verändern und sie damit zerstört (es gäbe Parallel-Beispiele in der Gegenwart), er macht auch klar, dass der englische Imperialismus, den Gulliver als braver Brite so lobpreist, nicht jedermann einleuchtet. Und wenn die letzte Botschaft lautet, dass die Pferde die weit besseren Menschen wären,,, dazu könnte man ins Philosophieren verfallen.
Aber das ist ja nicht der Zweck des Abends, der schließlich nicht mehr geworden ist als ein Kindermusical – weiter nichts. Schade.
Renate Wagner

