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WIEN / Burgtheater. GESCHICHTEN AUS DEM WIENER WALD

21.11.2021 | KRITIKEN, Theater

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Alle Fotos: Burgtheaer / Matthias Horn

WIEN / Burgtheater.
GESCHICHTEN AUS DEM WIENER WALD von Ödön von Horváth 
Premiere:  18. November 2021
Besucht wurde die zweite Vorstellung am 20. November 2021

Vor der zweiten Vorstellung von Horvaths „Geschichten aus dem Wiener Wald“ demonstrierten noch lautstark, zu Trommelgetöse und mit unverständlich skandierten Parolen die Wutbürger auf dem Ring zwischen Rathaus und Burgtheater, und vermutlich würden sie am liebsten, wenn sie könnten, die Regierung demolieren. Im Theater geht das einfacher. Man nehme einen Regisseur, der vielleicht von Horvath eine vage Ahnung hat, sicher aber nicht von der Tradition seiner Stücke – und dann funktioniert die Demolierung mühelos. Bis zur Unkenntlichkeit des Materials.

Nun sind die Zeiten lange vorbei, wo man die „Geschichten aus dem Wiener Wald“ (in Wien immer wieder und meist glanzbesetzt gespielt) für ein melancholisches Wiener Volksstück mit ein paar skurrilen Typen hielt. In vielen Inszenierungen ist der Ton immer „böser“ geworden, aber die unschuldsvolle, typisch Horvath’sche Mädchengestalt der Marianne hat kaum jemand angetastet, so scharf man die Menschen rund um sie auch gezeichnet hat. Wien, wie es Qualtinger’scher kaum sein konnte, so stehen die „Geschichten“ in unserem Bewusstsein.

Für den Flamen Johan Simons ist Wien, Wachau, Milieu nicht existent. Er betrachtete das Werk als einen Riesenbrocken Text, ging mit dem Hammer darüber und zerschlug es in viele Einzelstücke. Die originale, doch einigermaßen realistische Dramaturgie der Geschichte wird gänzlich aufgebrochen, man spielt dies und das, ohne erkennbaren Raum (ein paar unwichtige Versatzstücke, die austauschbar wären, stellte Johannes Schütz auf die Bühne), während die anderen Darsteller irgendwo im Hintergrund flanieren. Man würde bezweifeln, ob Menschen, die das Stück nicht kennen, wirklich mitbekommen, worum es geht – und wie erstaunt sie wären, wenn sie eine „klassische“ Inszenierung (und sei es Erich Neuberg unvergessliche Fernsehfassung) zu sehen bekämen. Sie fänden sich in einem anderen Kosmos.

Bei Simons, wo zu Beginn lange Geräusche vorherrschen, während die Figuren wie verlorene Zombies über die Bühne schleichen, ist kein Stein auf dem anderen geblieben, jede Figur wurde uminterpretiert, was vor allem die Frauen trifft. Marianne ist bei Sarah Viktoria Frick nicht das klassische Horvath-„Opfer“ (darum ging es ihm ja), sondern eine herumkreischende und – brüllende Hysterikerin, die sich immer erratisch benimmt. Besonders hässlich hat Simons ihren (im Original Nackt-) Auftritt im Varieté gestaltet, wo sie zusammen mit Maria Happel (eine reine Verschwendung für die Kurzrolle der „Baronin“) einen eklig-lasziven Porno hinlegt, der vielleicht schlechten Geschmack reflektieren soll, aber wohl schlechter Geschmack ist (und so abgeschmackt vordergründig wie alles andere). Wo immer man Kläglichkeit und Erbärmlichkeit überzeichnen kann – Simons wird es genußvoll tun.

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Ebenso bis fast zur Unkenntlichkeit verzerrt ist die Figur der Valerie, als welche Sylvie Rohrer ganz in Schwarz, mit Hotpants, herumgeht und nichts von der gelassenen Souveränität des Originals verströmt, sondern auch nur eine laute Kunstfigur ist. Gar nichts konnte der Regisseur mit den Wachau-Szenen anfangen (die hat er offenbar nicht verstanden) – Mutter und Großmutter des Alfred gehen in ihrer Funktion unter (und waren doch sonst Glanzpunkte jeder Aufführung, die Großmutter als schauriger menschlicher Tiefpunkt). Hier irrt Annamária Láng als Mutter kaum präsent und gewissermaßen funktionslos herum und Gertrud Roll, die es zweifellos „richtig“ gekonnt hätte, kommt ihrer Großmutter-Figur nicht einmal in die Nähe. Nenne man unter den Damen noch eine unnütze Lili Winderlich, die zeigen darf, dass sie einst sicherlich einen Einser in Turnen hatte.

Der Strizzi Alfred, der so interessant und vielschichtig flirren könnte, ist in der Person von Felix Rech so gut wie nicht vorhanden, und ohne dass man jetzt irgendeinen berühmten Vergleich bemühen will, darf Oliver Nägele nicht annähernd zeigen, was in dem Zauberkönig steckt. Für Jan Bülow hat man aus dem flotten künftigen Hitler-Jungen einen ambitionierten Filmregisseur gemacht und die Schäbigkeit der Figur kaum ausgelotet. Martin Schwab kann einen alten Monarchisten glaubhaft machen, andere (Daniel Jesch, Johannes Zirner und Falk Rockstroh, der sich als „Amerikaner“ besonders blöd benehmen muss), sind kaum da.

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Bleibt die eine Figur des Fleischers Oskar, immer ein schauriger Glanzpunkt der Aufführung, und in einer „normalen“ Inszenierung hätte man sich Nicholas Ofczarek mehr als deckend für diesen erschreckenden Brutalinski unter der Maske verlogen-milder Töne vorstellen können. Hier passiert jedoch etwas anderes. Auch diese Gestalt wird umgedreht, und  Ofczarek (wie gern er Säue absticht, bleibt hier ein quasi ungespielter Nebensatz) gibt dem Oskar so warme, fast aufrichtige Töne, dass man beinahe glauben möchte, das könnte ein guter Kerl sein. Jedenfalls ist er mit Abstand die interessanteste Figur des Abends und eigentlich ihr Mittelpunkt. Dass dann doch nicht alles so ideal ist, demonstriert Johan Simons in einem endlosen Nachspiel zu den Walzer-Klängen des „Wiener Waldes“: diese Pantomime zwischen Ofczarek, Frick und teilsweise auch Nägele wird dann doch zum Machtkampf mit brutalen Wendungen, wo alle (aber vor allem wieder Marianne) weidlich unsympathisch heraus kommen. Ist es das, was der Regisseur in seiner zerfaserten und mit dreieinviertel Stunden quälend langen „Brocken“-Fassung des Originals zeigen wollte?

Wieder einmal hat man eine „Inszenierung“ gesehen. Wo das Stück bleibt, darf man nicht fragen. Das lebt nur in der Erinnerung mancher voran gegangener Aufführung.

Renate Wagner

 

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